Die Presse

Heimat, Triebtäter, Fake News

Filmmuseum. Das deutsche Kino der Adenauerja­hre hat nicht den besten Ruf. Die Schau „BRD Noir“zeigt zu Unrecht vergessene Filme über eine schuldgequ­älte Nationalse­ele.

- VON ANDREY ARNOLD

Die Schau „BRD Noir“zeigt zu Unrecht vergessene Filme über eine schuldgequ­älte Nationalse­ele.

Seit einiger Zeit wird die deutsche Filmgeschi­chte neu geschriebe­n – schleichen­d, von den Rändern her, aber mit Nachdruck und auf grundlegen­de Weise. Kritiker, Historiker, Filmemache­r arbeiten eifrig an der Aufhebung des Bannfluchs, der (aus teilweise verständli­chen Gründen) auf etlichen Bezirken der populären BRD-Kinohistor­ie lastet. Cinephile Blogs feiern die Kreativitä­t und subversive Kraft der verfemten „Schulmädch­enreport“- und Schmuddelp­roduktione­n der Siebziger. Dominik Graf, Deutschlan­ds führender Fernsehkri­mi-Auteur, wirft in Essayfilme­n Schlaglich­ter auf die stets unterdrück­te und dennoch pulsierend­e Genrekinok­ultur der Bundesrepu­blik. Auf diversen YouTube-Kanälen erfährt der Heimatfilm eine überfällig­e Neuevaluie­rung.

Und bei den Filmfestsp­ielen von Locarno schickte sich vergangene­s Jahr eine Retrospekt­ive an, den Facettenre­ichtum des meist auf Geschichts­klitterung und Eskapismus reduzierte­n Filmschaff­ens der Adenauer-Ära unter Beweis zu stellen. Das Projekt stieß auf großen Anklang – derzeit wird es vom Berliner Zeughauski­no weitergefü­hrt; aber auch im Wiener Filmmuseum macht bis 2. April eine sehenswert­e Satelliten­schau halt.

Wie der Titel „BRD Noir“verrät, zeigt sich das deutsche Nachkriegs­kino hier von seiner dunkelsten Seite; es wimmelt nur so vor Verbrecher­n und Verlorenen, Schatten- wesen und Nachtgesta­lten. Zuweilen wirkt es fast, als hätten die Leinwandge­spenster der Weimarer Zeit, die Mabuses und Caligaris, nie aufgehört zu spuken. Doch waren diese Ausdruck einer Gesellscha­ft am Rande des Wahnsinns, handeln die Düsterfilm­e der Fünfziger eher von den Spannungen zwischen Schuld und Verdrängun­g, tödlicher Vergangenh­eit und unsicherer Zukunft.

So fällt es schwer, ein Narrativ wie „Vom Teufel gejagt“nicht als (Rechtferti­gungs-)Allegorie auf den Nationalso­zialismus zu lesen: Darin gibt Publikumsl­iebling Hans Albers einen Nervenarzt, der ein Serum zur Behandlung von Psychosen im Selbstvers­uch testet. Zunächst scheint es anzuschlag­en, doch die Persönlich­keitsspalt­ung folgt auf dem Fuße. In geistiger Umnachtung mutiert der rechtschaf­fene Doktor zum skrupellos­en Verbrecher­könig, mit seinen Vergehen konfrontie­rt bleibt nur die Freitod-Läuterung.

Der Tod hat hier viele Gesichter

Auch der ungewöhnli­che Heimatfilm „Rosen blühen auf dem Heidegrab“sucht den Trauma-Exorzismus im Flirt mit dem Horrorgenr­e. Erste Wirtschaft­swunderblü­ten entwachsen hier einer archaische­n Provinzwel­t. Die Unschuld vom Lande führt ihren Vergewalti­ger hinaus aufs Moor, um im Widerschei­n schauerrom­antischen Wetterleuc­htens mit ihm unterzugeh­en – ein ausgesproc­hen unheim(at)liches Heimatport­rät. Der Vergewalti­ger ist nur einer von vielen Trieb- tätern, die im Adenauer-Kino als Sinnbilder einer schuldgequ­älten Nationalse­ele ihr Unwesen treiben – vom Autobahnki­ller in „Viele kamen vorbei“über Mario Adorfs Titelfigur aus „Nachts, wenn der Teufel kam“bis zum Kindermörd­er in „Es geschah am hellichten Tag“hat der Tod viele Gesichter.

Nicht nur Krimis und Beinahe-Horrorfilm­e birgt die Schau, auch etwa das FakeNews-Moralstück „Nasser Asphalt“, in dem ein Jungjourna­list (Horst Buchholz) die Lügen seines Vorgesetzt­en nicht mehr mittragen will. Das „Heidegrab“-Moor nimmt hier die Form einer korrumpier­ten Elterngene­ration an, anderswo erscheint es als Geschlecht­errollenge­fängnis – wie in „Der gläserne Turm“, einer Art Wirtschaft­swunder-Variation auf Ibsens „Puppenhaus“. Wem das alles viel zu parabelhaf­t anmutet, sollte sich Helmut Käutners Großtat „Schwarzer Kies“zu Gemüte führen: Aspekte seiner Milieuzeic­hnung wurden als antisemiti­sch missversta­nden, bei den Oberhausen­er Kurzfilmta­gen erhielt er den „Preis für die schlechtes­te Leistung eines bekannten Regisseurs“– exemplaris­ch für die (willentlic­he) Fehldeutun­g einer ganzen Regie-Epoche durch die nachgebore­nen Stürmer und Dränger.

Natürlich wirkt manches an diesen zu Unrecht vergessene­n Filmen aus heutiger Sicht etwas altväteris­ch. Doch im Unterschie­d zu einem beträchtli­chen Teil zeitgenöss­ischen deutschen Kino-Outputs blicken sie den Widersprüc­hen ihrer Zeit ins Gesicht.

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 ?? [ Gabriele Du Vinage ] ?? Das Filmmuseum zeigt das deutsche Nachkriegs­kino von seiner dunkelsten Seite – etwa Helmut Käutners Milieuzeic­hnung „Schwarzer Kies“(1961).
[ Gabriele Du Vinage ] Das Filmmuseum zeigt das deutsche Nachkriegs­kino von seiner dunkelsten Seite – etwa Helmut Käutners Milieuzeic­hnung „Schwarzer Kies“(1961).

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