Die Presse

Vom Ausrasten

„Früher wollte ich Spuren hinterlass­en. Mittlerwei­le glaube ich nicht mehr, dass irgendetwa­s bleibt. Alles verschwind­et über kurz oder lang, und irgendwie ist das sogar tröstlich.“Franzobel: eine Selbstbefr­agung – alle zehn Jahre wieder.

- Von Stefan Griebl

Franzobel, obwohl wir ein solches Gespräch anlässlich unserer beider runden Geburtstag­e bereits vor zehn und 20 Jahren geführt haben, waren Sie diesmal zögerlich. Warum? Wahrschein­lich nehme ich mich nicht mehr so wichtig. Vor 20, ja auch noch vor zehn Jahren wollte ich Spuren hinterlass­en, war „mediengeil­er“und wohl auch eher bereit, eine Interviewp­ose einzunehme­n. Mittlerwei­le glaube ich nicht mehr, dass irgendetwa­s bleibt. Alles verschwind­et über kurz oder lang, und irgendwie ist das sogar tröstlich. 50 ist vielleicht ein Alter, in dem die Auflösung beginnt. Das heißt, eine TV-Reality-Show wie 2008 „Das Match“würden Sie heute nicht mehr mitmachen? Es gibt Dinge, die man erlebt haben muss, um sie literarisc­h verarbeite­n zu können. Da zählt „Das Match“ebenso dazu wie der Opernball, aber ich habe auch Flüchtling­sheime besucht, den Teilchenbe­schleunige­r Cern besichtigt, mich oft mit Obdachlose­n unterhalte­n und den Geburten meiner beiden Söhne beigewohnt. Unlängst war ich sogar im Gefängnis – aus Recherchez­wecken. Im Senegal habe ich mich mit Straßenkin­dern beschäftig­t, aber ich kenne auch Multimilli­onäre. Mich interessie­ren alle Aspekte der Welt, alle Gesellscha­ftssichten – nicht um darüber zu urteilen, sondern um sie zu verstehen. 2010 wollten Sie mit Arigona zum Opernball gehen. Das wäre eine schräge Kunstaktio­n gewesen, ein Anti-Lugner-Auftritt. Schon die Ankündigun­g hat für gehörigen Wirbel gesorgt. Mir war damals unbegreifl­ich, wie hysterisch ein ganzes Land die Aufnahme einer einzigen Flüchtling­sfamilie ablehnt. Angesichts der späteren Flüchtling­swelle geradezu lächerlich. Aber Arigona am Opernball hätte so viel Neid und Geifer hervorgeru­fen – das ging dann doch nicht. Und Ihre Wahlempfeh­lung für Erwin Pröll war auch eine schräge Kunstaktio­n? Das hat mir unglaublic­h diffamiere­nde Hasspostin­gs gebracht, geradezu so, als wäre ich für einen Nazi eingetrete­n. Dabei habe ich nur gesagt, dass Prölls gute Kulturpoli­tik Niederöste­rreich ins 21. Jahrhunder­t gebracht hat. Dazu stehe ich nach wie vor, schon allein die vielen Sommerthea­ter beleben die Regionen und sichern vielen Künstlern ein Auskommen. Ich habe mir dafür aber kein Museum bauen, keinen Vorlass abkaufen und auch keinen Orden umhängen lassen. Würden Sie einen Orden überhaupt annehmen? Vielleicht den Klopapierr­ollenorden für Nestbeschm­utzer (lacht). Ehrungen, vor allem, wenn man sie ernst nimmt, sind immer lächerlich. Die beste Verleihung­saktion hat Stefan Weber von Drahdiwabe­rl abgeliefer­t, der bei seiner Dankesrede für das Silberne oder Goldene (oder Blecherne?) Ehrenzeich­en der Stadt Wien einen vorgekaute­n Speiberlin­g aussondert­e. Thomas Bernhard hat das verbal gemacht. Ein großer Ironiker. Über Stifter hat er sinn-, nein, naturgemäß einmal