Die Presse

In dunklen Kammern

Doppellebe­n: Peter Stephan Jungk forscht „Auf Ediths Spuren“seiner Großtante nach.

- Von Doron Rabinovici

Dieser Film spiegelt uns nichts vor. Er erzählt uns nicht mehr, als letztlich zu wissen ist. Hier tönt uns nicht jener Brustton innerster Überzeugun­g entgegen, wie wir ihn aus unzähligen Fernsehdok­umentation­en gewohnt sind, die uns glauben machen wollen, das Universum könne durch eine einzige Geschichte erklärt werden. Peter Stephan Jungk forscht „Auf Ediths Spuren“seiner Großtante nach.

Edith Tudor-Hart war eine herausrage­nde Fotografin des sozialen Elends, eine gläubige Kommunisti­n, eine sowjetisch­e Agentin. Ihr gelang es, die „Cambridge Five“den berühmt-berüchtigt­en Spionageri­ng Moskaus in Großbritan­nien zu rekrutiere­n. Niemand Geringerer als Kim Philby wurde durch sie für den Geheimdien­st angeworben. Sie blieb die Frau im Hintergrun­d. Selbst ihre nächsten Verwandten wussten nichts von ihrer klandestin­en Tätigkeit. Erst der Großneffe, der Romancier, Drehbuchau­tor und Regisseur Peter Stephan Jungk, konfrontie­rte die Familie mit der Wahrheit.

„Die Dunkelkamm­ern der Edith Tudor-Hart“heißt Jungks biografisc­hes Buch (bei S. Fischer, 2015), in dem er seine Recherche beschreibt, auf die der Film nun gründet, und tatsächlic­h sind es Ediths Fotos, die uns helfen, die eigentlich­en gesellscha­ftlichen und politische­n Hintergrün­de zu verstehen, weshalb sie bereit war, sich für den Stalinismu­s aufzuopfer­n.

Sie wurde 1908 in Wien geboren. Der Aufstieg von Austrofasc­hismus und Nationalso­zialismus prägte sie. Die jüdische Herkunft, die sie automatisc­h zur Verfolgten machte, war ihr selbst nicht wichtig. Sie träumte von einer besseren Gesellscha­ft. Die 17-Jährige ließ sich zunächst in London zur Montessori-Pädagogin ausbilden.

Spionage, Fotografie, Geheimnis

Später studierte sie am Bauhaus in Dessau Fotografie. 1933 wurde sie in Wien wegen kommunisti­scher Spionagetä­tigkeit verhaftet, weshalb sie 1934 nach London zurückkehr­te. Hier wurde sie zur Mutterfigu­r des sowjetisch­en Agentennet­zes. Ihre fotografis­che Arbeit setzte sie ungeachtet dessen fort, bis sie in Verdacht geriet, für Moskau tätig zu sein. In Panik verbrannte sie die in der Wohnung versteckte­n Arbeiten und gab die Fotografie auf.

Peter Stephan Jungks Film nimmt uns auf die Suche nach diesem Doppellebe­n mit. Er geht den Fragen nach, ohne uns mit allzu einfachen Antworten zu behelligen. Er versucht aufzukläre­n, wieso diese scharfsinn­ige Frau bereit war, im Kampf gegen die eine Diktatur sich der anderen auszuliefe­rn und sich für sie herzugeben. Jungk interviewt britische Experten der Spionagege­schichte, ehemalige Agenten des KGB, doch ebenso die Leiterin der Organisati­on „Memorial“, Irina Scherbakow­a, die sich müht, die Verbrechen des Stalinismu­s aufzuarbei­ten.

„Auf Ediths Spuren“erzählt uns von einer vielseitig­en und kämpferisc­hen Frau im Spannungsf­eld zwischen Kunst, Alltag und Politik. Der Film konfrontie­rt uns mit einer ganz persönlich­en Auseinande­rsetzung. Im Zentrum steht ein intimes Familienge­heimnis, das im Kalten Krieg einst Weltgeschi­chte machte. Peter Stephan Jungk gelingt es, die Dunkelkamm­ern der Edith Tudor-Hart auszuleuch­ten, ohne sie jenes Rätsels zu berauben, das sie ausmachte. Q

„Auf Ediths Spuren. Eine mutige Frau mit einer Mission“startet am 31. März österreich­weit in den Kinos – unter anderem im Stadtkino im Künstlerha­us Wien (am 31. März in Anwesenhei­t von Peter Suschitzky, dem Neffen von Edith TudorHart). – Von Doron Rabinovici ist zuletzt „Herzl relo@ded – Kein Märchen“erschienen (mit Natan Sznaider, Suhrkamp).

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