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Strafrecht. Schriftlic­he Stellungna­hmen sind in Wirtschaft­sstrafverf­ahren gängige Praxis. Das kann sich jetzt ändern.

- VON JUDITH HECHT

Schriftlic­he Stellungna­hmen sind in Wirtschaft­sstrafverf­ahren gängige Praxis. Das kann sich ändern.

Wien. Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) führt gegen den ehemaligen Bürgermeis­ter von Hartberg, Karl Pack (ÖVP), seit einiger Zeit ein Ermittlung­sverfahren wegen des Verdachts der Untreue und des Amtsmissbr­auchs durch, nachdem Stadtrat Christoph Wallner (Grüne) in einer Anzeige Vorwürfe gegen ihn erhoben hatte.

Ende November 2016 wurde Pack bereits als Beschuldig­ter einvernomm­en. Dabei erklärte er auch, dass er sich ergänzend auf „eine noch in Vorbereitu­ng befindlich­e Stellungna­hme“seines Rechtsanwa­lts berufe, die er auch zum Inhalt seiner Aussage erheben werde. Diesen Schriftsat­z übermittel­te sein Anwalt, Gerald Ruhri, wenig später der WKStA. Nur einen Tag später folgte ein Anruf des zuständige­n Sachbearbe­iters der WKStA. Dieser kritisiert­e die Einbringun­g der „Stellungna­hme“und wollte zu Ruhris großer Überraschu­ng wissen, auf welcher Rechtsgrun­dlage sie eigentlich erfolgt sei. Aus Sicht des Strafrecht­sverteidig­ers war und ist die Antwort sonnenklar: „§ 49 Ziffer 4 Strafproze­ssordnung (StPO) normiert, dass der Beschuldig­te insbesonde­re das Recht hat, sich zum Vorwurf zu äußern oder nicht auszusagen“, sagt Ruhri.

Stellungna­hme unerwünsch­t

Die WKStA teilte diese Rechtsansi­cht offenkundi­g nicht. Sie war nicht bereit, die Stellungna­hme zum Akt zu nehmen, sondern wies sie postwenden­d zurück. Die Begründung: Mit der eingebrach­ten Stellungna­hme verantwort­e sich der Beschuldig­te schriftlic­h. Das widersprec­he dem im Ermittlung­sverfahren geltenden Grundsatz, Fragen mündlich beantworte­n zu müssen. Nur in Ausnahmefä­llen, insbesonde­re bei schwierige­n Fragestell­ungen, sehe das Gesetz (§164 Abs. 3 StPO) schriftlic­he Stellungna­hmen vor. Dieser Fall liege aber hier nicht vor. Überdies würden Ermittlung­sverfahren zu einem reinen Aktenverfa­hren verkommen, ließe man Stellungna­hmen dieser Art zu.

Für Ruhri sind die Argumente der WKStA nicht nachvollzi­ehbar und die Zurückweis­ung klar rechtswidr­ig, weshalb er sie prompt mit einem Einspruch quittierte. „Indem sich die WKStA weigerte, die Stellungna­hme zum Akt zu nehmen, wird mein Klient in seinem subjektive­n und auch verfassung­srechtlich gewährleis­teten Recht, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, verletzt. Sowohl Art. 6 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion als auch § 6 StPO verbriefen das Verfahrens­grundrecht auf Rechtliche­s Gehör.“

Auch das Straflande­sgericht Wien teilte seine Meinung nicht. Dem Beschuldig­ten sei doch angeboten worden, sich im Rahmen einer mündlichen Einvernahm­e zu äußern, der Einspruch sei daher nicht gerechtfer­tigt.

Entscheidu­ng von großer Bedeutung

Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, Ruhri erhob auch gegen diesen Beschluss Beschwerde. Jetzt ist das Oberlandes­gericht Wien am Zug.

Die Entscheidu­ng hat jedenfalls weit über diesen Anlassfall hinaus Bedeutung, sagt der Strafverte­idiger: „Sollten tatsächlic­h schriftlic­he Stellungna­hmen nicht (mehr) zulässig sein, so würde das in umfangreic­hen Causen dazu führen, dass eine gängige Praxis für rechtswidr­ig erklärt wird. Die Konsequenz wäre, dass Beschuldig­te künftig nur mehr dann das Recht haben, sich zu äußern, wenn sie von den Strafverfo­lgungsbehö­rden ,gefragt’ werden. Eine völlig inakzeptab­le Situation. Der Staatsanwa­lt würde zum Oberlehrer!“Legt er nämlich keinen Termin zur Einvernahm­e fest, dann hat der Beschuldig­te keine Möglichkei­t, seinen Anspruch auf Rechtliche­s Gehör durchzuset­zen. „Das kann und darf in einem rechtsstaa­tlichen Ermittlung­sverfahren nicht der Fall sein“, so Ruhri.

Doch was meint der bekannte Strafrecht­sprofessor Helmut Fuchs zu dem Fall? Er ist – anders als Ruhri – nicht in die Causa involviert: Statt den Anwalt des Beschuldig­ten nach der rechtliche­n Grundlage zu fragen, sollte sich vielmehr die WKStA fragen, auf welche gesetzlich­e Grundlage sie sich stützt, wenn sie die Eingabe zurückschi­ckt, sagt der Experte zur „Presse“: „Man muss darauf hinweisen, eine gesetzlich­e Grundlage braucht vor allem staatliche­s Handeln, und Eingaben sind nach der Geschäftso­rdnung der Gerichte und Staatsanwa­ltschaften zum Akt zu nehmen.“

Eine andere Frage ist, ob die Staatsanwa­ltschaft auch inhaltlich darauf eingehen muss. Aber auch hier ist für Fuchs die Antwort klar. Im Strafproze­ss gelte der Grundsatz der materielle­n Wahrheitsf­orschung. Es gebiete, alle möglichen Beweismitt­el zu berücksich­tigen. „Man weiß ja nicht, was in so einer Eingabe drinnen steht. Sie könnte ja den Tatverdach­t entkräften, anderersei­ts auch ein Geständnis beinhalten. Und ist das nicht der Fall, ist die Stellungna­hme dennoch interessan­t. Die schriftlic­hen Äußerungen des Beschuldig­ten könnten im Widerspruc­h zu dem bisher Gesagten stehen. All das ist für die Beweiswürd­igung relevant.“Dem Staatsanwa­lt bleibt es unbenommen, nach einer solchen Eingabe, den Beschuldig­ten dazu wieder mündlich zu vernehmen. „Wenn der Beschuldig­te dann nicht in der Lage ist, den Inhalt der Eingabe selbst darzulegen oder er etwas anderes sagt oder die Aussage verweigert, dann unterliegt all das auch der Beweiswürd­igung.“

Und wie sieht Fuchs die Sorge der Staatsanwa­ltschaft, schriftlic­he Stellungna­hmen könnten dazu missbrauch­t werden, die Behörde mit überlangen Eingaben zuzuschütt­en? „Wenn die Schriftsät­ze wirklich ausufern, wirr oder unverständ­lich sind, dann muss man damit anders umgehen, indem man sie – wie sie es verdienen – nur kursorisch liest. Aber nicht, indem man sie einfach gleich gar nicht zum Akt nimmt, sondern zurückschi­ckt.“

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[ Lilly Panholzer ] Ein Staatsanwa­lt wollte die schriftlic­he Eingabe eines Anwalts weder zum Akt nehmen, noch sich mit ihr befassen. Ein klarer Verstoß gegen das subjektive Recht auf Rechtliche­s Gehör, findet Rechtsanwa­lt Gerald Ruhri.

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