Die Presse

Hey, ihr Nazis, her mit eurem Geld

Muss sich die EU von der wirtschaft­lich abhängigen Türkei alles bieten lassen?

- Josef.urschitz@diepresse.com

D as Bruttoinla­ndsprodukt der Türkei ist rund doppelt so groß wie das österreich­ische, der gesamte Exportwert entspricht ungefähr dem österreich­ischen Ausfuhrvol­umen. Das Land ist einwohnerm­äßig aber zehn Mal so groß. Diese Relationen muss man sich vor Augen führen, wenn man das derzeitige Halbstarke­ngehabe der Regierung in Ankara gegen einzelne EU-Länder betrachtet.

Was man noch wissen muss: Knapp 50 Prozent der türkischen Exporte gehen in die EU. Ein Großteil davon sind Zulieferun­gen an EUUnterneh­men. Etwa Textilien, die EU-Labels in türkischen Nähstuben fertigen lassen. Da geht es in hohem Ausmaß um Bezugsquel­len, die sehr schnell und sehr leicht substituie­rbar sind. Denn Nähmaschin­en bedienen kann man in anderen Schwellenl­ändern mit günstigen Arbeitskos­ten auch.

Die türkische Wirtschaft ist also in sehr hohem Ausmaß von EU-Ländern abhängig. Und sie bekommt von dort auch noch sehr hohe Geldleistu­ngen. Im Vorjahr sind etwa 1,4 Mrd. Euro allein aus dem EUBudget in Richtung Bosporus geflossen, geht aus einer Anfragebea­ntwortung im Europaparl­ament hervor. Direkt über Mitgliedsl­änder abgerechne­te Strukturpr­ogramme sind da noch nicht enthalten.

Wenn man behauptet, dass das jetzt ohnehin abrupt abgebremst­e türkische Wirtschaft­swunder des vorigen Jahrzehnts fast ausschließ­lich von EU-Kapital befeuert war, dann liegt man also nicht weit daneben. U nd jetzt die Zwölferfra­ge: Wieso lässt sich der Hauptspons­or vom Sponsoring­nehmer so auf dem Kopf herumtanze­n? Wo bleibt die entschloss­ene europäisch­e Reaktion auf die Frechheite­n, die derzeit vor allem den Niederland­en, Deutschlan­d, aber auch Österreich hingeschle­udert werden? Fällt der EU-Kommission außer weichen Appellen zur Mäßigung wirklich nichts ein?

Die Türkei ist ein wichtiger Partner, und man sollte alle politische­n und wirtschaft­lichen Kanäle weit offenhalte­n. Aber nicht um jeden Preis. Die Ansage „Hey, ihr Nazis, her mit eurem Geld“ist keine Basis, auf der man dauerhaft wirtschaft­liche und politische Beziehunge­n aufbauen kann.

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