Leitartikel von Gerhard Bitzan
Geschichte. Dass vor sechzig Jahren die Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde, war weniger innerer Harmonie als äußeren Feinden zu verdanken.
Aber die Optimisten, nicht die Pessimisten, haben recht behalten. Konrad Adenauer, deutscher Bundeskanzler
Rom. Zuerst war da die Erkenntnis: Nach dem Zweiten Weltkrieg reifte in den europäischen Hauptstädten die Idee einer gegenseitigen Anbindung zum Schutz des Friedens. In seltener Harmonie entwickelten die ehemaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland 1951 die Basis der heutigen EU, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Wenige Jahre später war es mit der neuen Freundlichkeit schon wieder vorbei. Als vor genau 60 Jahren am 25. März 1957 die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unterzeichnet wurden, war nicht mehr die innere Vernunft, sondern der äußere Feind ausschlaggebend. Es ist wenig bekannt, dass noch kurz zuvor das Projekt fast gescheitert wäre.
Aber der Reihe nach: Die Kriegsschäden waren noch nicht behoben, da wurde 1950 der Plan für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft lanciert. Frankreichs Premier, Rene´ Pleven, legte ein Konzept vor, das Deutschland, die Beneluxländer und Italien einbinden sollte. Nach dem Modell der EGKS sollte auch die Verteidigung der wichtigsten europäischen Nationen vergemeinschaftet werden und damit die Gefahr für einen neuerlichen Krieg minimiert werden. Die Euphorie hielt aber nur kurz. Vier Jahre später lehnte die französische Nationalversammlung die Verteidigungsgemeinschaft ab.
Keine zehn Jahre nach dem Krieg schienen wieder nationale Interessen Oberhand zu bekommen. Das eben erst entwickelte europäische Modell kriselte. Es waren schließlich die Außenminister von Belgien, Paul-Henrik Spaak, und der Niederlande, Johann Willem Beyen, die sich nicht geschlagen geben wollten. Sie schlugen einen kontinuierlichen Abbau von Zöllen vor. Gemeinsam mit Deutschland wurde der Plan für eine wirtschaftliche Integration der europäischen Staaten weiterentwickelt. Auch Großbritannien sollte nach Spaaks Konzept daran teilnehmen. Das Ziel war ein gemeinsamer Markt, in dem keine Handelsbeschränkungen mehr bestehen sollten. Gleichzeitig wollten die Länder bei der Entwicklung der damals aufstrebenden Kernenergie enger zusammenarbeiten.
Aber London zeigte sich wenig euphorisch. Bald wurde außerdem klar, dass die Vorstellungen zwischen Frankreich und Deutschland in unterschiedliche Richtungen gingen. Die einen wollten einen möglichst großen gemeinsamen handelspolitischen Schutzwall nach außen, die anderen einen relativ offenen Markt, der bald weitere Länder einschließen könnte. Bonns Wirtschaftsminister Ludwig Erhard warnte sogar vor einer ökonomischen Inzucht der beteiligten Länder. Im Oktober 1956, als die Pläne für die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) schon weit gediehen waren, verstärkten sich die Spannungen. Paris forderte die Beibehaltung einzelner Schutzzölle und eine Angleichung der Löhne sowie der wöchentlichen Arbeitszeiten. Deutschland lehnte das strikt ab. Die Differenzen schienen unüberwindbar, als Deutschlands Bundeskanzler, Konrad Adenauer, im November ’56 nach Paris reiste, um bei Staatspräsident Rene´ Coty einen letzten Anlauf zur Rettung der EWG zu nehmen. Seit Wochen war er im E´lyse´e auf Widerstand gestoßen. Dass die französische Führung im letzten Moment doch
noch einlenkte, hatte weniger mit Adenauers Überzeugungsarbeit zu tun, als vielmehr mit den geänderten außenpolitischen Rahmenbedingungen. Denn Anfang des Monats waren sowjetische Truppen in Ungarn einmarschiert, um einen Volksaufstand niederzuschlagen. Die gleichzeitig stattfindende SuezKrise trieb die Interessen Großbritanniens, Frankreichs und der USA auseinander. Mit einem Mal schien die Nachkriegsordnung fragil zu werden, neue militärische Auseinandersetzungen waren greifbar nahe.
Geschlossenheit bewiesen
Adenauer konnte damit argumentieren, dass die Gründung der EWG eine neue Geschlossenheit der europäischen Staaten gegenüber den Großmächten beweisen würde. Das überzeugte schließlich auch Paris. Um der französischen Führung entgegenzukommen, die sich letztlich mit einem langfristigen Plan zur sozialen Harmonisierung in der EWG zufriedengab, willigte Adenauer in eine gemeinsame Verwaltung der Kernbrennstoffe ein. Auch ein weiterer Konflikt um die Einbeziehung der französischen Überseegebiete wurde schließlich beigelegt. Sie sollten mit gemeinsamen Mitteln gefördert werden.
Verhandelt wurde schließlich bis kurz vor der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Nur noch im Eiltempo konnten die Koalitionspartner und nationalen Parlamente eingebunden werden, was Verärgerung auslöste. Der ausformulierte Vertragstext selbst konnte wegen der Verzögerungen nicht einmal rechtzeitig fertiggestellt werden. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland übten zudem Medien Kritik am gefundenen Kompromiss, der nationale Interessen nun doch hintanstellte.
Als am 25. März 1957 die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Italien und den Beneluxstaaten in Rom zusammenkamen, setzten sie nicht nur ein Zeichen für die wirtschaftliche Integration. Sie haben bewiesen, dass Europa in unruhigen Zeiten zusammenrückt. Adenauer war erleichtert: „Noch vor Kurzem schien die Einigung, die wir jetzt vertraglich festlegen, vielen nicht wahrscheinlich. Aber die Optimisten, nicht die Pessimisten, haben recht behalten.“