Königin der Nacht
J etzt ist das Kind keines, das sich überschätzt oder mit seinen Fähigkeiten angibt. Sogar bei Dingen, die es ziemlich gut kann, wie lesen oder zeichnen, behauptet es nie (soweit ich weiß halt), dass es dieses oder jenes besonders gut oder besser als andere beherrsche.
Wenn da nicht diese eine fundamentale Fehleinschätzung wäre. Das Kind ist nämlich davon überzeugt, dass es eine ganz vortreffliche Königin der Nacht aus der „Zauberflöte“sei. Deren berühmte Arien (Sie wissen schon, „Der Hölle Rache . . .“) singt das Kind derzeit nämlich sehr, sehr gern, im Glauben, diese klinge sehr sehr richtig, während sie eher, nun, sehr, sehr hoch klingt. (Wobei man, das muss man einräumen, sie dennoch zweifelsfrei erkennt.) Das kann ich wirklich gut, sagt das Kind also, und singt munter weiter, während dir daneben fast die Ohren abfallen und du dich nach diesen schalldämpfenden Fluglotsenkopfhörern sehnst. Und was sagst du da als Elternteil? Kind, das klingt nicht so gut? Bringst du natürlich nicht übers Herz. Versuchst es also lieber mit generellen Informationen („Das ist eine sehr schwierige Rolle, für die die Sängerinnen immer sehr lang üben müssen, bis das schön klingt“), deren Botschaft allerdings, weil zu subtil, nicht ankommt.
Ich war da als Kind ganz ähnlich, wenn ich mir statt Opernsängerinnen- doch eher Schlagerstarqualitäten eingebildet habe. Ich war nämlich Fan von Al Bano und Romina Power, deren Lieder ich im selbst erfundenen Italienisch („Sempre sempre tuttamente tu, sempre sempre isis temperamente“) und in der vollen Überzeugung, jederzeit mit ihnen auftreten zu können, gesungen habe. Bis ich einen Kassettenrekorder mit Aufnahmefunktion und Mikrofon zum Geburtstag bekommen habe, mich beim Singen aufnehmen konnte und ernüchtert feststellen musste, dass Romina Power und mich doch die eine oder andere Welt trennt. Ja, jetzt im Nachhinein scheinen mir die Motive, wieso ich genau in meiner „Sempre, sempre“-Hochphase einen Kassettenrekorder bekommen habe, sonnenklar.
Das Kind hat übrigens auch bald Geburtstag. Trifft sich ja gut.