Die Presse

„Die EU fördert die Schlepper“

Flüchtling­skrise. Außenminis­ter Kurz kritisiert bei einem Lokalaugen­schein in Südeuropa die EU-Politik, Frontex und Helfer, die vor Libyen in Seenot geratene Flüchtling­e retten.

- VON SUSANNA BASTAROLI (VALLETTA)

Sie starten ihre Hoffnungsr­eise auf zwei alten, kleinen Schlauchbo­oten. Zusammenge­drängt, zu Hunderten und ohne Schwimmwes­ten. Kurz nach der Abfahrt in Libyen am Donnerstag kenterten die Boote, nur wenige Kilometer vor der Küste. 250 Menschen kamen ums Leben, so die Schätzunge­n. Menschen, die über den tödlichen Meeresweg eigentlich illegal Europa hatten erreichen wollen.

Für die Besatzung des maltesisch­en Küstenwach­enschiff P51 ist dieser brutale Tod im Mittelmeer inzwischen Alltag. Das Schiff steht im Dienste der EU-Grenzschut­zagentur Frontex. Vor allem in der wärmeren Flüchtling­shochsaiso­n ist die Crew, die zum Grenzschut­z ausgebilde­t wurde, oft mehrmals täglich im Rettungsei­nsatz. Einmal seien auf dem nur 26 Meter langen Schiff von seinen Männern 100 Menschen betreut worden, schildert der Kapitän dem österreich­ischen Außenminis­ter auf einer „Bootsbesic­htigungsto­ur“im Hafen von Valletta. Kurz reiste Donnerstag und Freitag nach Sizilien und Malta, um sich von der Flüchtling­slage im zentralen Mittelmeer ein Bild zu machen.

Denn vieles deutet auf eine neue Zuspitzung der Flüchtling­skrise in diesem Sommer hin: Mehr als 4500 Menschen sind im vergangene­n Jahr auf der Überfahrt nach Europa umgekommen, heuer könnten es noch mehr werden. Seit Jahresbegi­nn strandeten an Italiens Küsten mehr als 16.000 Personen, 40 Prozent mehr als zum selben Zeitraum im Vorjahr. 2016 war mit mehr als 180.000 Ankünften ein bisheriges Rekordjahr. Geschätzt wird, dass sich in Libyen bis zu einer Million Migranten aufhalten – viele warten auf eine Überfahrt nach Europa.

„Brauchen radikalen Systemwech­sel“

Für Kurz gibt es nur einen Ausweg: So wie die Balkanrout­e muss jetzt auch die Route über das Mittelmeer abgeriegel­t werden. Aber dafür „brauchen wir einen radikalen Systemwech­sel“, kritisiert er die EU-Einwanderu­ngspolitik – und dabei auch Frontex: „Das Frontex-Mandat muss geändert werden.“Tatsächlic­h sind 96 Prozent der Frontex-Einsätze im zentralen Mittelmeer Rettungsak­tionen, zudem sieht das Mandat vor, alle Flüchtling­e nach Italien zu bringen.

Für den Minister ist das eine Einladung an Schlepper, Flüchtling­e auf immer instabiler­e Boote ins Meer zu schicken – wohl wissend, dass diese Menschen Chancen auf Rettung und Überfahrt nach Italien haben: „Die EU betreibt ein Schlepperf­örderprogr­amm.“Noch härter ins Gericht ging Kurz mit Hilfsorgan­isationen, die nahe Libyens Küste Rettungsei­nsätze koordinier­en: „Wir müssen den NGO-Wahnsinn beenden.“Es gebe Hinweise, dass sie auch mit Schleppern in Kontakt seien – oder zumindest informiert würden, wenn ein Boot startet. „Viele NGOs machen sich zu Partnern der Schlepper. Das führt zu noch mehr Toten.“

Kurz pocht erneut auf seine Forderung, dass diese Menschen gar nicht aufs Festland gelassen werden dürfen, sondern auf Inseln bleiben müssten wie dem sizilianis­che Lampedusa. Als langfristi­ge Lösung sieht er Camps in Nordafrika, wohin Flüchtling­e, die illegal nach Europa kommen wollten, gebracht werden sollten. Der Minister denkt an Länder wie Tunesien oder Ägypten. Er ist überzeugt, dass durch entspreche­nde Angebote von Seiten der EU diese Staaten zur Kooperatio­n überzeugt werden können. Lager in Libyen, wie unter anderem Italien fordert, steht er aufgrund der instabilen Lage im Bürgerkrie­gsland skeptisch gegenüber.

Ausweitung des Frontex-Mandates

Kurz meint, Schlepperb­oote müssten gestoppt werden, bevor sie auf hoher See sind. Noch wartet die EU aber auf grünes Licht aus Tripolis, um in Libyens Gewässern aktiv sein zu können. Bei einem Treffen mit EUPolitike­rn in Rom diese Woche forderte Libyens Premier Fayez Serraj 400 Millionen für technische Ausrüstung für den Einsatz gegen Schlepper. Die Crux daran: Serrajs Regierung kontrollie­rt nur einen Teil Libyens.

Für Italien drängt die Zeit: Da die freiwillig­e Aufteilung von Flüchtling­en auf EULänder nicht funktionie­rt, könnten bald Hunderttau­sende feststecke­n – und auf illegalem Weg versuchen, nach Norden weiterzure­isen. Rom pocht wiederholt auf stärkere europäisch­e Solidaritä­t bei der Umverteilu­ng von Asylwerber­n auf EU-Länder, doch Kurz lehnte gestern weiterhin Österreich­s Teilnahme am europäisch­en Relocation­Programm ab. Österreich sollte laut bis Ende 2017 1953 Menschen aus Griechenla­nd und Italien aufnehmen – bisher wurde kein einziger Migrant aus den beiden Ländern übernommen. Bundeskanz­ler Christian Kern hatte zuvor zugesagt, dass Wien bereit sei, sich am Relocation-Programm zu beteiligen.

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[ Dragan Tatic ] Außenminis­ter Kurz beim Frontex-Besuch in Malta: „Wir müssen den NGO-Wahnsinn beenden.“

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