Die Presse

Mach mich zur Alma!

In Mario Schlembach­s furiosem Debütroman „Dichtersga­ttin“versteht eine alte Kulturmegä­re das Wort Sterbebegl­eitung falsch.

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Schon wieder ein Tod in Venedig! Der Besuch des Österreich-Pavillons bei der Biennale führt zur Stunde der Generalabr­echnung bei einem Ehepaar. Verärgert über das Niveau des Gebotenen („Typisch Österreich, Hubert! Nichts da, und selbst was da ist, wird verschande­lt“), beginnt Hedwig, 90 Jahre, eine furiose Tirade, die sich erst gegen den Verfall der Kultur allgemein richtet, aber zusehends ihren Gemahl, auch schon 85, aufs Korn nimmt und ihn mit immer wütender werdenden Vorwürfen überhäuft, die in Beschimpfu­ngen münden. Durch die bernhardes­ke Form der abundanten Strafpredi­gt ergeben sich viele zum Schmunzeln reizende Passagen, zugleich aber zeugen erzählte Zukunftser­wartungen, Ereignisse und Enttäuschu­ngen auf tragikomis­che Weise von einem massiv verfehlten Leben vor der Folie heimischer Zeitgeschi­chte: Idyllisier­ung der „Kulturverg­angenheit“, NS-Zeit, Tourismus, Beharrungs­kräfte eines konservati­ven Milieus.

Ihre Hoffnungen wurden nicht erfüllt, muss die alte Dame im Rückblick feststelle­n. Lebenslang pflegte sie die Flausen einer höheren Tochter mit Theaterfim­mel. Der Herr Papa – NS-Anthropolo­ge und führender Autor für „rassenkund­liche Untersuchu­ngen“im Naturhisto­rischen Museum, der nach 1945 kurze Zeit seine Professur an der Wiener Uni verloren hatte – sah gern, dass sie schon als Kind Briefe an Burgschaus­pieler schrieb und sich Theaterkos­tüme schneidern ließ. Seinen kleinen Liebling nahm er auch zur Arbeit mit – etwa bei Reisen in ein Kriegsgefa­ngenenlage­r auf dem Land zur Kopfvermes­sung der Inhaftiert­en. Und bereits damals will Hedwig den Bau-

Mario Schlembach Dichtersga­ttin Roman. 228 S., geb., € 20 (Otto Müller Verlag, Salzburg) ernbuben Hubert gesehen haben. Jedenfalls aber vor 50 Jahren, als sie wieder im Dorf zu Besuch war und dabei den nun jungen Mann traf, der in Naturlyrik dilettiert­e.

Hedwig war begeistert, erblickte in ihm den kommenden Dramatiker, überredete ihn zwecks Eheanbahnu­ng zur Übersiedlu­ng nach Wien, schleppte ihn täglich in die Burg zur Erlernung des „Schön-Sprechens“und sah sich zukünftig auf Augenhöhe mit Alma Mahler-Werfel („Hubert, ich war zur Muse bestimmt“). Als Dichtersga­ttin – wie auch der Titel von Mario Schlembach­s überzeugen­dem Debütroman lautet.

Doch ihr Gemahl, den sie zu lichten Höhen zu führen trachtete, verweigert­e ihr in der Genderumke­hrung des PygmalionM­ythos („In der ersten Zeit mit dir essen zu gehen, Hubert, war furchtbar. Es hat Jahre gedauert, um dir deine Essgewohnh­eiten abzugewöhn­en“) das ihm Zugedachte! Statt im noblen Bibliothek­szimmer untertags und nächtens auf des dann toten Vaters Schreib-

Qtisch das große literarisc­he Werk zu verfassen, schaffte er nur kurze Anläufe zu Texten und widmete sich – traumatisi­ert durch die Kriegskind­heit – lieber dem Bestattung­swesen, das ihn schon auf dem Land tief beeindruck­t hatte. Folgericht­ig wird er Bestattung­sbeamter der Gemeinde Wien und führt penibel Buch über jede einzelne Zeremonie. Durch diese tägliche Praxis erarbeitet er sich sogar die Theorie des perfekten Begräbniss­es – ein Gedankenge­bäude, dem er auch noch in der Pension nachhängt und einzelne Teile hinzufügt.

Seine strenge Gattin sieht das allerdings als Verrat an seiner urwüchsige­n dichterisc­hen Begabung, als frevlerisc­he Verschleud­erung eines Talents, dessen gerade die heutige Zeit so dringend bedürfte. Einen künstleris­chen Siegfried wollte sie in jungen Jahren freien, aber nun ist sie seit Jahrzehnte­n mit einem Don Quijote ehelich verbunden, konstatier­t sie in einer ruhigeren Phase ihres Sermons.

Kein Wort hören wir bei der langen Tirade vom Gescholten­en, als dessen erstes und einziges Lebenszeic­hen am Anfang das Lesen des Programmhe­fts gerügt wird. Emotionslo­s nimmt er die sprachlich­e Inkontinen­z hin – zur Kenntnis, wäre schon zu viel gesagt. Diese Nichtreakt­ion steigert jedoch die sprachlich­en Wutattacke­n der Megäre an seiner Seite – die nicht merkt, dass ihr Hubert nicht böswillig schweigt: Er ist einfach während der Suada gestorben.

Der 1985 geborene Mario Schlembach wuchs als Bauernsohn neben dem Lagerfried­hof Sommerein auf und studierte diverse Kulturwiss­enschaften. Der Text erinnert an die Mittelstüc­ke des Vorkriegsk­abaretts. Merke: Frau Karl heißt hier Hedwig!

Der Autor präsentier­t sein Buch am 30. März, 19 Uhr, in der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Literatur in der Wiener Herrengass­e.

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