Die Hügelgräber von Zentraltibet
Der Glaube ans Paradies prägte über viele Jahrhunderte Tibets Bestattungskultur. In der Landschaft verborgene Gräber geben Aufschluss über Sozialstrukturen, Mythen und Eigentümlichkeiten der vorbuddhistischen Kultur.
Mit Tibet wird landläufig Buddhismus assoziiert. Die Weltreligion und ihre religiösen Symbole tragen heute wesentlich zur Faszination des Landes bei. Für den Wiener Sozialanthropologen Guntram Hazod von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist diese Sicht jedoch vordergründig: „Tatsächlich machen eine ältere Zeit und Kultur Tibet so speziell.“Die Hügelgräber, die er mit seinem Team – unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF – untersucht hat, bieten eine Fülle von Informationen über soziale Strukturen und Kultur der frühen tibetischen Gesellschaft.
Sie stammen aus vorbuddhistischer Zeit mit Anfängen im 4. Jahrhundert, als in Tibet keine Zentralreligion existierte, sondern eine Kultur, die das soziale Leben eng mit religiösen Elementen verknüpfte. Erst im 8. Jahrhundert wurde der Buddhismus zur Staatsreligion im tibetischen Reich erklärt, das Anfang des 7. Jahrhunderts aus Kleinfürstentümern entstanden war. Die Standorte der Hügelgräber befinden sich überwiegend in Zentraltibet, d. h. im Gebiet rund um Lhasa und die Seitentäler des Brahmaputra in der heutigen Autonomen Region Tibet der VR China. Sie liegen in landwirtschaftlich nicht nutzbaren Zonen, meist unweit der Dörfer.
Satellitenaufnahmen der Orte
Manche befinden sich auch auf Berghöhen bis zu 4700 Metern. Über 500 Felder wurden bisher registriert. Sie zeigen gewöhnlich eine Mischung aus größeren, aus Stein und Erde errichteten Elitegräbern neben einfachen kleineren runden Grabanlagen.
Die große Anzahl von Hügelgräberorten stellte sich erst nach und nach bei Hazods Feldforschungen heraus. Er führt seit den 1990er-Jahren, meist mit tibetischen Kollegen, ethnografische Erhebungen durch. Wichtig sind dabei Satellitenaufnahmen, bei denen die Höhenlage und weitgehend waldlose Gebiete eine ziemlich exakte Identifizierung der Grä- berorte zulassen. „Genauere Vergleichszahlen fehlen uns, aber vermutlich handelt es sich um die dichteste historische Hügelgräberlandschaft der Welt“, meint Hazod. Größere Lücken zwischen den einzelnen Gräberfeldern weisen allerdings darauf hin, dass diese Form der Bestattung nicht die einzige war und ältere Formen, wie das Aussetzen der Leichname auf Berghöhen oder in Höhlen, weiter praktiziert wurden.
Neben den seit Langem bekannten 130 Metern langen Königsgräbern existieren Grabanlagen bis zu 80 Metern. Sie werden alten aristokratischen Familien zugeordnet, die als militärische und zivile Führungskräfte dienten. Charakteristisch für diese Gräber ist ihr trapezförmiger Grundriss, der die Bauten an die Topografie der Bergkulisse angepasst erscheinen lässt und sie von Weitem nur schwer erkennbar macht.
„Unser Projektteam hat 60 dieser peripheren Felder besucht und oberflächenarchäologisch beschrieben“, sagt Hazod. Daran be- teiligten sich Mitarbeiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro). Allerdings konnten die technischen Mittel, die heute der nicht invasiven prospektiven Archäologie zur Verfügung stehen, nur in beschränktem Maße angewendet werden. Westliche Wissenschaftler erhalten nämlich keine Genehmigung für archäologische Erhebungen in der Autonomen Region Tibet. Die Gräber sind alle geöffnet und geplündert worden, vermutlich schon sehr früh nach dem Zer- fall des Reiches. Einige Anlagen wurden später zerstört und oft bis zum Grabboden aufgerissen. Das erlaubt den Forschern Einblicke in die innere Welt der Hügelgräber und liefert Anhaltspunkte für architektonische Rekonstruktionen.
Die politischen Verhältnisse in Tibet machen die Arbeit im Feld äußerst schwierig. Eine große Rolle spielte bisher für die Wiener TibetForschung die Kooperation mit tibetischen Kollegen, die seit 1995 in offiziellen Abkommen zwischen der ÖAW und der Tibetischen Akademie für Sozialwissenschaften in Lhasa gepflegt wurde. Sie wurde vor einiger Zeit von chinesischer Seite nicht mehr erneuert.
Himmel und Sternbilder
Hazod und seine Kollegen hoffen auf eine baldige Revitalisierung der Beziehungen; denn ein Antrag auf Fortsetzung der Untersuchungen liegt schon vor. Es wird darum gehen, inwieweit sich die Ausrichtung der Gräber an der Himmelsrichtung und den Sternbildern orientierte. Experten der Archäoastrono- mie vom LBI ArchPro sollen daran mitwirken. Ausgehend von der Hypothese, dass für die Eliten ein gemeinsames Konzept vom Paradies galt, wollen Hazod und sein Team untersuchen, ob die „Architektur der Gräber und die Orientierung innerer Elemente wie Grabkammern mit dieser Vorstellung der himmlischen Jenseitswanderung in Einklang standen“.
der hochgelegenen und großteils waldlosen Gebiete Zentraltibets erlauben eine ziemlich exakte Identifizierung der Hügelgräberfelder und dienen als erste Informationsquelle zur Bestimmung des topografischen Umfelds und der Siedlungsarchäologie.
wie die Structure-from-Motion-Aufnahmen und ihre Auswertung in speziellen Computerprogrammen liefern 3-D-Bilder der Gräberorte: mit oft erstaunlichen Zusatzinformationen, die Ausgangpunkt für genauere Nachforschungen bilden.