„Wir haben dieser Wahl den Stempel aufgedrückt“
Niederlande. Rechtspopulist Wilders bestimmte lang den Wahlkampf – bis ihm Premier Rutte die Show stahl.
Der Geist wird nicht wieder zurück in die Flasche gehen. Geert Wilders, Chef der Freiheitspartei
Wien/Den Haag. Die Wahlergebnisse waren noch längst nicht eingetrudelt, als der umstrittenste Politiker des Landes schon ein erstes Fazit zog. Bereits nach seiner Stimmabgabe in Den Haag stilisierte sich Geert Wilders unabhängig vom Ausgang zum eigentlichen Wahlsieger. „Wir haben dieser Wahl unseren Stempel aufgedrückt. Der Geist wird nicht wieder zurück in die Flasche gehen. Die patriotische Revolution wird bleiben“, resümierte der Chef der rechtspopulistischen Freiheitspartei. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich eine ziemlich hohe Wahlbeteiligung ab. Die Eskalation des Konflikts mit der Türkei hat die niederländischen Wähler in großer Zahl mobilisiert.
Nachdem Wilders in den Meinungsumfragen monatelang knapp in Führung gelegen war, wollte er offenbar für den Fall der Fälle – einer Niederlage – vorbauen. Im Stimmungsbarometer brach die Ein-Mann-Partei im Wahlkampffinish ein, als sich Premier Mark Rutte in der Konfrontation mit der Türkei öffentlichkeitswirksam als vehementer Verfechter der demokratischen Werte profilierte. Auf den letzten Metern überstrahlte der Regierungschef, der Chef der rechtsliberalen Volkspartei, seinen Kontrahenten und früheren Parteifreund. Im Showdown mit der Regierung in Ankara stahl er Wilders die Show.
Dass Mark Rutte am Wahltag Unterstützung von der EU-Spitze erhielt, fiel vielleicht nicht sonderlich ins Gewicht, bewies aber die Erleichterung in Brüssel sowie in Paris und Berlin, wo rechtspopulistische Parteien wie der Front National unter Marine Le Pen oder die AfD unter Frauke Petry im Frühjahr und Herbst die politische Elite herausfordern wollen. Nach Angela Merkel stellten sich auch Jean-Claude Juncker und Donald Tusk mit Solidaritätsadressen bei der Regierung in Den Haag ein. Donald Tusk, der polnische EU-Ratspräsident, kramte sogar sein Niederländisch hervor: „Die Niederlande sind Europa, und Europa sind die Niederlande, ein Ort der Freiheit und Demokratie.“
Geert Wilders hatte im Wahlkampf tatsächlich die Themen vorgegeben, die meisten der etablierten Parteien waren nach rechts gerückt. Der Premier forderte in Inseraten die Migranten in populistischem Ton zur Assimilation auf, die Sozialdemokraten proklamierten einen „progressiven Patriotismus“, die Christdemokraten propagierten das Absingen der Nationalhymne in Schulen. Doch die islamfeindlichen Parolen Wilders, seine Forderung nach einem Koran-Verbot und der Schließung von Moscheen, nach einer Entislamisierung und einem Zuwanderungsstopp für Muslime waren womöglich zu radikal für den Großteil der Wähler.
Wo Recep Tayyip Erdogan˘ im Konflikt um das Auftrittsverbot für zwei Minister in Rotterdam die Nazi-Keule schwang, just die Holländer als Faschisten beschimpfte, sie als Schuldige am Massaker an bosnischen Muslimen in Srebrenica zieh und am Ende auch noch eine Wahlempfehlung abgab, plädierte Wilders für die Ausweisung türkischer Diplomaten aus den Niederlanden und für die Rückkehr holländisch-türkischer Erdogan-˘ Fans. Der moderatere, staatsmännische Kurs des Premiers, verbindlicher im Ton und hart in der Sache, stieß derweil auf großes Echo.
Bis auf die Seniorenpartei 50plus schlossen alle Parteien eine Koalition mit den Rechtspopulisten aus. Spätestens seit Geert Wilders 2012 die Minderheitsregierung unter Mark Rutte platzen ließ, ist er als egomanischer Oppositionspolitiker verschrien. Der Premier porträtierte ihn im TV-Duell als Fahnenflüchtling und unverantwortlichen Twitter-Demagogen.
Neuer Shootingstar
Zudem ist der Freiheitspartei im zersplitterten Parteiensystem des Landes Konkurrenz im rechten Lager erwachsen. Zwei EU-kritische Neo-Parteien, Forum für Demokratie und Für Niederlande, rivalisierten mit Wilders um Wählerstimmen am rechten Rand, verblassten indessen gegen die Strahlkraft der rechtspopulistischen Galionsfigur Wilders. Währenddessen zielte die Partei Denk auf die deklarierten Wilders-Gegner unter türkischen und marokkanischen Migranten.
Zum neuen Shootingstar und Anti-Wilders in der niederländischen Politik schwang sich indessen Jesse Klaver auf. Der 30-jährige Chef der Grünen mit marokkanisch-indonesischen Wurzeln führte die Partei aus einem Tief zur möglichen Regierungsbeteiligung mit Volkspartei, Christdemokraten und Linksliberalen. Vollmundig tat er kund: „Ich werde einmal Premier der Niederlande sein.“