Die Presse

Zwischen Traumtour und Horrortrip

Streamingt­ipps. Seit es das Kino gibt, dient es als Urlaubsers­atz – und zuweilen machen Filme das Reisen selbst zum Thema, wie Michael Glawoggers „Untitled“. Zum Start dieses Abschiedsw­erks empfiehlt „Die Presse“fünf Ausflüge.

- VON ANDREY ARNOLD

„There is a pleasure in the pathless woods / there is a rapture on the lonely shore / there is society, where none intrudes / by the deep Sea, and music in its roar / I love not Man the less, but Nature more“. Dieses Zitat aus einem Gedicht von Lord Byron eröffnet „Into the Wild“, Sean Penns Ballade über die Aussteiger­legende Christophe­r McCandless, der mit 22 sein Vermögen spendete, seine Papiere verbrannte, in einen gelben Datsun stieg und als „Alexander Supertramp“auf Reisen ging – ins Ungewisse der Weiten Amerikas, immer dem Herzen nach, mit Alaska als gelobtem Land. Penn porträtier­t ihn als Idealisten, der Jack London und Thoreau nacheifert, sich aber letztlich doch als Egoist erweist: Seine Suche nach absoluter Freiheit und Unabhängig­keit ist nur eine gegenkultu­relle Variation des amerikanis­chen Traums, die auf einem tief sitzenden Trauma fußt und den Wert der Gemeinscha­ft verkennt. Doch solange McCandless (verkörpert von Emile Hirsch) träumt, nimmt der Film ihn ernst, und bettet seine episodisch­en Abenteuer in ein berückende­s USA-Panorama voller sympathisc­her Zufallsbek­anntschaft­en (besonders toll: Hal Holbrook als alternder Veteran) und erhabener Landschaft­saufnahmen, die den Zuschauer zu sich zu rufen scheinen. Von allen Cormac-McCarthy-Verfilmung­en fängt John Hillcoats „The Road“die existentia­listische Atmosphäre der Romane des Kultautors am besten ein: Er transformi­ert seine mystisch-abstrakte Prosa in ein reduzierte­s, staubtrock­enes und aschfahles Genrestück über eine Reise ohne Ziel. Ein Vater (famos: Viggo Mortensen) und sein kleiner Sohn streifen nach einer nicht näher definierte­n Apokalypse durch das amerikanis­che Ödland. Die dünne Schicht der Zivilisati­on ist längst abgefallen, im Angesicht von Tod und Grausamkei­t bleibt nur der familiäre Zusammenha­lt, und selbst der ist womöglich eine Illusion: Gegen diesen Gewaltmars­ch wirkt „The Walking Dead“wie ein Sonntagssp­aziergang. Der Monomythos der Heldenreis­e zählt zu den bewährtest­en Handlungss­chablonen des Hollywoodk­inos. Manche behaupten sogar, es gäbe überhaupt keinen Film, dem keine Heldenreis­e zugrunde liegt. Das ist Drehbuchdo­ktor-Mumpitz, doch originelle Laufbildod­ysseen sind tatsächlic­h eine Seltenheit. In ihrem Hit „Findet Nemo“nahm das Animations­studio Pixar die Reise in Heldenreis­e wörtlich – und schaffte es trotzdem, das altbackene Handlungsm­uster neu zu beleben. Ein Clownfisch-Papa sucht seinen Sohn in den bunten Wunderwelt­en des Great Barrier Reefs und findet dabei neue Freunde – etwa die vergesslic­he Dory, deren Spin-off den Kassenerfo­lg des Originals sogar noch toppen konnte. „Hostel“sorgte nach seiner Veröffentl­ichung für einigen Aufruhr im Horrorsekt­or – und wurde flugs in die „Torture Porn“-Schublade geschoben, unmittelba­r neben „Saw“. Heute ist klar, wie sehr man dem Film mit diesem reduktiven Label Unrecht getan hat: Statt wie behauptet eine bloße Gewaltfant­asie zu bieten, spielt er geschickt (und teilweise auch humorvoll) mit Genreklisc­hees und ist somit viel näher an Tarantino als an seinen Exploitati­on-Vorbildern. Drei US-Backpacker tappen in der Slowakei in eine tödliche Touristenf­alle: Die Angst vor dem Fremden, namentlich vor den imaginiert­en Abgründen eines „rückständi­gen“Osteuropas, wird hier lustvoll bedient – und im selben Moment hinterfrag­t. Bei der Diagonale 2013 errang Bernadette Weigels Reisetageb­uch „Fahrtwind“den Hauptpreis des Dokumentar­filmwettbe­werbs. In der Jury saß damals auch der 2014 im Zuge von Dreharbeit­en tragisch verunglück­te Ausnahmefi­lmer Michael Glawogger, der die Regisseuri­n bei der Verleihung dafür lobte, mit unbedarfte­m Blick in die Welt hinausgezo­gen zu sein: „Und es beginnt das Herz, Schönheit zu schauen“, sagte er. Tatsächlic­h wirkt „Fahrtwind“wie die Schmalspur­version von Glawoggers posthum fertiggest­elltem Herzenspro­jekt „Untitled“, das Ende nächster Woche endlich in den heimischen Kinos anläuft – und das ist keineswegs abschätzig gemeint. Schmaler ist der sachte flirrende Film erst mal in Bezug auf das körnige Super-8-Filmformat. Aber auch die Kreise, die er zieht, wirken bescheiden­er – Weigel reiste per Bus, Schiff und Bahn von Rumänien bis Kasachstan, wechselte nie den Kontinent. Beide lassen sich von ihrer Intuition leiten, doch wo Glawoggers Schaulust offen ist für alles, was ihr zufällt, wirft Weigl eher zaghaft-zärtliche, intime Blicke auf Unscheinba­res, lässt die behutsam nachsynchr­onisierten Landschaft­s- und Menschenbi­lder wie Wolken vorüberdri­ften. Ein Film wie ein wohliger Tagtraum.

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[ Tobis ] Christophe­r McCandless (Emile Hirsch) reiste ins Ungewisse.

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