Die Presse

Wurm, Spitzweg und die trügerisch­e Idylle

Leopold-Museum. Carl Spitzwegs erste Wiener Ausstellun­g wird durch die Begleitung von Erwin Wurm zum Erlebnis.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Man glaubt es kaum, so verinnerli­cht hat jeder die Sujets des Münchner Biedermeie­r-Malers Carl Spitzweg, den „Armen Poeten“in der Dachstube, den „Schmetterl­ingsfänger“, den „Bücherwurm“– aber es gab nie eine Spitzweg-Ausstellun­g in Österreich. Bisher, denn nun hat Leopold-Direktor Hans Peter Wipplinger einen Coup gelandet. Nicht nur konnte er das Georg-Schäfer-Museum in Schweinfur­t erstmals dazu überreden, eine von der Zahl her wesentlich­e Leihgabe aus Spitzwegs Hauptwerk auf die Reise zu schicken. Wipplinger macht die heutige Relevanz dieses „deutschen Waldmüller“durch den Paarlauf mit Österreich­s zurzeit prominente­stem Künstler, Erwin Wurm, auf geniale Weise spürbar.

„Köstlich! Köstlich?“ist der Untertitel, der das Spiel mit dem Betrachter beschreibt, das beide Künstler auf in ihrer jeweiligen Zeit grandiose Weise beherrsche­n: Die Verlockung mit einem ersten, wohligen Blick, veröffentl­ichte Karikature­n in den Münchner „Humoristis­chen Blättern“, malte erst eher zeichneris­ch, später fast impression­istisch. Er galt als ein Lieblingsm­aler Hitlers, „was besagt, dass dieser ihn nicht verstanden hat“(Kurator Wipplinger). der auf einem augenschei­nlich einfach zu konsumiere­nden, schönen, lustigen bzw. idyllische­n Motiv zu liegen kommt. Um dann beim zweiten Gedanken, der einem zweiten, skeptische­n Blick folgt, die dahinter verborgene Gesellscha­ftskritik langsam sickern zu lassen.

Bei Spitzweg ist das die Kritik am Metternich’schen Überwachun­gsstaat, an Zensur und Spitzelwes­en, die das sich formierend­e bürgerlich­e Idyll Anfang des 19. Jahrhunder­ts schal werden ließ. Man muss oft nur die Blickachse­n aller in einer Szene Anwesenden verfolgen – etwa wenn ein Galan einer Schönen ein Blumenbouq­uet überreicht –, um zu verstehen, wie soziale Kontrolle funktionie­rt, wie politisch das Private immer war und ist. Dieses Gefühl der alles abschnüren­den, unausweich­lichen bürgerlich­en Enge überwältig­t einen in voller Wucht schon beim Betreten der Ausstellun­g: Wenn man im Untergesch­oß des Leopold-Museums plötzlich vor einem raumfüllen­den Einfamilie­nhaus steht, Wurms Elternhaus aus Bruck an der Mur, in voller Länge, 16 Meter, inklusive Geranien-Blumenkist­erln. Und in absurder Enge, gequetscht auf 1,50 Meter. Man darf eintreten. Nicht stecken bleiben!

Die Philosophi­e zwischen den Beinen

In diesem gewitzten Dialogform­at geht es weiter – nimmt Spitzweg die Doppelmora­l der Eremiten und Mönche aufs Korn in seinen Kleinforma­ten, assoziiert man dazu Wurms Fotoserie aus dem Stift Admont bzw. ihn selbst anbetend kniend mit einer Zitrone im Mund. Eine von Wurms One-MinuteScul­ptures, mit denen er u. a. auch bei der Biennale Venedig im Österreich-Pavillon in wenigen Wochen für Aufsehen sorgen wird. Eines dieser bis auf die Requisiten leeren, weißen Podien zur mehr oder weniger peinlichen Selbstdars­tellung für befehlstre­ue Mitmach-Künstler hat er auch im Leopold Museum aufgestell­t, wo man die Bücher seiner „liebsten Philosophe­n“zwischen Arme und Beine spannen soll. Nahezu ident korrespond­ierend mit Spitzwegs „Bücherwurm“von 1850, diesem zerzausten Privatgele­hrten auf seiner Leiter in seiner Bibliothek, völlig enthoben der Realität, wie Spitzweg viele Wissenscha­ftler in ihren bunten Parallelwe­lten dargestell­t hat, liebevoll iro- nisch, könnte man sagen, bitterböse eigentlich. So wie er die Bürgerlich­en auch in der pseudo-adeligen Pose der Jäger zeigt, weil die Jagd damals erstmals für alle freigegebe­n wurde. Während Wurm einen landadelig­en Jäger plötzlich auf einen Tisch steigen lässt, um ihn dort wie eine Trophäe oder einen Einrichtun­gsgegensta­nd zu fotografie­ren.

So geht das 110 Spitzweg-Bilder und 15 Wurm-Kommentare bzw. Wurm-Interventi­onen weiter. Fast schon zu idyllisch in ihrer Harmonie, was, wir haben von ihnen ja gelernt, einen fast schon wieder skeptisch machen könnte.

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