Heimat, Triebtäter, Fake News
Filmmuseum. Das deutsche Kino der Adenauerjahre hat nicht den besten Ruf. Die Schau „BRD Noir“zeigt zu Unrecht vergessene Filme über eine schuldgequälte Nationalseele.
Die Schau „BRD Noir“zeigt zu Unrecht vergessene Filme über eine schuldgequälte Nationalseele.
Seit einiger Zeit wird die deutsche Filmgeschichte neu geschrieben – schleichend, von den Rändern her, aber mit Nachdruck und auf grundlegende Weise. Kritiker, Historiker, Filmemacher arbeiten eifrig an der Aufhebung des Bannfluchs, der (aus teilweise verständlichen Gründen) auf etlichen Bezirken der populären BRD-Kinohistorie lastet. Cinephile Blogs feiern die Kreativität und subversive Kraft der verfemten „Schulmädchenreport“- und Schmuddelproduktionen der Siebziger. Dominik Graf, Deutschlands führender Fernsehkrimi-Auteur, wirft in Essayfilmen Schlaglichter auf die stets unterdrückte und dennoch pulsierende Genrekinokultur der Bundesrepublik. Auf diversen YouTube-Kanälen erfährt der Heimatfilm eine überfällige Neuevaluierung.
Und bei den Filmfestspielen von Locarno schickte sich vergangenes Jahr eine Retrospektive an, den Facettenreichtum des meist auf Geschichtsklitterung und Eskapismus reduzierten Filmschaffens der Adenauer-Ära unter Beweis zu stellen. Das Projekt stieß auf großen Anklang – derzeit wird es vom Berliner Zeughauskino weitergeführt; aber auch im Wiener Filmmuseum macht bis 2. April eine sehenswerte Satellitenschau halt.
Wie der Titel „BRD Noir“verrät, zeigt sich das deutsche Nachkriegskino hier von seiner dunkelsten Seite; es wimmelt nur so vor Verbrechern und Verlorenen, Schatten- wesen und Nachtgestalten. Zuweilen wirkt es fast, als hätten die Leinwandgespenster der Weimarer Zeit, die Mabuses und Caligaris, nie aufgehört zu spuken. Doch waren diese Ausdruck einer Gesellschaft am Rande des Wahnsinns, handeln die Düsterfilme der Fünfziger eher von den Spannungen zwischen Schuld und Verdrängung, tödlicher Vergangenheit und unsicherer Zukunft.
So fällt es schwer, ein Narrativ wie „Vom Teufel gejagt“nicht als (Rechtfertigungs-)Allegorie auf den Nationalsozialismus zu lesen: Darin gibt Publikumsliebling Hans Albers einen Nervenarzt, der ein Serum zur Behandlung von Psychosen im Selbstversuch testet. Zunächst scheint es anzuschlagen, doch die Persönlichkeitsspaltung folgt auf dem Fuße. In geistiger Umnachtung mutiert der rechtschaffene Doktor zum skrupellosen Verbrecherkönig, mit seinen Vergehen konfrontiert bleibt nur die Freitod-Läuterung.
Der Tod hat hier viele Gesichter
Auch der ungewöhnliche Heimatfilm „Rosen blühen auf dem Heidegrab“sucht den Trauma-Exorzismus im Flirt mit dem Horrorgenre. Erste Wirtschaftswunderblüten entwachsen hier einer archaischen Provinzwelt. Die Unschuld vom Lande führt ihren Vergewaltiger hinaus aufs Moor, um im Widerschein schauerromantischen Wetterleuchtens mit ihm unterzugehen – ein ausgesprochen unheim(at)liches Heimatporträt. Der Vergewaltiger ist nur einer von vielen Trieb- tätern, die im Adenauer-Kino als Sinnbilder einer schuldgequälten Nationalseele ihr Unwesen treiben – vom Autobahnkiller in „Viele kamen vorbei“über Mario Adorfs Titelfigur aus „Nachts, wenn der Teufel kam“bis zum Kindermörder in „Es geschah am hellichten Tag“hat der Tod viele Gesichter.
Nicht nur Krimis und Beinahe-Horrorfilme birgt die Schau, auch etwa das FakeNews-Moralstück „Nasser Asphalt“, in dem ein Jungjournalist (Horst Buchholz) die Lügen seines Vorgesetzten nicht mehr mittragen will. Das „Heidegrab“-Moor nimmt hier die Form einer korrumpierten Elterngeneration an, anderswo erscheint es als Geschlechterrollengefängnis – wie in „Der gläserne Turm“, einer Art Wirtschaftswunder-Variation auf Ibsens „Puppenhaus“. Wem das alles viel zu parabelhaft anmutet, sollte sich Helmut Käutners Großtat „Schwarzer Kies“zu Gemüte führen: Aspekte seiner Milieuzeichnung wurden als antisemitisch missverstanden, bei den Oberhausener Kurzfilmtagen erhielt er den „Preis für die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs“– exemplarisch für die (willentliche) Fehldeutung einer ganzen Regie-Epoche durch die nachgeborenen Stürmer und Dränger.
Natürlich wirkt manches an diesen zu Unrecht vergessenen Filmen aus heutiger Sicht etwas altväterisch. Doch im Unterschied zu einem beträchtlichen Teil zeitgenössischen deutschen Kino-Outputs blicken sie den Widersprüchen ihrer Zeit ins Gesicht.