Von Tonleitern und Mozart-Sonaten und vom Rechnen und Verstehen
Viele Lehrerinnen und Lehrer hätten gern mehr Freiraum im Unterricht, um über Themen zu sprechen, die sie selbst an der Mathematik fasziniert haben.
Der Jugendsprecher der Grünen, Julian Schmid, machte aus seinem Herzen keine Mördergrube: Mathematik solle, so sagte er in einer Nachrichtensendung des ORF, nach den vielen Fünfern bei der schriftlichen Zentralmatura nur noch Wahlfach sein. Lisa Nimmervoll fand auf sein Argument, das schlechte Abschneiden der Maturanten in Mathematik disqualifiziere dieses Fach als Prüfungsgegenstand, die treffende Replik: Schmids Begründung „spricht nicht gegen das Fach, sondern dagegen, wie es gelehrt wird. Vermutlich kommt aber auch dazu, dass es noch immer zu viele Leute cool finden, Mathe blöd zu finden.“
Es sei erlaubt, bei Frau Nimmervolls Worten eine kleine Modifizierung vorzunehmen: Statt „wie es gelehrt wird“sollte man genauer schreiben „wie vorgeschrieben wird, Mathematik zu lehren und zu prüfen“. Denn viele Lehrerinnen und Lehrer wissen, dass Mathematik weit mehr, zum Teil sogar etwas ganz anderes ist, als der Kanon der Kompetenzvermittlung unter diesem Titel auflistet.
Sie würden gern mehr Freiraum im Unterricht erhalten und auf Themen zu sprechen kommen, die sie selbst an der Mathematik fasziniert haben und die sie begeistert vermitteln würden, um damit echtes Interesse bei den jungen Menschen hervorzurufen. Allein, die Reglements und das Training zum Test erlauben es nicht.
Julian Schmid mit dem Wort in die Schranken zu weisen, von Ho-ruck-Maßnahmen halte er nichts, wie es der Bildungssprecher seiner eigenen Partei, Harald Walser, noch am Tag des Radiointerviews getan hat, greift aber zu kurz. Denn die von Walser als Wundermittel gelobte standardisierte Prüfung misst vieles – es sei betont: Sie ist, maßvoll eingesetzt, außerordentlich wertvoll – aber eben nicht alles. Und in der Mathematik erlaubt sie bloß, die grundlegenden Fertigkeiten des schematischen Rechnens und Schließens zu testen. Das ist nicht übel und sicher wichtig.
Aber all das verhält sich zur Mathematik so wie das Spielen der Tonleiter zu einer Mozart-Sonate. Und Julian Schmid hat recht, wenn er erwartet, dass praktisch alle nach mehrjährigem Unterricht solche Fertigkeiten beherrschen und die Tests positiv bestehen sollten.
Was auch – so viel Leistungsfähigkeit darf man Österreichs Schulen wohl unterstellen – der Fall wäre, würden sich die Ersteller der Testbeispiele auf die wirklich basalen Aufgaben beschränken, mit denen später jede und jeder von uns im Alltag zu tun hat.
Noch einmal sei betont: Das Spielen einer Tonleiter verhält sich zur MozartSonate wie das Rechnen und logische Schließen zum Verstehen einer mathematischen Erkenntnis. Obwohl man Verstehen in keiner nur denkbaren Weise standardisiert abprüfen kann, sollte darauf der Mathematikunterricht abzielen. Und Leute, die Verstehen für überflüssig halten, weil man es nicht testen kann, sollten den ihnen verbleibenden Rest des Fachs nicht Mathematik nennen, sondern bestenfalls „Rechnen und Raumlehre“. Mehr wäre es nicht.
Am Montag und Mittwoch nächster Woche beginne ich die math.space-Vortragsreihe „Warum Mathematik glücklich macht“. Im ersten Vortrag der aus sieben Vorträgen bestehenden Reihe zeige ich anhand dreier mit den Namen Erwin Schrödinger, Carl Friedrich Gauß und Gottfried Wilhelm Leibniz verbundener Beispiele, wie man zum Verstehen subtiler mathematischer Erkenntnis gelangt. „Mathematik ist trickreich und einfach zugleich“heißt darum der erste Titel der Reihe. „Mathematik ist unterhaltsam“, „Mathematik ist voll von Überraschungen“, „Mathematik ist nachhaltig“, „Mathematik ist nützlich“, „Mathematik ist wahr“, „Mathematik ist schön“lauten die folgenden Vortragstitel. Auch bei ihnen wird es immer um das Verstehen gehen.
Man braucht nur ein wenig „Tonleitern“spielen können, um für die Vorträge gerüstet zu sein und zu erkennen, was Mathematik in der Schule leisten könnte.