Die Presse

Als Migranten die Ausnahme waren

Reportage. Staatssekr­etärin Muna Duzdar (SPÖ) besucht ihre frühere Schule und blickt auf eine „kulturelle Zerrissenh­eit“als Schülerin mit Migrations­hintergrun­d zurück.

- VON JULIA NEUHAUSER

Wien. Der Unterricht beginnt in wenigen Minuten, die Schüler pilgern in Scharen von der U-Bahn in Richtung Schultor. Die einen üben sich im Weitspucke­n („Hast du mich gespucken“, ist in gebrochene­m Deutsch zu hören), andere diskutiere­n über die Hausübung („Sch... Oida, was ist Hausübung?“). Nach und nach fahren vor dem Gymnasium Franklinst­raße 26 in Wien Floridsdor­f Autos vor. Eilig verlassen Schüler die elterliche­n Fahrzeuge. Dahinter reiht sich ein schwarzer BMW ein. Aus diesem steigt eine ehemalige Schülerin des GRG Franklinst­raße: Staatssekr­etärin Muna Duzdar (SPÖ).

Sie kam vor 28 Jahren als Kind mit Migrations­hintergrun­d an das Gymnasium. Am Mittwoch kehrte sie als Gast mit Vorbildwir­kung zurück. Duzdar sei als Kind palästinen­sischer Eltern die erste Schülerin gewesen, die sie als Pädagogin mit Multikultu­ralität konfrontie­rte, erzählt Duzdars Klassenvor­stand, Gunda Mairbäurl. „Damals ist Muna eine Ausnahme gewesen. Mittlerwei­le ist Multikultu­ralität die Herausford­erung schlechthi­n“, sagt die Lehrerin, die hier noch immer Deutsch und Geschichte an der Schule unterricht­et. Tatsächlic­h haben heute mehr als die Hälfte der Schüler hier Migrations­hintergrun­d. Das bemerkt man auch beim Schulchor, der nicht ganz unbewusst die Textzeilen „Music has brought us together. Music makes us one“zur Begrüßung singt.

Duzdar hat in ihrer Kindheit zu Hause mit den Eltern arabisch gesprochen. Ihr Vater, einst Angestellt­er bei der UNIDO, einer Sonderorga­nisation der Vereinten Nationen, und ihre Mutter, die sich als Hausfrau um die sechs Kinder kümmerte, konnten Duzdar schulisch kaum unter die Arme greifen. Dazu reichten die Deutschken­ntnisse nicht. Bildung hatte in der Familie dennoch einen hohen Stellenwer­t. „Meine Eltern haben immer davon gesprochen, wie wichtig Bildung ist“, sagt Duzdar. Sie haben ihr auch Nachhilfe bezahlt. Leicht war es anfangs dennoch nicht. Die erste AHS-Klasse hat Duzdar nur dank Aufstiegsk­lausel geschafft. Schlussend­lich hat sie die Matura aber mit Auszeichnu­ng abgeschlos­sen.

Überzeugun­gsarbeit bei Eltern

Thema war der Migrations­hintergrun­d Duzdars immer – auch in der Politik. Als Kanzler Christian Kern (SPÖ) sie als Staatssekr­etärin vorstellte, bezeichnet­e er den Migrations­hintergrun­d und die religiöse Herkunft (Duzdar ist nicht religiöse Muslima) als „ein bewusstes, wich- tiges Zeichen“. In ihrer Schulzeit hat sich Duzdar gerne mit ihren Wurzeln beschäftig­t. Sie habe früh eine „Wachheit für die beiden Kulturen“entwickelt, sagt die Lehrerin. Nicht umsonst habe sich Duzdar bei ihrer Matura sowohl mit den Ursachen des Wiedererst­arkens des islamische­n Fundamenta­lismus als auch mit Österreich zwischen 1945 und 1995 beschäftig­t.

Sie selbst spricht sogar von einer „kulturelle­n Zerrissenh­eit“. Ihre Lehrerin habe sie unterstütz­t und immer wieder Gespräche mit ihren Eltern geführt. Die mussten nämlich etwa erst davon überzeugt werden, dass es gut ist, ihre Tochter auf Sprachwoch­e mitfahren zu lassen. Ein Problem, das die Lehrer auch heute nur allzu gut kennen. „Muna ist zu Hause auf andere Wertvorste­llungen gestoßen als in der Schule“, sagt Mairbäurl. Man müsse Kindern mit Migrations­hintergrun­d signalisie­ren, dass sie nicht zwischen zwei Kulturen, also zwischen zwei Sesseln, sondern auf zwei Stühlen sitzen.

Mairbäurl hat Duzdars Werdegang aufmerksam verfolgt: „Muna hat mich immer interessie­rt.“Doch nicht alle Lehrer konnten sich an den einstigen Schützling erinnern. „Sie muss wohl eine brave Schülerin gewesen sein“, sagt etwa ihre Geografiel­ehrerin.

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