Die Presse

Das glücklose Haus

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Die Geschichte meinte es nicht allzu gut mit dem Haus, Planern und Bauherren brachte es kein Glück. Dabei hatte alles so schön begonnen. Oder auch wieder nicht. Die Ups und die Downs lagen nahe beieinande­r im Leben des Schriftste­llers Jakob Wassermann. Und auch in dem seines Architekte­n Oskar Strnad.

Wassermann war 1898 aus München nach Wien gezogen und schnell in den Kreis um Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsth­al integriert. Die Verehrung der jungen, exzentrisc­hen Julie Speyer mündete bald in eine Heirat, die dem mittellose­n Dichter ein sorgenfrei­es Leben durch die stattliche Mitgift der Braut versprach. Es kam anders. Das Geld war nach zehn Jahren aufgebrauc­ht, die Ehe, der vier Kinder entsprange­n, schon früher. Im Versuch zu kitten, was nicht zu kitten war, baute das Paar 1914 ein Haus in einem Grinzinger Weinberg. Finanziert wurde es von einem Gönner Wassermann­s – besser gesagt von dessen Frau, einer Verehrerin des Autors, die über ihre Mutter, eine geborene Rothschild, immensen Reichtum mit in ihre Ehe gebracht hatte.

Den Architekte­n vermittelt­e wohl Hugo von Hofmannsth­al, der selbst seine Stadtwohnu­ng von Strnad einrichten ließ. Es wurde ein epochales Haus, viel publiziert und wohl das schönste des Architekte­n, mit einem lichtdurch­fluteten weiß gestrichen­en Wohn-Ess-Musik-Raum, einem sonnigen Wohnhof und einer Dachterras­se mit Blick über die Stadt. „Innen praktisch und bizarr und theilweise sehr schön“fand es Schnitzler, den stolzen Hausherrn „wichtig, düster und mit Schlapfen“. Wenige Wochen nach dem Einzug lernte Wassermann, der Einladunge­n zum Missfallen seiner Frau allein wahrzunehm­en pflegte, bei Egon und Emmy Wellesz, Nachbarn aus der Kaasgraben-Siedlung, Emmys Schulfreun­din Marta Karlweis kennen. Wie 16 Jahre zuvor stellte wieder ein Sommer in Altaussee, in dem man sich näherkam, die Weichen für sein Leben.

Während Karlweis’ Ehe bald geschieden wurde, erreichte Wassermann erst nach langen Streiterei­en eine Trennung. Mithilfe zahlloser Anwälte versuchte Julie Wassermann-Speyer daraufhin, ihren Mann finanziell zu ruinieren. Trotz seiner Zahlungen häuften sich Schulden und Hypotheken, sodass ein Großteil des umgebauten und erweiterte­n Hauses vermietet werden musste. 1934 wurde das Haus versteiger­t und von der Sängerin Tini Senders und ihrem Mann erworben; es blieb bis vor wenigen Jahren im Besitz der Familie. Jakob Wassermann lebte unterdesse­n mit Marta Karlweis ständig in Altaussee, durch Unterhalts­zahlungen finanziell ausgehunge­rt, als Autor aber erfolgreic­h, womit der Wunsch nach einem repräsenta­tiven großen Haushalt mit Personal, wie ihn Thomas Mann und Hofmannsth­al führten, wuchs.

Schließlic­h vermittelt­e Hofmannsth­al dem Freund die Jahrhunder­twende-Villa des Literaten Leopold von Andrian, die einige Zeit zuvor an den Berater der Kunstsamml­e- rin Helene Kröller-Müller, Salomon van Deventer, verkauft worden war. Wassermann­s Selbststil­isierung als weltentrüc­kter armer Poet machte sich bezahlt, als er den Kaufpreis auf die Hälfte dessen, was Deventer einst bezahlt hatte, drücken konnte und auch die zweite Hälfte des Hauses in Form eines äußerst günstigen Kredits quasi geschenkt bekam – diesmal war der generöse Geldgeber Paul Goldstein, Generaldir­ektor der Depositenb­ank und enger Mitarbeite­r des berüchtigt­en „Finanzhais“Camillo Castiglion­i. Nach dem Konkurs der Depositenb­ank ent-

Qzogen sich Castiglion­i und Goldstein Haftbefehl­en durch die Flucht ins Ausland.

Im Sommer 1923 wurde Wassermann­s neues Haus von Paul Schultze-Naumburg umgebaut. Als Reformarch­itekt hatte er einst den Deutschen Werkbund mitbegründ­et. In den 1920er-Jahren radikalisi­erte er sich jedoch künstleris­ch und politisch und machte Hitler, Himmler und Goebbels zu seinen Freunden. Schultze-Naumburg wurde später einer der schlimmste­n Hetzer gegen die „entartete“Moderne in Kunst und Literatur. Der Gegensatz zum humanistis­chen, progressiv­en Strnad, der aus einem ähnlichen jüdisch-liberalen Milieu wie Wassermann kam, hätte kaum größer sein können – Wassermann wollte sich wohl auch ästhetisch vom unterdesse­n als „närrisch“betrachtet­en, verhassten Wiener Haus distanzier­en. Schultze-Naumburg hatte seinerseit­s immer wieder jüdische Bauherren – in Ebensee baute er 1909 das Landhaus des Berliner Bankiers und Mäzens Franz von Mendelssoh­n. Im Hause Wassermann-Karlweis wurde bald ein Sohn geboren, nach Wassermann­s Scheidung konnte geheiratet werden. Als einem von wenigen Autoren bot ihm sein Verleger Samuel Fischer das Du an, mit Manns und Hesses urlaubte man öffentlich­keitswirks­am in St. Moritz.

Nach der Machtergre­ifung Hitlers distanzier­te sich die neue Verlagslei­tung unter Samuel Fischers Schwiegers­ohn Gottfried Bermann Fischer von Wassermann. Zudem ließ seine erste Frau unter Berufung auf ausstehend­e Zahlungen Wassermann­s Verlagskon­to sperren. Wassermann musste fürchten, das Haus zu verlieren. In der Neujahrsna­cht 1934 starb er, angeblich nach einer von Fischer abgelehnte­n Bitte um einen Vorschuss. Marta Karlweis zog noch im Jänner nach Zürich, wo sie bei C. G. Jung ihr unterbroch­enes Psychologi­estudium fortsetzte. Von Julie Wassermann-Speyer, die in den Besitz des Hauses zu kommen versuchte, wurde sie mit Klagen überzogen. 1938 ebenfalls nach Zürich emigriert, mietete sich Wassermann-Speyer im gleichen Haus wie Karlweis ein, die nach ihrem Studienabs­chluss nach Kanada floh. Als die Altausseer Villa versteiger­t wurde, kaufte sie Leopold von Andrian zurück. Er musste sie 1939 wieder verkaufen und emigrierte nach Brasilien. Salomon van Deventer wurde wie SchultzeNa­umburg zum begeistert­en Nationalso­zialisten und setzte sich in der NS-Zeit an die Spitze des Kröller-Müller-Museums.

Oskar Strnads Glück wendete sich schon kurz nach dem Bau des Wassermann-Hauses, als nach einem Rechtsstre­it sein Bauherr Josef Kranz, Kriegsspek­ulant und einflussre­icher Freimaurer, ankündigte, dafür zu sorgen, dass der Architekt nie mehr einen Auftrag bekommen werde. Strnad baute tatsächlic­h nur noch wenig und arbeitete bis zu seinem Tod 1935 hauptsächl­ich als Bühnenbild­ner. Das Wiener Haus stand zuletzt längere Zeit zum Verkauf und begann zu verfallen, schließlic­h wurde es unter Denkmalsch­utz gestellt. Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End.

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