Nicht ohne mein Handgepäck
Flugreisen. Was erlaubt ist, was die Mitreisenden ärgert und wie kompliziert es werden kann, wenn Reisende Gepäck an Bord mitbringen. Dabei genügen doch Lesestoff und Taschentuch.
Es sagt schon ein wenig über Reisende aus, wie gut sie sich in Sachen Handgepäckregeln auskennen und wie ausgiebig sie dieses Wissen auch nutzen. Die einen kennen jede Kilogrammangabe, schwören deshalb auf Delta (unbegrenzt, solang man das Handgepäck ohne Hilfe in die Ablage wuchten kann) oder British Airways (23 Kilogramm – so viel wie der aufgegebene Koffer!) anstatt Condor (sechs Kilogramm). Andere verstehen nicht einmal ansatzweise, wozu man außer etwas Lesestoff und einem Taschentuch noch Gewicht an Bord schleppen muss, und finden ein mehr als gutes Auslangen mit den acht Kilogramm, die etwa bei Austrian und Lufthansa möglich sind.
Entsprechend unversöhnlich stehen sich Vertreter beider Gruppen beim Borden gegenüber – oder besser hintereinander. Das zeigte auch eine Umfrage der Verbraucherschutzplattform test.de: Das Gros der befragten 1000 Passagiere kritisierte, dass Mitfliegende häufig die Regeln missachteten und diejenigen, die später einsteigen, das Nachsehen haben. Weil sie entweder gar keinen Platz mehr für ihr Handgepäck finden oder dieses weit entfernt unterbringen müssen. Außerdem lösen die über den Köpfen verstauten Massen bei vielen Unwohlsein aus – wer will bei Turbulenzen schon einen voll beladenen Handgepäcks-Trolley auf den Kopf bekommen. Ein Grund für das Ausufern der Ta- schen und Koffer in der Kabine liegt in den geänderten Preisstrukturen vieler Airlines, die das Aufgeben eines Gepäckstücks zusätzlich verrechnen. Doch schon seit eh und je werden die Grenzen des Machbaren in Sachen Handgepäck ausgereizt. Einerseits von Geschäftsreisenden, die nach der Ankunft nicht am Band warten wollen, und andererseits von Touristen, die aus Shoppingparadiesen heimkehren. Dass hier fast jede Airline ihr eigenes Süppchen kocht, macht es nicht einfacher.
Erst im Vorjahr scheiterte der Weltluftfahrtverband IATA mit dem Versuch, bei seinen 250 Mitgliedsfluggesellschaften ein einheitliches System zu implementie- ren. Daher bleit es nach wie vor die Aufgabe des Passagiers, sich vor dem Abflug zu erkundigen, was die gewählte Airline erlaubt – und das regelmäßig, denn die Grenzen ändern sich immer wieder einmal. Das gilt übrigens auch für elektronische Geräte, wie aktuell das Verbot von Laptops auf Flügen von einigen Airports im Nahen Osten und Nordafrika in die USA beziehungsweise nach Großbritannien.
Die ganz hohe Schule
Richtig tricky wird es, wenn der Flug entweder ein Code Share ist – sich mehrere Fluglinien mit unterschiedlichen Handgepäcksregeln eine Maschine teilen – oder ein Multi-Airline-Flug, bei dem die ein- zelnen Teilstrecken von verschiedenen Airlines bedient werden.
Als Basis gilt für Multi-CarrierFlüge die IATA-Richtlinie 302, der zufolge die Regel des „most significant carrier“– also der wichtigsten Airline – gilt. Wobei „wichtig“ein dehnbarer Begriff ist, der auch in den IATA-Regeln diverse Erklärungen erfordert. So handelt es sich dabei nicht notwendig um die längste Teilstrecke, sondern um das erste Segment, das eine Grenze zwischen den drei IATA-Globalzonen Amerika/Europa, Naher Osten und Afrika/Asien überschreitet. Kommt diese Regelung mangels Fluglänge nicht zur Anwendung, gilt die Überquerung der IATA-Regionalzonen. Bleibt man innerhalb dieser Grenzen, gilt die erste internationale Strecke. Bei Code Shares gilt die sogenannte Marketing Airline – die Airline, deren Flugnummer auf dem Ticket steht – für die „most significant“Teilstrecke.
Wer allerdings am Gate nicht mit einem Mitglied des Bodenpersonals über regulatorische Feinheiten im internationalen Luftverkehr debattieren möchte, ist gut beraten, sich gewichtsmäßig auf das Maximum jener Airline auf dem Ticket zu beschränken, die den kleinsten Spielraum lässt. Oder eben zu riskieren, dass das Köfferchen dann am Gate doch noch den Weg in den Frachtraum findet – inklusive all der Dinge, die man an Bord so dringend gebraucht hätte. (sma)