„Das wird sehr viel kosten“
Interview. Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger sieht sich nicht als Gegner, sondern als Vorreiter der Umstellung auf Primärversorgung. Wie er den Ärztemangel bekämpfen will.
Die Presse: Was erwarten Sie sich von der neuen Ministerin, Pamela Rendi Wagner? Artur Wechselberger: Ich glaube, sie wird das bestehende Konzept fortsetzen. Die Legislaturperiode läuft ja schon in 18 Monaten aus.
Das bestehende Konzept sieht einen Ausbau der Primärversorgung vor, mit Verbesserungen für Patienten wie längeren Öffnungszeiten und einem breiteren Angebot. Warum wehrt sich die Ärztekammer dagegen? Die Ärztekammer wünscht sich ein Mehr an Versorgung für die Patienten. Und gerade die Stärkung der Primärversorgung ist eines unserer jahrzehntelangen Ziele. Wir sind für die Primärversorgung und wollen im Grunde dasselbe wie das Ministerium.
Das haben Sie bisher nicht so kommuniziert. Im Gegenteil: Sie haben einen Krisengipfel einberufen. Das war eine Informationsveranstaltung über den Prozess der Umsetzung. Das ist unser Problem: Das dauert jetzt schon drei Jahre. Das Grundkonzept wurde im Juli 2014 beschlossen, und die Umsetzung lahmt. Sie lahmt, weil wesentliche Eckpunkte des Grundkonzepts von manchen Entscheidungsträgern unterlaufen werden.
Konkret gefragt: Was befürchten Sie? Es wurde versucht, über diese neuen Primärversorgungseinheiten den Gesamtvertrag zu unterlaufen. Das ist mittlerweise aus dem Weg geräumt. Derzeit ist es so, dass der Staat zu sehr in Strukturen denkt, und nicht daran, wie es gelingen kann, Ärzte, Psychotherapeuten und andere Dienstleister für ein flächendeckendes Primärversorgungssystem zu gewinnen. Wir haben derzeit ein funktionierendes Primärversorgungssystem, das ausgebaut gehört. Ganz so gut funktioniert es derzeit aber nicht, weil ein guter Teil der Versorgung in den Spitälern stattfindet. Sollte das nicht zu den niedergelassenen Ärzten verlagert werden? Bevor ich an Strukturen bastle, die ich wahrscheinlich nicht einmal mit Leben erfüllen kann, müsste ich mir den Kopf zerbrechen, was kostet der Ausbau der Primärversorgung im niedergelassenen Bereich. Welches Maß an Ausbau brauche ich, um dann wirklich sagen zu können, jetzt ist der niedergelassene Bereich so versorgungsfit, dass er Patienten aus den Krankenhäusern aufnehmen kann. Können Sie auch gleich die Antwort geben: Was kostet das? Sehr viel. Die Sozialversicherungen geben für den niedergelassenen Versorgungsbereich halb so viel aus wie für die Krankenhäuser. Wenn ich ähnliche Vorhalteleistungen haben möchte, muss ich Geld in die Hand nehmen. Ich brauche mehr Ärzte, und ich muss ihnen Leistungen bezahlen, die derzeit nicht bezahlt werden. Und es geht um die nicht ärztlichen Berufe, die bei Weitem noch nicht alle mit Kassenverträgen ausgestattet sind. Das alles wird sehr viel kosten. Aber: Diese großen Beträge werden zu einer Reduktion der Patienten in den Krankenhäusern führen, über diesen Effekt wird das Geld ja wieder zurückgeführt.
Das ist quasi ein Nullsummenspiel? Das wird es wohl nicht sein, man muss davon ausgehen, dass die Verbesserung der medizinischen Versorgung Geld kostet. Ich glaube auch, dass die Ökonomie zu viel in Spardimensionen denkt. Das ist ein falscher Ansatz. Das ist kein gesundheitsökonomischer Ansatz. Der braucht die Gesamtheit des Systems. Aber das Gesundheitssystem ist auch nicht so teuer, wie man immer tut: Wir liegen derzeit bei 10,5 Prozent des BIPs, der OECD-Schnitt liegt bei 9,9 Prozent.
Es zeichnet sich ein Ärztemangel ab. Wie wollen Sie dem begegnen? Durch Attraktivität und Motivation. Es werden genug Ärzte ausgebildet, aber die Absolventen sind nicht bereit, im öffentlichen Gesundheitssystem tätig zu werden, wie wir das brauchten.
Wie könnte das denn nach Ihren Vorstellungen gelingen? Es ist für viele nicht attraktiv, in einem System zu arbeiten, das überadministriert ist, das mit bürokratischen Hürden belegt ist, das Leistungs- und Honorareinschränkungen vorsieht. Das letzte Tüpferl auf dem i ist das Mysteryshoppen, bei dem ein verdeckter Ermittler der Krankenkasse das vertragskonforme Verhalten des Arztes kontrolliert. Wenn ich Wahlarzt bin, kommt der Ermittler nicht zu mir.
ZUR PERSON
Artur Wechselberger ist seit 2012 Präsident der Ärztekammer und seit 1990 Kammerpräsident in Tirol, wo seine Gruppierung – Verein unabhängiger Tiroler Ärzte – im Februar die absolute Mehrheit verteidigte. Im Juni stellt sich der 64-jährige Allgemeinmediziner der Wiederwahl in der Bundeskammer.