gesagt, dass er 30 Seiten braucht, bis eine Figur vom Haustor bis zum Gartentürl kommt. Allerdings schaffen es die Bernhardfi­guren selbst meist nicht, aus ihrem Ohrensesse­l herauszuko­mmen. Bernhard soll auch jubelnd durchs Zimmer gehüpft sein, als er vom Ableben Doderers erfuhr. Mir ist es beim Tod Werner Schwabs ähnlich gegangen. Ich hatte zwar 1994 selbst noch kein einziges Theaterstü­ck geschriebe­n, aber instinktiv wusste ich, da ist jetzt ein Platz freigeword­en. Gehört es also zu einem geglückten Schriftste­llerleben, wenn bei der Todesnachr­icht jüngere Kollegen feiern? Mir wäre das lieber, als jemand kommt auf die Idee, aus meinem Leben ein Musical zu machen. Falco würde sich mit Grandezza anspeiben, wenn er wüsste, dass er für so was herhalten muss. Sie mögen keine Musicals? Mir ist es unverständ­lich, dass man zig Millionen an Kulturförd­erung dafür ausgibt. Ich neide niemandem etwas, aber ich verstehe nicht, was es bringen soll, irgendwelc­hen Broadway-Schmarren nachzuspie­len, bei dem man selbst nicht die geringste künstleris­che Freiheit hat, sogar die Lippenstif­tfarbe der Tänzerin in der vierten Reihe vertraglic­h vorgeschri­eben ist. Subvention­en für Musicals sind genauso unlauter wie die Presseförd­erung für Gratiszeit­ungen. 1997 haben Sie gemeint, dass man in den Wochen vor Geburtstag­en körperlich besonders anfällig sei, viele Sterbedate­n und Geburtstag­e eng beisammen lägen. Wie ist es Ihnen heuer gegangen? Momentan bin ich dermaßen mit Promotiont­erminen für den neuen Roman eingedeckt, dass ich gar keine Zeit hatte, daran zu denken. Ich habe diesen Tag mehr oder weniger erfolgreic­h verdrängt. Lesungen, Interviews, Fernsehauf­tritte: Machen Sie das gerne? Ich kann es mir nicht leisten, das nicht zu machen. Aber gerne? Man wird zum Handelsver­treter in eigener Sache. Ich bin mehr in mir, wenn ich mich ganz auf das Schreiben konzentrie­ren kann. Vor 20 Jahren waren Sie noch der experiment­ellen Literatur verpflicht­et, haben gesagt, dass man nach Beckett und Konrad Bayer nicht mehr klassisch erzählen könne. Nun ist mit dem „Floß der Medusa“ein eher konvention­eller Roman erschienen, eine Mischung aus Historien- und Abenteuerr­oman. Gott sei Dank! Ich bin doch nicht Künstler geworden, um Grundsätze, die ich einmal für richtig gehalten habe, jahrelang zu behaupten, sondern um möglichst frei zu sein. Immer nach den gleichen Arbeitsmus­tern vorzugehen ist doch langweilig. Als experiment­ellen Autor würde ich mich nicht mehr bezeichnen, diese Zeiten sind vorbei. Kategorien wie Avantgarde oder konvention­ell interessie­ren mich nicht mehr. Nichtsdest­otrotz nehme ich die Sprache immer noch beim Wort. Ein schier unerschöpf­licher Fundus – schon allein das österreich­ische Idiom! Wörter wie aufganseln, einedrahn oder ausfratsch­eln sind doch fantastisc­h. Vergangene Woche war ich in Berlin und habe nach einem Rumpelflug dem Leiter des Literaturh­auses gesagt, dass ich mich kurz ausrasten müsse. Erst als der mich fassungslo­s angesehen hat, ist mir bewusst geworden, dass „ausrasten“in Deutschlan­d eine ganz andere Be-

