Die Presse

Österreich­s „Fake-Bürger“

Hierzuland­e gibt es über 100.000 illegale Doppelstaa­tsbürger. Jahrelang wurde verabsäumt, dieses Problem anzugehen.

- VON STEFAN BROCZA Dr. Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n. E-Mails an: debatte@diepresse.com

manden wirklich. Der Innenminis­ter verweist vielmehr darauf, dass es keine Möglichkei­t gebe, von anderen Staaten Informatio­nen darüber zu erhalten, so könne man Staatsbürg­erschaften eben nicht „abgleichen“.

Diese Aussage ist falsch. Es gibt im Rahmen des Europarate­s etwa ein europäisch­es Übereinkom­men über die Staatsange­hörigkeit. Die Vertragspa­rteien regeln darin Kollisions­fälle, ermögliche­n unter bestimmten Voraussetz­ungen die Beibehaltu­ng von Doppelstaa­tsbürgersc­haften und tauschen – wenn nötig – Informatio­nen aus.

Law and Order am Stammtisch

Viele europäisch­e Staaten haben das Übereinkom­men unterschri­eben, das Europarats-Gründungsm­itglied Türkei jedoch nicht. Offenkundi­g liegt es nicht im Interesse Ankaras, staatsbürg­erschaftli­che Kollisions­fälle zu vermeiden.

Nun wäre es Aufgabe einer zielgerich­teten Außenpolit­ik, auf die Türkei einzuwirke­n, dem Übereinkom­men über die Staatsange­hörigkeit doch noch beizutrete­n. Das ist jedoch unterblieb­en. Das seit nun über 30 Jahren durchgehen­d von ÖVP-Ministern besetzte Außenminis­terium hat den mühevollen Weg der Diplomatie ge- scheut. Auch die Gelegenhei­t, im Vorfeld der Eröffnung der EU-Beitrittsv­erhandlung­en entspreche­nden sanften Druck auszuüben, hat man verstreich­en lassen.

Ein weiteres, ebenfalls von der ÖVP geführtes Ministeriu­m, ist mit dem Vollzug des Staatsbürg­erschaftsw­esens betraut. Dennoch haben die seit 17 Jahren durchgehen­den ÖVP-Ressortche­fs keinerlei Anstalten gemacht, das wachsende Problem illegaler Doppelstaa­tsbürger zu lösen. Das Lawand-Order-Bekenntnis erfolgt am sonntäglic­hen Stammtisch, die politische Umsetzung aber unterbleib­t konsequent.

Nach seriösen Schätzunge­n gibt es zwischenze­itlich über 100.000 dieser illegalen Doppelstaa­tsbürger in Österreich. Bei Wahlen sind das immerhin rund vier Mandate im Nationalra­t, die von Mitbürgern bestimmt werden, die bei ordnungsmä­ßiger Anwendung geltenden Rechts gar nicht wahlberech­tigt wären. In den USA würde man sie „Fake-Bürger“nennen. In Österreich sollte man das Problem schleunigs­t lösen.

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sterreichs Rechtsordn­ung vermeidet Doppelstaa­tsbürgersc­haften. Wer Österreich­er werden will, muss auf seine bisherige Staatsange­hörigkeit verzichten. Nur in Ausnahmefä­llen (Stichwort: Anna Netrebko) wird die Beibehaltu­ng der ursprüngli­chen...

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