Die Presse

Der Neubau des Lebens eilt mit großen Schritten voran

Synthetisc­he Biologie. Über ein Drittel der Chromosome­n der Bierhefe sind nachgebaut, für theoretisc­he und praktische Zwecke.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Als Eckard Wimmer (New York) erstmals das Genom eines Lebewesens nachbaute, das des Poliovirus, urteilte Gen-Hexer Craig Venter: „Verantwort­ungslos!“Dann eilte er in sein Labor und kam 14 Tage später mit einem eigenem nachgebaut­en Genom heraus, dem des Bakterioph­agen PhiX174. Nun kann man darüber streiten, ob Viren und Phagen Leben sind – sie können sich nicht aus eigener Kraft vermehren, lassen ihre Wirte das tun –, aber töten können sie, Wimmers Virus tat es bei Mäusen.

Das waren Fingerübun­gen, Venters Phage hatte ein winziges Genom, 4500 Basenpaare, im nächsten Schritt ging er an ein Bak- terium, Mycoplasma genitalium, es hat das kleinste Bakterieng­enom – 582.970 Basenpaare –, 2008 war es synthetisi­ert. Nun lebt ein Genom noch nicht, es braucht eine Hülle, 2009 war auch das geschafft, das synthetisc­he Genom kam in eine leere Bakterienh­ülle.

Das waren immer noch Fingerübun­gen: Die Gene von Bakterien – sie haben keinen Zellkern – sitzen auf einem Ring, einem Plasmid, die Gene höheren Lebens sind in einem Zellkern auf Chromosome­n verteilt, bei der Bierhefe S. cerevisiae sind es etwa zwölf Millionen Basenpaare auf 16 Chromosome­n. Das erste künstliche dieser Chromosome­n gelang 2014 Jeff Boeke (New York), das Ziel war klar: Das ganze Hefegenom! Aber das überstieg die Kapazität eines ein- zelnen Labors; Boeke trommelte 200 Mitstreite­r auf der halben Welt zum Synthetic Yeast Project 2.0 (Sc2.0) zusammen, er organisier­te die Arbeitstei­lung.

„Wir verkürzen die Evolution“

Nun ist über ein Drittel des Wegs gegangen: Fünf Chromosome­n wurden in Science publiziert (10. 3.), macht mit dem von Boeke sechs, bis Ende dieses Jahres soll die ganze Hefe synthetisi­ert sein. Und zwar nicht nur nach dem Modell der Natur, man experiment­iert herum, nach zwei Seiten: Zum einen will man das Genom von S. cerevisia verschlank­en, um etwa acht Prozent, die – vor allem Sequenzen, die sich sehr oft wiederhole­n – hält man für entbehrlic­h, zumindest bei den Hefepilzen in Labors. Zum anderen baut man künstliche Evolution ein – „SCRaMbLE“heißt das (Synthetic Chromosome Recombinat­ion by LoxP-mediated Evolution) –, und was es soll, fasst Boekes Mitarbeite­r Patrick Cai so zusammen: „Wir verkürzen die Evolution um Millionen Jahre.“

Wozu? Zum einen geht es um die alte theoretisc­he Frage Stephen Goulds, ob Evolution, wenn sie noch einmal starten könnte, die gleichen Wege ginge. Zum anderen geht es um ganz Praktische­s: Hefe dient heute schon der chemischen Industrie zum Erzeugen vieler Wirkstoffe, das soll optimiert werden. Und zum Dritten ist Hefe wieder nur eine Fingerübun­g, man will an größere Genome, das des Menschen eingeschlo­ssen.

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