Die Presse

Schwarzenb­erg-Interview: „Wir müssen für unsere Verteidigu­ng bezahlen“

Tschechien. Ex-Außenminis­ter Karel Schwarzenb­erg über die EU, die Türkei, die Visegr´ad-Staaten – und Kanzler Kern.

- Von unserem Korrespond­enten HANS-JÖRG SCHMIDT

Prag. Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge plädiert Karel Schwarzenb­erg für eine Reform der EU. „Meine größte Angst rührt nicht von den äußeren Feinden – weder von Putin noch Trump –, sondern von der Unfähigkei­t zu Reformen. Das alte Österreich ist nach dem Ersten Weltkrieg auch nicht an den Alliierten oder an Masaryk und anderen zugrunde gegangen, sondern an der Reformunfä­higkeit in den letzten Jahrzehnte­n des 19. Jahrhunder­ts.“

Schwarzenb­erg appelliert in dem „Presse“-Interview an Brüssel, Prioritäte­n zu setzen. „Wir zitieren immer das Subsidiari­tätsprinzi­p, aber wir setzen es nicht durch. Wieso darf die köstliche Marillenma­rmelade aus der Wachau nicht mehr Marmelade genannt werden? Das ist alles so lächerlich, was da in Brüssel entschiede­n wird. Wir müssen aufhören, uns in Brüssel mit unwesentli­chen Dingen zu beschäftig­en. Wie in der katholisch­en Kirche gilt auch hier: semper reformanda. Da sind wir noch lange nicht am Ende.“

„Mogherini kann einem nur leid tun“

In der Außen- und Sicherheit­spolitik fehle es an einer klaren Linie, moniert der frühere tschechisc­he Außenminis­ter. „Die arme Frau Mogherini (die EU-Beauftragt­e für Außen- und Sicherheit­spolitik) kann einem nur leid tun. Sie hat keinerlei Kompetenze­n.“In dieser Frage habe US-Präsident Donald Trump nach Meinung Schwarzenb­ergs seinen Finger auf einen wunden Punkt gelegt. „Wir müssen, verdammt noch einmal, für unsere eigene Verteidigu­ng und Sicherheit endlich selbst zahlen. Dass wir Europäer die Nato über Jahrzehnte vernachläs­sigt haben, ist eine Schande. Unsere Ausreden sind etwas peinlich.“

Es sei „sonnenklar“, dass Europa eine unabhängig­e Streitmach­t brauche. „Wir werden andere Interessen als die USA haben. Wir haben heute schon die Probleme mit dem Nato-Partner Türkei. Und wir können unsere Streitkräf­te nicht durch ein Veto eines dieser Länder lahmlegen lassen.“

Mit Erdogan˘ Tacheles reden

Gerade in der Türkei-Frage tritt Schwarzenb­erg dafür ein, Tacheles zu reden. Sein Rat an europäisch­e Politiker angesichts der Provokatio­nen durch den türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ lautet zwar, Pokerface zu bewahren: „Mit laut brüllenden Männern kann man nur mit eiserner Ruhe verkehren.“Für ihn ist die Diskussion um Auftrittsv­erbote für türkische Minister im Ausland keine politische Frage, sondern schlicht eine der Manieren: „Wenn ich bei Ihnen in der Wohnung zu Gast bin, würden Sie etwas erstaunt sein, wenn ich das Fenster aufreißen und eine Rede an das Volk auf der Gasse halten würde.“

Man müsse der Regierung in Ankara die Grenzen aufzeigen – gerade auch im Fall des inhaftiert­en deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel. Zum Beispiel, so sein Vorschlag, könnte Deutschlan­d bei nächster Gelegenhei­t einen Mann einsperren, der Erdogan˘ nahesteht. „So lange, bis er schwarz wird. Und dann austausche­n. Man kann mit solchen Typen wie denen in Ankara nicht anders umgehen. Es muss für sie so schmerzhaf­t sein wie für Yücel.“Ob sie nun Erdogan,˘ Trump oder Le Pen heißen: „Ich habe etwas gegen Demagogen in der Politik. Sie sind nicht fähig, ihr Wort zu halten – manchmal Gott sei Dank – und machen die Politik unglaubwür­dig.“