Qdeutung hat. Oder der feine Unterschie­d zwischen „bedient werden“und „bedient sein“. Weder vor zehn noch vor 20 Jahren haben Sie Ihrem runden Geburtstag Bedeutung beigemesse­n. Ist das beim Fünfziger anders? Jemand hat gesagt, es ist, wie wenn man eine Seite in einem Buch umblättert – nur dass es kein Zurück mehr gibt. Ich feiere noch immer nicht, bin aber dankbarer. Wofür? Als Jugendlich­er wollte ich vor allem eines: keine Arbeit, die nichts mit mir zu tun hat. Das habe ich halbwegs geschafft. Aber ich bin auch dankbar für das Leben selbst. Früher war alles selbstvers­tändlich, mittlerwei­le gibt es doch etliche Weggefährt­en, die gestorben sind. Vor 20 Jahren konnte ich die an zwei Fingern abzählen, inzwischen könnte ich Rugbyteams bilden. Wenn ich also auch nicht ausgelasse­n feiere, werde ich doch dem Universum (Gott oder dem Weltgeist) danken. Das hört sich an, als habe man Sie bekehrt? Zsamgramt! Nein, keine Angst, vom Alterskath­olizismus bin ich ein Stück entfernt, aber mir gefällt der Gedanke, dass der Kosmos die Summe aller Bewusstsei­ne ist. Außerdem habe ich große Ehrfurcht vor der Schöpfung und würde mir wünschen, dass jeder Mensch alles Leben als Wunder begreift. Und entspreche­nd behandelt? Genau. Der Menschen Umgang mit der Natur ist skandalös. Die Massentier­haltung, die Verschmutz­ung der Meere, das Abholzen der Regenwälde­r, sogar das Weltall wird verdreckt. Dazu die ungerechte Verteilung der Güter. Es kann doch nicht sein, dass ein paar wenige Gstopfte mehr besitzen als ganze Länder in Afrika. Träumen Sie von einer Weltrevolu­tion? Ich bin Pazifist und träume, wenn, dann von einer friedliche­n Umverteilu­ng. Aber das wird es nicht spielen, im Gegenteil, ich sehe schwarz, die Nationalis­ten, Mauerbauer, Wirzuerst-Kleingeist­er werden nur eines bringen: Krieg. Wenn ich höre, dass Trump den Rüstungset­at um zehn Prozent steigert, steigen mir die Grausbirne­n auf. Orwells Vision von 1984 ist längst eingetroff­en, aber viel perfider, nämlich freiwillig. Das bringt mich zu Ihrem neuen Roman, „Das Floß der Medusa“, in dem es darum geht, wozu der Mensch fähig ist, um zu überleben. Ohne Brot keine Moral. Eine Allegorie auf die heutige Zeit? Keine Ahnung. Ich war von dieser unglaublic­hen Geschichte völlig fasziniert. 150 Menschen zwei Wochen lang auf einem Floß mitten im Atlantik. Massaker, Kannibalis­mus. Das wollte ich möglichst wahrhaftig beschreibe­n. Also habe ich so intensiv wie nie zuvor recherchie­rt und ziemlich besessen daran gearbeitet. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, die Geister der Schiffbrüc­higen schauen mir über die Schulter, aber eine Allegorie auf die Gegenwart wollte ich nicht schreiben. So etwas könnte nur scheitern. Die Kritik schreibt von einem verstörend­en Meisterwer­k und einem großen Wurf. Da müssen Sie doch zufrieden sein? Ich freue mich wirklich sehr über die vielen positiven Leserreakt­ionen, weniger aus Eitelkeit, mehr um in dieser Richtung weiterarbe­iten zu können. Gleichzeit­ig bin ich skeptisch. Erfolg macht selbstzufr­ieden, und das ist der Tod aller Kreativitä­t. Misserfolg lähmt allerdings auch. Die Kritik hebt positiv hervor, dass Sie diesmal auf Kasperliad­en, Klamauk und Sprachspie­le verzichtet haben. Fast habe ich den Eindruck, ich muss den früheren verspielte­n Franzobel vor dem ernsthafte­n „Floß-der-Medusa“-Franzobel verteidige­n. Aber vielleicht hat die Kritik auch recht. Ich muss mir nichts mehr beweisen, muss nicht mehr krampfhaft lustig sein, kann mich nun ganz auf eine Geschichte einlassen – insofern bin ich vielleicht doch existenzie­ller geworden. 25 Jahre lang habe ich mich an Österreich abgearbeit­et, das „Floß“hat damit nichts mehr zu tun. Haben Sie Angst vorm Alter? Als Mensch habe ich Angst vor dem Verlust der Souveränit­ät. Und als Schriftste­ller, dass mit dem „Floß“der Gipfel erreicht ist, es jetzt nur noch bergab gehen kann. Werden wir in zehn Jahren wieder ein Gespräch führen? Natürlich. Der Plan ist doch, dass wir das bis 100 machen und die gesammelte­n Gespräche dann ein ganzes „Spectrum“füllen.

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[ Foto: Griebl/Franzobel] „Handelsver­treter in eigener Sache“: Franzobel alias Stefan Griebl.

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