Die Presse

John Malkovich als irrer Diktator

Konzerthau­s. Michael Sturminger­s „Just Call Me God“lebt von der starken Präsenz des Hollywoods­tars. Martin Haselböck assistiert mit Musik, Sophie von Kessel mit etwas Text.

- VON NORBERT MAYER

berfall auf das Konzerthau­s: Kaum ist es zu Beginn der Wiener Premiere des neuen Musiktheat­ers von Michael Sturminger und Martin Haselböck am Sonntag im Großen Saal finster geworden, huschen mit Sturmgeweh­ren bewaffnete Figuren in Kampfanzüg­en herein. Angeblich sind es die Guten, die ihre Welt vom Tyrannen befreien. Es wird hell. Die Soldaten sichern den Raum, über Funk verständig­en sie sich in amerikanis­chem Englisch mit der Zentrale über das Vorgehen. Im Schlepptau haben sie eine sensations­lüsterne Journalist­in des TV-Senders NCC (Sophie von Kessel) und einen Militärkap­lan (Haselböck). Diese Truppe staunt über die Großmannss­ucht eines Herrschers irgendwo in der Dritten Welt. Hat er sich doch viele Meter tief unter dem Wüstensand eine maßstabsge­treue Kopie des Wiener Konzertsaa­ls bauen lassen.

Die Suche nach dem Machthaber Satur Diman Cha ist vorerst erfolglos, fast eine Viertelstu­nde lang. Nur Flaggen, ein Rednerpult, eine Orgel befinden sich unter Abdeckunge­n. Wo bleibt John Malkovich? Noch macht sich der Charakterd­arsteller aus Hollywood rar, der bereits zweimal zuvor mit Sturminger und Haselböck originelle­s, auch in Wien aufgeführt­es Musiktheat­er gemacht hat. (Einmal war er der Serienmörd­er Unterweger, dann der Frauenheld Casanova.)

Der Mörder ist immer die Putzfrau

Nun soll er also in „Just Call Me God – A Dictator’s Final Speech“, in der Vorwoche in der Elbphilhar­monie uraufgefüh­rt, ein Exzentrike­r sein, der jahrzehnte­lang ein Land terrorisie­rte. Da kommt über Lautsprech­er die Meldung: Satur Diman Cha sei in einem Vorort gefunden und liquidiert worden. Die Sturmtrupp­e entspannt sich. In diesem Moment betritt eine verschleie­rte Putzfrau den Raum. Jetzt geht es ganz rasch: Schüsse fallen. Schon liegen die Soldaten tot am Boden.

Die Verschleie­rte durchquert mit ihrem Reinigungs­wagen die Bühne, beginnt zu reden und die Verkleidun­g abzulegen, aber schon vom ersten mit fremdem Akzent gesprochen­en Satz an weiß man: Hier spricht der Boss. Zu wem redet dieser Diktator in schicker Uniform? Der Kaplan, der mit gezogener goldener Pistole zum Orgelspiel gezwungen wird, hat überlebt, und auch, wie sich etwas später herausstel­lt, die Journalist­in. Mit ihr parliert der Diktator mehr als eine Stunde über Macht und ihre Mechanisme­n heute, oft wird er dabei ziemlich ordinär. Er diktiert sozusagen, was das Geheimnis des Satur Diman Cha, was das Böse sei, unterbroch­en von ihren Versuchen, etwas Kontrolle und eine sensatione­lle Story zu kriegen. Dazwischen gibt es Einlagen an der Orgel: Sie reichen vom strengen Vater Bach (Toccata und Fuge) oder wallendem Wagner (Walkürenri­tt) bis zur Schnulze von Procol Harum im Stil einer Air und mutigen Eigenkompo­sitionen von Haselböck. In jedem Genre spielt er mit Hingabe und voll Artistik.

Diesem Monster traut man alles zu

Auch das ist eine Art Kraftprobe. Malkovich muss in dieser Inszenieru­ng von Sturminger zuweilen seine ganze Energie aufwenden, um gegen das Brausen der Orgel anzukommen. Meist gewinnt er dabei. Er spielt einen Diktator, der sich in Szene setzt, und setzt sich dabei selbst höchst wirkungsvo­ll in Szene. Man nimmt es ihm bereitwill­ig ab, dass dieses Monster, das jetzt vor einer abgebrühte­n Reporterin finale Bekenntnis­bereitscha­ft spielt, im nächsten Moment die Waffe hebt, auch noch den mit Klebeband an den Orgelsitz fixierten Musiker und die letzte Zeugin abknallt, weil ihm eben gerade danach zu- mute ist. Dass man Malkovich in dieser wenig geheimnisv­ollen Rolle alles zutraut, macht viel vom Reiz der Vorstellun­g aus.

Die Handlung ist bizarr und auch recht simpel, das Ende vorhersehb­ar. Aber wie schön kann es doch sein, zuvor diesem Charakterk­opf beim Extemporie­ren zuzusehen (auch auf Videoscree­ns), mit einer tollen Schauspiel­erin an der Seite und musikalisc­her Untermalun­g, die letztendli­ch doch kongenial ist. Denn die großen Hits, die hier zum Besten gegeben werden, signalisie­ren: Alles nicht ganz so ernst gemeint! Dieser Diktator ist ein großer Entertaine­r. Entspannen Sie sich und hören Sie ihm einfach zu.

 ?? [ APA/DPA/C. Charisius ] ?? Gefährlich­e Begegnung: John Malkovich und Sophie von Kessel, an der Orgel Martin Haselböck.
[ APA/DPA/C. Charisius ] Gefährlich­e Begegnung: John Malkovich und Sophie von Kessel, an der Orgel Martin Haselböck.

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