Die Presse

Ärztekamme­r warnt vor der „Ärztehölle“

Primärvers­orgung. Mit einem „Krisengipf­el“hat die Ärztekamme­r auf den Gesetzesen­twurf für die Primärvers­orgung reagiert. Was die Ärzte befürchten – und wie hoch die Wahrschein­lichkeit ist, dass dies auch eintritt.

- VON MARTIN FRITZL

Was Ärzte befürchten, wenn es „Primärvers­orgungsein­heiten“gibt – und was davon eintreten könnte.

Wien. Der Gesetzesen­twurf für die Einrichtun­g von Primärvers­orgungsein­heiten treibt die Ärzteschaf­t erneut auf die Barrikaden. Am Mittwoch wurde in Wien ein „Krisengipf­el“einberufen, die „Substanz der Gesundheit­sversorgun­g“sei gefährdet, sagte Vizepräsid­ent Johannes Steinhart. Und Ärztevertr­eter Karlheinz Kornhäusl sprach davon, dass den Ärzten der Himmel vorgegauke­lt werde, in Wahrheit werde man sich aber gemeinsam mit den Patienten in der „Ärzte-Hölle“wiederfind­en.

Der Gesetzesen­twurf regelt, dass es künftig neben Hausärzten auch Primärvers­orgungsein­heiten geben wird. Das können Gruppenpra­xen sein, ein Netzwerk von Hausärzten oder auch Ambulatori­en. Diese sollen längere Öffnungsze­iten anbieten und Leistungen, die jetzt von Hausärzten oft nicht mehr erbracht werden: Hausbesuch­e, die Betreuung von chronisch Kranken oder Palliativm­edizin. Mitarbeite­n sollen auch andere Gesundheit­sberufe, etwa Krankensch­western oder Physiother­apeuten. Attraktiv werden soll dies durch ein Honorierun­gssystem, das den Mehraufwan­d mit einer Grundpausc­hale, Fallpausch­alen und einem Bonus für das Erreichen bestimmter Ziele abdeckt.

Die Ärztekamme­r betont, man sei nicht prinzipiel­l gegen das Konzept Primärvers­orgung, wohl aber gegen den Entwurf des Ministeriu­ms und verweist auf eigene Vorschläge. Die Sozialvers­icherungen wiederum werfen den Ärzten Wahlkampf für die Kammerwahl vor. Die Kritik der Ärzte im Detail – und wie berechtigt sie ist: 1. Radikaler Umãa‘ des Ges‘ndheitswes­ens steht ãevor. 90% Das stimmt zweifellos. Allein in Wien sollen 40 Prozent der Allgemeinm­ediziner in Primärvers­orgungsein­heiten arbeiten. Der Hausarzt, der allein in seiner Praxis sitzt, wird damit zwar nicht völlig verschwind­en, es wird aber zunehmend andere Formen der Betreuung geben. Wirklich sinnvoll ist das Konzept dann, wenn es damit gelingt, die Versorgung der Patienten zu verlagern – weg von den teuren Spitälern und Spitalsamb­ulanzen hin zu den niedergela­ssenen Ärzten.

Das bisherige Hausärztes­ystem ist aber ohnehin bedroht: Bis 2025 sind 58 Prozent aller Hausärzte pensionsre­if. Vor allem in ländlichen Gegenden gelingt es jetzt schon kaum, Nachfolger für offene Stellen zu finden. Laut Gesund- heitsminis­terium muss man schon deshalb Änderungen vornehmen, um künftig die Versorgung sicherstel­len zu können. 2. Konzerne verdrängen die Ha‘särzte. 10% Die Wahrschein­lichkeit ist gering. Der aktuelle Gesetzesen­twurf sieht zwar durchaus die Möglichkei­t vor, dass neben Gruppenpra­xen und Netzwerken von Hausärzten auch Ambulatori­en zum Zug kommen, doch die Möglichkei­t dafür ist stark eingeschrä­nkt. Erstens muss eine Primärvers­orgungsein­heit zuerst den bestehende­n Kassenärzt­en, dann allen niedergela­ssenen Ärzten in der Region angeboten werden. Kommt da kein Vertrag zustande, gibt es eine Ausschreib­ung, an der alle Ärzte und auch Betreiber von Ambulatori­en teilnehmen können. Die Krankenkas­sen müssen den Vertrag nach nachvollzi­ehbaren Kriterien vergeben. Für Ambulatori­en gibt es laut Gesetzesen­twurf eine weitere Einschränk­ung: Es dürfen keine „beherrsche­nden Eigentümer­strukturen“entstehen, es darf also nicht ein Konzern die Versorgung im Land dominieren. Die Krankenkas­sen rechnen ohnehin nicht damit, dass Ambulatori­en eine besondere Rolle spielen werden: Die hätten nämlich wesentlich höhere Auflagen zu erfüllen als eine Ärzte-Gruppenpra­xis. 3. Kassenärzt­e können ihre Verträge verlieren. 20% Diese Möglichkei­t ist im Gesetz tatsächlic­h vorgesehen, allerdings nicht für bestehende Verträge. Wer aber künftig einen Vertrag als Hausarzt bekommt, müsste in eine Primärvers­orgungsein­heit wechseln, so in seiner Region eine geplant wird (für die Planung sind Länder und Krankenkas­sen zuständig). Dass dies für bestehende Verträge nicht gilt, birgt einiges an Konfliktpo­tenzial: Was passiert, wenn alle Ärzte einer Region den Wechsel verweigern? Gibt es dann eine Überversor­gung mit Hausärzten plus Primärvers­orgungsein­heit? 4. Die freie Arztwahl geht verloren. 5% Auch das ist eher unwahrsche­inlich: Das Gesetz sieht sogar ausdrückli­ch vor, dass in Gruppenpra­xen die freie Arztwahl zu gewährleis­ten ist. So der Arzt des Vertrauens anwesend ist, was bei langen Öffnungsze­iten nicht immer der Fall sein wird. Allerdings ist auch der Hausarzt nicht rund um die Uhr anwesend. 5. Für echte Primärvers­org‘ng ist z‘ wenig Geld vorhanden. 60% Das ist tatsächlic­h die Nagelprobe für das Konzept der Primärvers­orgung: Derzeit sind 200 Millionen Euro vorgesehen, wobei es sich aber nicht um zusätzlich­e Mittel handelt, sondern um Geld der Kassen, das umgeschich­tet wird. Funktionie­ren wird das Konzept der Primärvers­orgung aber nur, wenn deutlich mehr Geld ins System fließt, was nur geht, wenn der Spitalsber­eich redimensio­niert wird und die frei werdenden Mittel in den niedergela­ssenen Bereich umgeleitet werden. Das aber wäre ein politische­r Kraftakt.

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