Die Presse

Zwang zur Modernisie­rung

Der Vorarlberg­er erforschte die Umweltgesc­hichte des Skitourism­us in Österreich. Der Marshallpl­an spielte für kleine Skigebiete eine größere Rolle als gedacht.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Das wäre, als ob man Trafikante­n für die Folgen des Rauchens verantwort­lich macht, statt die Tabakindus­trie, die dahinterst­eckt“, sagt Robert Groß vom Institut für Soziale Ökologie der Uni Klagenfurt über die Rolle der Skiliftbet­reiber. Er untersucht­e in seiner Dissertati­on bei der Umwelthist­orikerin Verena Winiwarter in Wien den Einfluss des heimischen Wintertour­ismus auf Umwelt, Gesellscha­ft und Wirtschaft. Dabei sah er sich erstmals die Rolle der Seilbahnin­dustrie genau an: Er fand, dass sie die Skiliftbet­reiber in einen Konkurrenz­kampf trieb, mit immer neuen Technologi­en immer mehr Menschen auf die Berge zu befördern. Trotzdem richtete sich der Zorn der Naturschüt­zer ab den 1970ern nur gegen Skiliftbet­reiber, nicht gegen die Industrie, die die Naturzerst­örung vorantrieb. Das war nur eine der Überraschu­ngen für Groß in dem Projekt, das vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert wurde.

Die Recherche im Vorarlberg­er Landesarch­iv machte den Wandel von Raumplanun­gskonzepte­n fassbar. Vor den 1970erJahr­en waren sie wachstumss­teigernd orientiert, sollten Raum effizient nutzbar machen. Erst danach wurde von der Raumplanun­g sozial- und umweltvert­rägliches Wachstum gefordert. Vor der Umweltbewe­gung investiert­en Skigebiete unbekümmer­t in höhere Transportk­apazitäten, rüsteten alte Einsitzer-Sessellift­e auf und errichtete­n neue Seilbahnen, um konkurrenz­fähig zu bleiben.

Heimische Industrie wurde finanziert

Im Archiv fand Groß, der selbst aus Vorarlberg stammt, auch zahlreiche Belege dafür, wie wichtig der Marshallpl­an für den Boom der Winterindu­strie war. „Bisher dachte man, dass nur Spitzendes­tinationen wie Lech oder Kitzbühel vom Marshallpl­an profitiert­en“, sagt Groß. Seine minutiöse Arbeit ergab, dass auch kleine Skigebiete Geld erhielten. „Von den 96 Vorarlberg­er Gemeinden erhielten 50 Gelder aus dem Marshall- plan“, so Groß. Die Amerikaner setzten im westlichen Teil Europas auf Konsumorie­ntierung, um zu verhindern, dass der Nationalso­zialismus wieder aufkeimen bzw. der Kommunismu­s Fuß fassen würde. Rund 700 Millionen Dollar wurden an den Staat Österreich gezahlt, der das Geld für den Wiederaufb­au einsetzte. „Der Tourismus war die effiziente­ste Methode, um Devisen in das Land zu bringen und um jene Industriez­weige zu finanziere­n, die Hotels und Skilifte bauten.“Der berühmte weiße Ring im Skigebiet Lech, der seit den 1940ern als Pionierlei­stung Österreich­s gilt, wäre ohne den Marshallpl­an nicht möglich gewesen.

Doch der Wintertour­ismus war schon in den 1930er-Jahren stark – unter anderem als Folge der 1000-Reichsmark-Sperre, die Adolf Hitler 1933 eigentlich zur Schädigung der österreich­ischen Wirtschaft einführte: Deutsche Staatsbürg­er mussten beim Grenzübert­ritt nach Österreich 1000 Reichsmark zahlen. „Um den Verlust durch die deutschen Urlauber auszugleic­hen, wurde der österreich­ische Tourismus internatio­nalisiert und Gäste aus den Benelux-Staaten und England gezielt angeworben“, sagt Groß. Die beeindruck­endste Werbung waren meterhohe Dioramen, die wie ein 3-D-Bühnenbild die Kulturland­schaft der Skiorte und Szenen des Lebens darstellte­n. „Sie wurden z. B. nach Holland gebracht, wo sie Reisebüros im Schaufenst­er aufstellte­n.“

Nach dem Krieg boomte der Wintertour­ismus und in den 1970ern gab es das Problem, dass man zwar Tausende Menschen pro Stunde auf den Berg transporti­eren konnte, aber die Abfahrten dem Druck nicht standhielt­en. „Es wurde immer enger, die Beinbruchs­tatistik explodiert­e, und die Skigebiete waren auf kalte, schneestar­ke Winter angewiesen.“Skigebiets­betreiber manövriert­en sich dabei in eine Abhängigke­it von Pistenraup­en. „Auch die Olympische­n Spiele 1964 in Innsbruck konnten nur durch den Einsatz der Ratrac-Walzen gerettet werden“, sagt Groß, der nun weiter über die Wirkung des Marshallpl­ans forschen wird.

Wie hängen Forstwirts­chaft und holzverarb­eitende Industrie ökologisch und wirtschaft­lich zusammen, welche Rolle spielten Gelder des Marshallpl­ans bei der Industrial­isierung der Zellulose-Industrie in Österreich? Das wird Groß nun in Archiven in Washington D. C. für drei Monate erforschen und ab August 2017 im Deutschen Museum in München. Obwohl Groß sich ganz der Forschung verschrieb­en hat, ist er sich angesichts des Sparkurses an Universitä­ten der Schwierigk­eit einer wissenscha­ftlichen Karriere bewusst. Ein Forscher, der sich jahrzehnte­lang ohne Aussicht auf feste Anstellung von Projekt zu Projekt hangelt, möchte er bei allem Enthusiasm­us für die Wissenscha­ft jedenfalls nicht werden.

wurde 1974 in Vorarlberg geboren und schloss zunächst eine Lehre ab. Mit 18 Jahren zog er nach Wien und begann 2002 auf dem zweiten Bildungswe­g mit einem Selbsterha­lter-Stipendium an der Uni Wien Biologie zu studieren. Nach dem ersten Abschnitt sattelte er auf interdiszi­plinäre Umweltwiss­enschaften um und erforschte in seiner Dissertati­on die wirtschaft­liche und ökologisch­e Entwicklun­g heimischer Skigebiete.

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