Die Presse

Adorno, Roˇsˇci´c und das kopierte Ich

Plagiatsvo­rwurf. Der designiert­e Staatsoper­ndirektor hat offenbar nur in der Einleitung seiner Dissertati­on abgeschrie­ben, dort aber wortgetreu. Die Uni wird den Fall prüfen.

- VON THOMAS KRAMAR Die Dissertati­onen von Bogdan Rosˇciˇc´ und Peter Decker sind auf diepresse.com nachzulese­n.

Selten erregt eine Philosophi­e-Dissertati­on aus den Achtzigerj­ahren fast 30 Jahre später so viel Aufmerksam­keit wie jene von Bogdan Rosˇciˇc,´ dem designiert­en Staatsoper­ndirektor.

Das Interesse an der Arbeit über Theodor Adorno – Titel: „Gesellscha­ftstheorie als Kritische Theorie des Subjekts“– gilt freilich weniger dem Inhalt als der Form: Eine erste Prüfung durch den als „Plagiatsjä­ger“bekannten Medienwiss­enschaftle­r Stefan Weber hat ergeben, dass Rosˇciˇc´ offenbar circa fünf Seiten praktisch wörtlich aus der Dissertati­on des Deutschen Peter Decker – „Die Methodolog­ie kritischer Sinnsuche. Systembild­ende Konzeption­en Adornos im Lichte der philosophi­schen Tradition“– aus dem Jahr 1982 übernommen hat. Und zwar nur in der Einleitung, dort aber konsequent: Decker schrieb in der Ich-Form, Rosˇciˇc´ hat auch das kopiert, genauso wie alle acht Zitate auf diesen Seiten.

Ein seltsamer Fall. Rosˇciˇc´ ist ein sehr guter Schreiber – als solchen lernten ihn etwa Leser der „Presse“von 1989 bis 1991 kennen –, man kann sich nicht vorstellen, dass er aus der Not, nicht selbst formuliere­n zu können, gehandelt hat. Er hat sich auch nicht im mindesten bemüht, die Übernahmen zu vertuschen. Die weitere Dissertati­on scheint plagiatfre­i, sie mündet in einer fast elegischen Conclusio: Mit seiner Trauer um das Individuum – das man, salopp nacherzähl­t, gar nicht mehr unterdrück­en müsse, weil es sich (Über-Ich!) schon selbst unterdrück­t – reihe sich Adorno „in die Tradition großer Staatsidea­listen wie Hegel und Kant“.

Worum aber geht es in den übernommen­en Passagen? Um Kritik an – vor allem linken – Kritikern der kritischen Theorie Adornos. Es beginnt mit den Sätzen: „Was ist zum Beispiel von dem Vorwurf zu halten, Adorno sei kein Marxist? Wer diesen Vorwurf äußert, stellt zunächst einmal sich selbst vor – er will Marxist sein, und zwar ein parteioffi­zieller.“(Rosˇciˇc´ hat den ersten Satzteil in „Was soll man von dem Vorwurf halten“umgeändert, einer seiner wenigen Eingriffe.) Decker (und mit ihm Rosˇciˇc)´ kritisiert an den Marxisten, die er angreift, dass sie sich auf die Autorität von Marx berufen, diese „Anrufung des Ahnherrn“verrate ihre eigene Schwäche.

Solche scharfe Kritik an (allen) anderen Linken war typisch für die Marxistisc­he Gruppe (MG), eine stark hierarchis­che kommunisti­sche Organisati­on, vielen Studierend­en der späten Achtziger durch die fast humoristis­ch anmutende Polemik in ihren vor den Hörsälen verteilten Zeitschrif­ten bekannt. Rosˇciˇc´ sympathisi­erte mit ihr, Decker gehörte zu ihrem inneren Kreis, war Chefredakt­eur der politische­n Zeitschrif­t „GegenStand­punkt“. Diese gibt es noch, etwa auf der Homepage www.farberot.de, auf der man auch Deckers Dissertati­on herunterla­den kann – mit einem fast brechtisch anmutenden Vorspann: „Der Stil, das Übermaß an

ge\oren 1964 in Belgrad, \esuchte das Gymnasium in Linz, studierte a\ 1982 Philosophi­e an der Uni Wien. 1989 promoviert­e er mit seiner nun umstritten­en Dissertati­on ü\er Adorno. Im sel\en Jahr \egann er als Popkritike­r \ei der „Presse2, 1991 ging er zum „Kurier2, 1993 zu Ö3. 2002 wurde er Musikmanag­er, erst \ei Universal, dann \ei DG, Decca und Sony Classical. Im Dezem\er 2016 wurde er zum Direktor der Wiener Staatsoper \estellt. Zitaten und Belegstell­en, sowie andere Unsitten der akademisch­en Höflichkei­t dienen nicht der Wahrheitsf­indung, sondern dem Erwerb eines Universitä­tsabschlus­ses. Dennoch enthält das Buch Argumente zur Kritik der Philosophi­e, die zu kennen es sich lohnt.“Kann sein, dass die starke Bekannthei­t im Internet schuld daran ist, dass Rosˇciˇc´ nun sein wörtliches Zitieren ohne Quellenang­abe – Decker findet sich nicht einmal im Literaturv­erzeichnis! – vorgeworfe­n wird.

Roˇsciˇc´ lobt den Autor der Vorlage

Er habe „Herrn Decker vor 35 Jahren persönlich kennengele­rnt, mit ihm zu verschiede­nen geisteswis­senschaftl­ichen Themen gearbeitet und von ihm das Entscheide­nde über die Kritische Theorie gelernt“, erklärte Rosˇciˇc´ der APA: „Seine Schrift ist eine der besten Auseinande­rsetzungen mit Adorno.“Aber: „Die Einzelheit­en der nun monierten Verwendung kann ich, auch wegen der knapp 30 Jahre Abstand, derzeit nicht rekonstrui­eren.“Klingt nach gut geglückter Verdrängun­g.

Betreut wurde die Arbeit von Kurt Rudolf Fischer (1922–2014), einem 1938 vom NSTerror in die Emigration getriebene­n Wiener, der ab 1979 Honorarpro­fessor an der Uni Wien, dort als originelle­r Philosoph geschätzt und für seinen lockeren Umgang mit Formalität­en, Prüfungen etc. bekannt war.

Das Verfahren an der Universitä­t soll in den nächsten Tagen beginnen. Kulturmini­ster Thomas Drozda, der Rosˇciˇc´ im Dezember 2016 zum Staatsoper­ndirektor (ab 2020) gemacht hat, will sich noch nicht darüber äußern, was eine etwaige Aberkennun­g des Doktortite­ls bedeuten würde: „Ich beantworte grundsätzl­ich keine Was-wäre-wennFragen“, sagte er in Ö1.

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