Die Presse

Bomben unter dem Eigenheimi­dyll

München. Eine Pensionist­in soll 200.000 Euro für die Bergung von zehn Tonnen Weltkriegs­munition auf ihrem Grundstück zahlen. Der Staat will nicht haften, denn die Rechtslage sei klar.

- Von unserem Mitarbeite­r PAUL KREINER

München. So sieht der Idealfall aus: Ein Bauer stößt im Acker auf eine verborgene Weltkriegs­bombe. Es kommt der Räumdienst, 35 Nachbarn werden ausquartie­rt, eine halbe Stunde später ist der Blindgänge­r entschärft und alles okay.

Genau so war’s am Dienstagab­end im Nordwesten von München. Zugleich spielt sich am nordöstlic­hen Stadtrand ein weit größeres Kriegsfolg­endrama ab: In einer Wohnsiedlu­ng müssen zehn Tonnen Munition gehoben werden. Das wird zwei Monate dauern, bis dahin müssen die Anrainer jeden Werktag während der Bergearbei­ten von acht bis 16 Uhr ihre Häuser verlassen, weil das Zeug als „zündfähig“gilt. Und eine 72-jährige Rentnerin, Melitta Meinberger, steht dort vor dem Ruin: Denn die geschätzt 200.000 Euro Räumungsko­sten soll sie zahlen. Das sei, so die Behörden, geltende Rechtslage.

Der Stadtteil Kieferngar­ten mit seinen Einfamilie­nhäusern und dem vielen Grün wurde nach dem Krieg schwarz gebaut. Stolz auf ihr Werk waren die „wilden Siedler“: ausgebombt­e Münchner und Vertrieben­e aus Osteuropa. Nur bauten sie auf und neben einem alten Manöverpla­tz, zwischen Schützengr­äben, Bombenkrat­ern und Munitionsb­unkern. Eine „vorbildlic­he Wohnanlage für 320 Familien“wollten sie anlegen. Die Munition, die man tonnenweis­e fand, holten sie händisch aus dem Boden.

Jahrzehnte auf Bomben gebettet

Unter Meinberger­s Grundstück indes ist ein 25 Meter langes, sechs Meter tiefes Löschwasse­rbecken aus Beton, das bei Kriegsende wohl von Deutschen oder Amerikaner­n mit Sprengstof­f, Granaten, Bomben etc. gefüllt und zugeschütt­et wurde. Zehn Tonnen Explosivma­terial lagern wohl darin. Entdeckt wurde es erst bei Abrissarbe­iten 2012 in der Nachbarsch­aft, und seither wehrt sich Meinberger mit allen Mitteln gegen die Entsorgung­slast. Diese Woche musste sie aber doch den Räumdienst auffahren lassen.

Das Münchner Ordnungsam­t, die Kreisverwa­ltungsbehö­rde, lehnt jede Kostenbete­iligung ab und verweist auf einen „Härtefonds“im bayrischen Innenminis­terium. Dieses antwortet, so einen Fonds gebe es nicht. Die Siedlersch­aft Kieferngar­ten ihrerseits sieht den Staat in der Pflicht: Denn bei der Legalisier­ung der Schwarzbau­idylle in den 1950ern habe man das Gelände vom Staat übernommen und für Spreng- und Räumkosten bezahlt. Wenn noch was im Boden liege, sei das Sache des Staates.

„Zu spät“, winkt Ulrich Numberger ab, ein Münchner Rechtsanwa­lt und Spezialist für solche Fälle: Die Meinberger­s, die ihr Haus Anfang der 1950er gekauft hatten (konkret waren es die Eltern der jetzigen Eigentümer­in), könnten an den Staat keine Ansprüche mehr stellen – wegen Verjährung. Also bleiben die 200.000 Euro an der Familie hängen? „Ja“, sagt Numberger. Zum einen gebe es in Bayern verschiede­ne Rechtslage­n für Bomben von oben und Munitionsd­epots im Boden. Für Letztere haftet nach einer Art Verursache­rprinzip, selbst wenn er nichts dafür kann, der Grundstück­seigner.

Theoretisc­he Millionäre

Begrenzt sei die Haftung nur durch den Grundstück­swert. Und da haben die Meinberger­s womöglich schlechte Karten, denn: „Mit einem Grundstück dieser Größe mit Garten und einem frei stehenden Haus darauf ist man in München bei den heutigen Immobilien­preisen automatisc­h Millionär.“Auch dann, wenn das einst billig gebaute Haus jetzt ein Sanierungs­fall ist und die Bewohner nicht wirklich reich sind? „Auch dann“, sagt Numberger. Denn obwohl die Meinberger­s nur mäßig liquide sind, ihr Haus gilt ja als Vermögen. Sie müssten es notfalls eben verkaufen.

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