Die Ohnmacht der vierten Macht
Q„Die Türkei kehrt unter Erdogan in die Zeit vor der Französischen Revolution zurück“, warnt Kilicdaroglu.¸ „Die Macht des Staatspräsidenten wäre mit der Verfassungsänderung nahezu unbegrenzt.“Er glaubt, dass Erdogan bereits 90 Prozent der türkischen Medien gleichgeschaltet habe. „Aber das ist ihm immer noch nicht genug. Es ist eine Schande, dass in unserem Lande die Medien, die eigentlich als vierte Macht im Staat die Regierenden kontrollieren sollten, diese Funktion nicht mehr ausüben können.“Auch das Justizsystem stehe unter „völliger Kontrolle der Regierung“, so der Chef der größten Oppositionspartei. Viele Richter und Staatsanwälte seien bereits entlassen worden. Die verbliebenen hätten Angst, dass sie bei Freisprüchen selber in die Nähe der Gülen-Bewegung gerückt werden.
Wie sehr Erdogan auf die ohnehin schon weitgehend angepassten Medien durchgreift, zeigte sich Anfang März. Da wurde der Chefredakteur der Zeitung „Hürriyet“auf seine Forderung hin gefeuert. Erdogan war über eine Titelzeile eines Artikels, der Ende Jänner erschien, so erbost, dass er den Druck auf die Eigentümer, den Dogan-Medienkonzern, so lange erhöhte, bis diese nachgaben. Grund für den Zorn: Die Schlagzeile „Der Generalstab ist besorgt“war schon einmal vor dem Militärputsch 1980 erschienen. Erdogan vermutete daher einen weiteren versteckten Aufruf ans Militär.
Im Auftrag unserer Medienfreiheits-Organisationen wollten wir auch Vertreter der Regierung und des Verfassungsgerichts treffen, doch Termine wurden abgesagt, ebenso unsere Ansuchen abgelehnt, Journalisten in der Haft zu besuchen. Bei einer Pressekonferenz stellten wir unsere Forderungen – allen voran die Freilassung der inhaftierten Journalisten – vor. Ein Journalist einer linientreuen Zeitung stellte die Frage, warum wir uns nicht auch um die Medienpolitik von US-Präsident Donald Trump kümmerten. Die Kollegin von „Article 19“verwies auf eine entsprechende Resolution zu Trumps Attacken gegen Medien. „Internationale Medienfreiheits-Organisationen kritisieren US-Präsident Trump“, hieß es am nächsten Tag in einer Kurzmeldung in der regimetreuen Zeitung. Unsere Kritik an Erdogans Politik kam mit keinem Wort vor.