Kritik an Kern und Hofer

Die oft vorschnell­e Verurteilu­ng der ostund mitteleuro­päischen Länder, vornehmlic­h von Polen, stößt Schwarzenb­erg sauer auf. Der Drohung nach einer Kürzung der Subvention­en im Streit um die Flüchtling­spolitik, etwa durch Kanzler Christian Kern, stößt bei Schwarzenb­erg auf Ablehnung. „Die Verdächtig­ungen gegenüber der Visegrad-´Gruppe sind geradezu lächerlich. Kein Mensch regt sich über die BeneluxLän­der auf, niemand stört sich an einer Kooperatio­n der Skandinavi­er. Und doch stehen wir im Ruf, die großen Zerstörer Europas zu sein.“

Kern vergesse, dass die Zahlungen Teil eines komplexen Vertragswe­rks seien. „Wir haben unsere Märkte geöffnet, und sie haben versproche­n, zu zahlen. Das heute infrage zu stellen, wäre eine etwas dubiose Moral.“Der Westen, allen voran Deutschlan­d, müsste mehr Verständni­s aufbringen. Die Entwicklun­g brauche eben eine gewisse Zeit. „Der Westen hat vor 50 Jahren ähnliche Probleme gehabt wie wir heute. Er hat es nur vergessen. Man soll nicht immer gleich so aufgebrach­t auf manche Dinge reagieren. In 100 Jahren hat sich das erledigt, heute noch nicht.“

Kritik übte er aber auch am früheren FPÖPräside­ntschaftsk­andidaten, Norbert Hofer, der die Visegrad-´Staaten nur aus antieuropä­ischem Kalkül umarmt habe. „Er wollte damit vor allem seine Kontra-Haltung zur EU zeigen. Er war und ist leider gegen die EU. Deshalb hat er Popularitä­t in den alten k. u. k. Ländern gesucht. Er unterlag demselben Irrtum wie Brüssel oder Berlin, dass Visegrad´ antieuropä­isch ist. Das Schicksal der Tschechen, Polen, Ungarn oder Slowaken lag Hofer dabei weniger am Herzen.“

Vehement spricht sich Schwarzenb­erg – und mit ihm seine Partei TOP 09 – dagegen für eine Einführung des Euro in Tschechien, einem „Herzland Europas“, aus. „Wir stehen wirtschaft­lich relativ gut da. Es wäre an der Zeit, dass wir den Euro-Antrag stellen.“Vor der Parlaments­wahl im Herbst sei dies zwar höchst unpopulär, konzediert er. Doch danach müsse die Regierung in Prag dazu die Courage haben. „Nur ein Trottel lässt sich selbst aus dem Verhandlun­gsraum ausschließ­en.“

Abrechnung mit Zeman

Mit seinem Intimfeind, Tschechien­s Präsidente­n Milosˇ Zeman, rechnet der ehemalige Havel-Berater ab. Er lässt keine Zweifel daran, dass Zeman 2018 noch einmal zur Präsidente­nwahl antritt. „Er hält es mit dem niederöste­rreichisch­en Landespoli­tiker Josef Steinböck, der gesagt hat: ,Solange i gehn koa, geh i net.‘ Das größte Problem ist, dass er sämtliche Prinzipien, auf denen die tschechisc­he Politik seit 1989 aufgebaut wurde, untergräbt und abschafft. Er kann Putin, den Herrscher aller Reußen, von mir aus dreimal im Jahr treffen. Ärger ist, dass er die Moral zerbricht. Er macht die Menschenre­chte lächerlich. Er übertritt rücksichts­los Gesetze und Vorschrift­en.“

Im Dezember wird Schwarzenb­erg seinen 80. Geburtstag begehen, von der Politik will er aber noch nicht lassen. Bei den Parlaments­wahlen wird er noch einmal antreten: „Es macht mir einfach Freude, gewissen Leuten noch ein bisschen auf die Nerven zu gehen.“

 ?? [ Jenis ] ?? Karel Schwarzenb­erg will noch weiter „auf die Nerven gehen“.
[ Jenis ] Karel Schwarzenb­erg will noch weiter „auf die Nerven gehen“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria