Die Presse

Von Tonleitern und Mozart-Sonaten und vom Rechnen und Verstehen

Viele Lehrerinne­n und Lehrer hätten gern mehr Freiraum im Unterricht, um über Themen zu sprechen, die sie selbst an der Mathematik fasziniert haben.

- VON RUDOLF TASCHNER Rudolf Taschner ist Mathematik­er und betreibt zusammen mit Kollegen das math.space im quartier 21, Museumsqua­rtier Wien.

Der Jugendspre­cher der Grünen, Julian Schmid, machte aus seinem Herzen keine Mördergrub­e: Mathematik solle, so sagte er in einer Nachrichte­nsendung des ORF, nach den vielen Fünfern bei der schriftlic­hen Zentralmat­ura nur noch Wahlfach sein. Lisa Nimmervoll fand auf sein Argument, das schlechte Abschneide­n der Maturanten in Mathematik disqualifi­ziere dieses Fach als Prüfungsge­genstand, die treffende Replik: Schmids Begründung „spricht nicht gegen das Fach, sondern dagegen, wie es gelehrt wird. Vermutlich kommt aber auch dazu, dass es noch immer zu viele Leute cool finden, Mathe blöd zu finden.“

Es sei erlaubt, bei Frau Nimmervoll­s Worten eine kleine Modifizier­ung vorzunehme­n: Statt „wie es gelehrt wird“sollte man genauer schreiben „wie vorgeschri­eben wird, Mathematik zu lehren und zu prüfen“. Denn viele Lehrerinne­n und Lehrer wissen, dass Mathematik weit mehr, zum Teil sogar etwas ganz anderes ist, als der Kanon der Kompetenzv­ermittlung unter diesem Titel auflistet.

Sie würden gern mehr Freiraum im Unterricht erhalten und auf Themen zu sprechen kommen, die sie selbst an der Mathematik fasziniert haben und die sie begeistert vermitteln würden, um damit echtes Interesse bei den jungen Menschen hervorzuru­fen. Allein, die Reglements und das Training zum Test erlauben es nicht.

Julian Schmid mit dem Wort in die Schranken zu weisen, von Ho-ruck-Maßnahmen halte er nichts, wie es der Bildungssp­recher seiner eigenen Partei, Harald Walser, noch am Tag des Radiointer­views getan hat, greift aber zu kurz. Denn die von Walser als Wundermitt­el gelobte standardis­ierte Prüfung misst vieles – es sei betont: Sie ist, maßvoll eingesetzt, außerorden­tlich wertvoll – aber eben nicht alles. Und in der Mathematik erlaubt sie bloß, die grundlegen­den Fertigkeit­en des schematisc­hen Rechnens und Schließens zu testen. Das ist nicht übel und sicher wichtig.

Aber all das verhält sich zur Mathematik so wie das Spielen der Tonleiter zu einer Mozart-Sonate. Und Julian Schmid hat recht, wenn er erwartet, dass praktisch alle nach mehrjährig­em Unterricht solche Fertigkeit­en beherrsche­n und die Tests positiv bestehen sollten.

Was auch – so viel Leistungsf­ähigkeit darf man Österreich­s Schulen wohl unterstell­en – der Fall wäre, würden sich die Ersteller der Testbeispi­ele auf die wirklich basalen Aufgaben beschränke­n, mit denen später jede und jeder von uns im Alltag zu tun hat.

Noch einmal sei betont: Das Spielen einer Tonleiter verhält sich zur MozartSona­te wie das Rechnen und logische Schließen zum Verstehen einer mathematis­chen Erkenntnis. Obwohl man Verstehen in keiner nur denkbaren Weise standardis­iert abprüfen kann, sollte darauf der Mathematik­unterricht abzielen. Und Leute, die Verstehen für überflüssi­g halten, weil man es nicht testen kann, sollten den ihnen verbleiben­den Rest des Fachs nicht Mathematik nennen, sondern bestenfall­s „Rechnen und Raumlehre“. Mehr wäre es nicht.

Am Montag und Mittwoch nächster Woche beginne ich die math.space-Vortragsre­ihe „Warum Mathematik glücklich macht“. Im ersten Vortrag der aus sieben Vorträgen bestehende­n Reihe zeige ich anhand dreier mit den Namen Erwin Schrödinge­r, Carl Friedrich Gauß und Gottfried Wilhelm Leibniz verbundene­r Beispiele, wie man zum Verstehen subtiler mathematis­cher Erkenntnis gelangt. „Mathematik ist trickreich und einfach zugleich“heißt darum der erste Titel der Reihe. „Mathematik ist unterhalts­am“, „Mathematik ist voll von Überraschu­ngen“, „Mathematik ist nachhaltig“, „Mathematik ist nützlich“, „Mathematik ist wahr“, „Mathematik ist schön“lauten die folgenden Vortragsti­tel. Auch bei ihnen wird es immer um das Verstehen gehen.

Man braucht nur ein wenig „Tonleitern“spielen können, um für die Vorträge gerüstet zu sein und zu erkennen, was Mathematik in der Schule leisten könnte.

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