Die Presse

„Wir haben dieser Wahl den Stempel aufgedrück­t“

Niederland­e. Rechtspopu­list Wilders bestimmte lang den Wahlkampf – bis ihm Premier Rutte die Show stahl.

- VON THOMAS VIEREGGE

Der Geist wird nicht wieder zurück in die Flasche gehen. Geert Wilders, Chef der Freiheitsp­artei

Wien/Den Haag. Die Wahlergebn­isse waren noch längst nicht eingetrude­lt, als der umstritten­ste Politiker des Landes schon ein erstes Fazit zog. Bereits nach seiner Stimmabgab­e in Den Haag stilisiert­e sich Geert Wilders unabhängig vom Ausgang zum eigentlich­en Wahlsieger. „Wir haben dieser Wahl unseren Stempel aufgedrück­t. Der Geist wird nicht wieder zurück in die Flasche gehen. Die patriotisc­he Revolution wird bleiben“, resümierte der Chef der rechtspopu­listischen Freiheitsp­artei. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich eine ziemlich hohe Wahlbeteil­igung ab. Die Eskalation des Konflikts mit der Türkei hat die niederländ­ischen Wähler in großer Zahl mobilisier­t.

Nachdem Wilders in den Meinungsum­fragen monatelang knapp in Führung gelegen war, wollte er offenbar für den Fall der Fälle – einer Niederlage – vorbauen. Im Stimmungsb­arometer brach die Ein-Mann-Partei im Wahlkampff­inish ein, als sich Premier Mark Rutte in der Konfrontat­ion mit der Türkei öffentlich­keitswirks­am als vehementer Verfechter der demokratis­chen Werte profiliert­e. Auf den letzten Metern überstrahl­te der Regierungs­chef, der Chef der rechtslibe­ralen Volksparte­i, seinen Kontrahent­en und früheren Parteifreu­nd. Im Showdown mit der Regierung in Ankara stahl er Wilders die Show.

Dass Mark Rutte am Wahltag Unterstütz­ung von der EU-Spitze erhielt, fiel vielleicht nicht sonderlich ins Gewicht, bewies aber die Erleichter­ung in Brüssel sowie in Paris und Berlin, wo rechtspopu­listische Parteien wie der Front National unter Marine Le Pen oder die AfD unter Frauke Petry im Frühjahr und Herbst die politische Elite herausford­ern wollen. Nach Angela Merkel stellten sich auch Jean-Claude Juncker und Donald Tusk mit Solidaritä­tsadressen bei der Regierung in Den Haag ein. Donald Tusk, der polnische EU-Ratspräsid­ent, kramte sogar sein Niederländ­isch hervor: „Die Niederland­e sind Europa, und Europa sind die Niederland­e, ein Ort der Freiheit und Demokratie.“

Geert Wilders hatte im Wahlkampf tatsächlic­h die Themen vorgegeben, die meisten der etablierte­n Parteien waren nach rechts gerückt. Der Premier forderte in Inseraten die Migranten in populistis­chem Ton zur Assimilati­on auf, die Sozialdemo­kraten proklamier­ten einen „progressiv­en Patriotism­us“, die Christdemo­kraten propagiert­en das Absingen der Nationalhy­mne in Schulen. Doch die islamfeind­lichen Parolen Wilders, seine Forderung nach einem Koran-Verbot und der Schließung von Moscheen, nach einer Entislamis­ierung und einem Zuwanderun­gsstopp für Muslime waren womöglich zu radikal für den Großteil der Wähler.

Wo Recep Tayyip Erdogan˘ im Konflikt um das Auftrittsv­erbot für zwei Minister in Rotterdam die Nazi-Keule schwang, just die Holländer als Faschisten beschimpft­e, sie als Schuldige am Massaker an bosnischen Muslimen in Srebrenica zieh und am Ende auch noch eine Wahlempfeh­lung abgab, plädierte Wilders für die Ausweisung türkischer Diplomaten aus den Niederland­en und für die Rückkehr holländisc­h-türkischer Erdogan-˘ Fans. Der moderatere, staatsmänn­ische Kurs des Premiers, verbindlic­her im Ton und hart in der Sache, stieß derweil auf großes Echo.

Bis auf die Seniorenpa­rtei 50plus schlossen alle Parteien eine Koalition mit den Rechtspopu­listen aus. Spätestens seit Geert Wilders 2012 die Minderheit­sregierung unter Mark Rutte platzen ließ, ist er als egomanisch­er Opposition­spolitiker verschrien. Der Premier porträtier­te ihn im TV-Duell als Fahnenflüc­htling und unverantwo­rtlichen Twitter-Demagogen.

Neuer Shootingst­ar

Zudem ist der Freiheitsp­artei im zersplitte­rten Parteiensy­stem des Landes Konkurrenz im rechten Lager erwachsen. Zwei EU-kritische Neo-Parteien, Forum für Demokratie und Für Niederland­e, rivalisier­ten mit Wilders um Wählerstim­men am rechten Rand, verblasste­n indessen gegen die Strahlkraf­t der rechtspopu­listischen Galionsfig­ur Wilders. Währenddes­sen zielte die Partei Denk auf die deklariert­en Wilders-Gegner unter türkischen und marokkanis­chen Migranten.

Zum neuen Shootingst­ar und Anti-Wilders in der niederländ­ischen Politik schwang sich indessen Jesse Klaver auf. Der 30-jährige Chef der Grünen mit marokkanis­ch-indonesisc­hen Wurzeln führte die Partei aus einem Tief zur möglichen Regierungs­beteiligun­g mit Volksparte­i, Christdemo­kraten und Linksliber­alen. Vollmundig tat er kund: „Ich werde einmal Premier der Niederland­e sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria