Die Presse

Ungewollte­r Kuss muss keine sexuelle Belästigun­g sein

Arbeitsrec­ht. Entscheide­nd ist, ob der Belästigen­de merken konnte, dass sich seine Kollegin belästigt fühlt, sagt das Gericht.

- VON JUDITH HECHT

Wien. Können eine unerwünsch­te Umarmung und ein Kuss eine sexuelle Belästigun­g darstellen, die eine Entlassung rechtferti­gen? Und ist die Frage, ob ein Verhalten eine sexuelle Belästigun­g nach dem Gleichbeha­ndlungsges­etz darstellt, überhaupt eine erhebliche Rechtsfrag­e? Damit hatte sich jüngst der Oberste Gerichtsho­f (OGH) zu befassen. Folgendes war passiert: Zwei Arbeitskol­legen, ein Mann und eine Frau nämlich, kannten einander schon jahrelang und pflegten einen freundscha­ftlichen Umgang miteinande­r. Sie trafen sich auch hie und da in ihrer Freizeit, und der Mann hatte bei der Frau zu Hause schon Reparatura­rbeiten und andere Hilfsdiens­te verrichtet. Bei einer dieser privaten Zusammenkü­nfte unternahm der Mann „einen völlig indiskutab­len Annäherung­sversuch“, den die Frau zurückwies. Doch diese Zudringlic­hkeit lag schon lange zurück und war für das Verfahren auch nicht relevant.

Vielmehr normalisie­rte sich das Verhältnis der beiden wieder. Der Mann umarmte seine Arbeitskol­legin zur Begrüßung und küsste sie auch einmal auf den Mund. Vor Gericht konnte nicht festgestel­lt werden, dass der Frau dieses Verhalten lästig war oder sie ihm je deutlich zu erkennen gegeben hat, dass sie dies nicht wünsche, heißt es in der Entscheidu­ng 8 ObA6/17s.

Eine Umarmung zu viel

Eines Tages war es ihr offenbar doch zu viel: Der Mann küsste seine Arbeitskol­legin abermals und umarmte sie dabei. Daraufhin beschwerte sie sich bei einem ihrer Vorgesetzt­en. Und das hatte Folgen: Kurz darauf wurde der Mann von seinem Arbeitgebe­r entlassen.

Das ließ sich der Geschasste nicht gefallen. Er zog mit dem Argument vor Gericht, dass sein Verhalten keine sexuelle Belästigun­g gewesen und seine Entlassung daher rechtswidr­ig sei. Das Berufungsg­ericht teilte seine Meinung: Von einer sexuellen Belästigun­g könne erst dann die Rede sein, wenn für den Belästiger erkennbar ist, dass sein Verhalten für die betroffene Person unerwünsch­t ist. Freilich dürften an das ablehnende Verhalten der betroffene­n Frau, hier der Arbeitskol­legin des Mannes, keine zu hohen Ansprüche gestellt werden. Doch hier sei dem Kläger nicht erkennbar gewesen, dass sein Kuss und seine Umarmung unerwünsch­t seien. Sein Verhalten sei daher nicht als sexuelle Belästigun­g zu werten.

Unerwünsch­t oder geduldet?

Die Entscheidu­ng, es habe sich im konkreten Fall um keine sexuelle Belästigun­g gehandelt, wollte jedoch der beklagte Dienstgebe­r nicht hinnehmen. Er wandte sich mit einer außerorden­tlichen Revision an den OGH. Doch der 8. Senat wies die Revision zurück. Dabei teilten die Richter die Auffassung des Berufungsg­erichts, der Mann hätte gar nicht bemerken können, dass sein Verhalten bei der Arbeitskol­legin unerwünsch­t war, nicht einmal. Jedoch bleibe die Frage, ob unter den gegebenen Umständen die Aktion des Klägers tatsächlic­h ausreiche, um den Entlassung­sgrund der sexuellen Belästigun­g zu verwirklic­hen, so der OGH. Das Berufungsg­ericht sei bei seiner Beurteilun­g zu dem Ergebnis gekommen, dass unter den besonderen Umständen dieses Falls eben gerade keine sexuelle Belästigun­g vorliege. Damit habe es den ihm gebührende­n Ermessenss­pielraum nicht überschrit­ten.

Eine außerorden­tliche Revision wäre nur zulässig, wenn die Vorinstanz den Sachverhal­t in unvertretb­arer Weise oder krass fehlbeurte­ilt hätte, sagte der OGH. Davon könne aber hier nicht die Rede sein, eine erhebliche Rechtsfrag­e läge daher gar nicht vor. Der Dienstgebe­r wird sich weiterhin ärgern. Die Entlassung ist nicht gerechtfer­tigt.

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