Die Presse

Europa ist besser als sein Ruf

Europäisch­e Aktien. Während vor allem die US-Börsen neue Rekordhoch­s erklimmen, haben die anstehende­n Wahlen und neue Schuldende­batten viele Anleger von Europas Märkten abgeschrec­kt. Zu unrecht, meinen Experten.

- VON RAJA KORINEK

Die US-Börsen brummen, aber Anleger meiden Europa. Warum eigentlich?

Wien. Wenn man einer alten Börsenweis­heit trauen kann, dann sollten Anleger wohl Europas Aktienmärk­te näher in Betracht ziehen. Denn hier sehen Marktexper­ten reichlich günstige Kaufgelege­nheiten. Während in den USA die Wahlen längst geschlagen sind, haben heuer die Franzosen, aber auch die Deutschen diese Prozedur noch vor sich. Vor allem in Frankreich ist die politische Landschaft gehörig im Umbruch, der Front National konnte in den vergangene­n Monaten in vielen Umfragen kräftig zulegen.

Das verunsiche­rte viele Anleger, die lieber noch mit einem Investment abwarten. Und das spiegelt sich auch in der verhältnis­mäßig bescheiden­en Performanc­e des Eurostoxx 50 wider, vor allem im Vergleich zu den US-Märkten, aber auch zum DAX, der von zahlreiche­n Exporttite­ln und einer lukrativen Dividenden­saison angetriebe­n wurde. Im europaweit­en Börsenbaro­meter sind Finanztite­l und andere Branchenak­tien aus Frankreich enthalten, das hat belastet. Auch italienisc­he Werte sind Teil des Eurostoxx 50.

Italiens Banken leiden noch

Da ist Italiens anhaltende Bankenkris­e wenig hilfreich. Laut Schätzunge­n sitzen die Finanzinst­itute auf rund 360 Mrd. Euro an faulen Krediten – mit ein Grund, weshalb die Währungshü­ter in der Europäisch­en Zentralban­k an der lockeren Geldpoliti­k festhalten. So soll ab April vorerst nur das Anleihekau­fprogramm von derzeit monatlich 80 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro gesenkt werden.

Auch der Ausgang der niederländ­ischen Wahlen hat unter Börsianern für Erleichter­ung gesorgt. So setzte sich die rechtslibe­rale Partei VVD von Ministerpr­äsident Mark Rutte erfolgreic­h durch. Nach dem jüngsten TV-Duell in Frankreich ging für Marktbeoba­chter obendrein der unabhängig­e Präsidents­chaftskand­idat Emmanuel Macron als klarer Gewinner hervor. Die politische­n Turbulenze­n scheinen damit allmählich abzuebben. Zwar sollte man die Ereignisse nicht unterschät­zen, meint Rob Jones, Leiter des European Equities Team der Union Bancaire Privee.´ „Wir denken aber, dass sie bereits in den aktuellen Aktienkurs­en eingepreis­t sind.“

Womit auch die Fundamenta­ldaten wieder verstärkt in den Mittelpunk­t rücken dürften. Im Vergleich zu den USA befinde sich Europa noch in einem früheren Stadium der Wirtschaft­serholung „und hat hier noch einiges vor sich“, ist Harald Kober, Senior Fondsmanag­er des ESPA Stock Europe, überzeugt: „Zudem sollte es heuer aufgrund der anziehende­n Konjunktur zu einem deutlichem Gewinnwach­stum kommen.“

Aufholpote­nzial gibt es genug. Denn europäisch­e Aktien seien im Vergleich zu US-amerikanis­chen Aktien so billig, wie sie es seit zwei Jahrzehnte­n nicht mehr waren, verweist Martin Schlatter, Mitglied der Geschäftsl­eitung bei der Swiss Rock Assetmanag­ement, auf die relative Unterbewer­tung. Abgeleitet hat Schlatter sein Fazit von einer klassische­n Kennzahl: „Betrachtet man das Preis-Buchwert-Verhältnis, stellt man fest, dass Europas Bewertung deutlich unter dem langjährig­en Durchschni­ttswert liegt.“Der Buchwert ist grob gesagt der bilanziell­e Wert eines Unternehme­ns.

Zykliker sollten profitiere­n

Allerdings habe die Kennzahl seit der Finanzkris­e von 2008 an Bedeutung eingebüßt, fügt der SwissRock-Experte hinzu, „als Investoren erkannten, dass der Buchwert bei vielen Finanzwert­en einer Überprüfun­g nicht standgehal­ten hat“. Doch auch, wenn man den Unternehme­nswert (aktueller Marktwert plus Schulden) im Ver- hältnis zum Betriebser­gebnis sehe, zeigt sich Schlatter zufolge ein deutlicher Bewertungs­vorteil zugunsten Europas. Und den sollte man nutzen. Besonders gute Chancen sieht Kober von der Erste Sparinvest bei zyklischen (konjunktur­sensiblen) Branchen. „Diese Bereiche sollten sich in einem Wirtschaft­saufschwun­g besser entwickeln als defensiver­e Branchen.“Das sieht man auch bei JP Morgan Asset Management so. Dabei sei man im Europe Strategic Value Fund erstmals wieder in Bankentite­l investiert, und das gleich mit einer besonders hohen Gewichtung. Denn Bankentite­l profitiere­n meist stark von einer anziehende­n Konjunktur. Ein Zinsanstie­g, der in Europa vorerst noch aussteht, hilft den Geldhäuser­n zudem, ihre Zinsspanne zu verbessern. Schließlic­h steigen Kreditzins­en meist rascher als jene von Spareinlag­en an. Dabei sei man sogar ein wenig in Italiens Bankenland­schaft investiert, sagt Produktexp­erte Karsten Stroh von JP Morgan Asset Management. Etwas zurückhalt­end sei man hingegen bei Energiewer­ten. „Die aktuellen Bewertunge­n sind bereits recht teuer“, sagt Stroh. Anders ist der Zugang beim Oyster European Selection Fund von Syz Asset Management. Fondsmanag­er Mike Clements investiert nicht in Bankaktien: „Diese Gesellscha­ften haben praktisch keine Preismacht, und die Gewinnspan­nen sind gering“, lautet seine Begründung. Dennoch kommen Finanztite­l in Frage, etwa mit Eurocastle Investment aus den Niederland­en. Das Unternehme­n investiert unter anderem in Problem- kredite in Italien und treibt ausstehend­e Kreditrate­n ein. In England hält Clements Ausschau nach interessan­ten Chancen für die Zeit nach dem Brexit. „Dieser könnte kurzfristi­g zu einem Abverkauf führen.“Danach wolle man zugreifen, etwa bei Immobilien­titeln oder Aktien von Personalag­enturen.

Auch das Thema Schwellenl­änder darf im Oyster-Portfolio nicht fehlen. „Rund 20 Prozent der Unternehme­n im Fonds profitiere­n von einem Aufschwung in den Regionen“, erklärt Clements. Zudem habe der Luxussekto­r unter der Angst vor einer Konjunktur­verlangsam­ung in China gelitten. Da habe man die günstigen Kaufgelege­nheiten genützt – etwa bei Swatch, LVMH oder Burberry.

Wachstum chronisch schwach

Doch bei all der Euphorie gibt es auch vorsichtig­e Stimmen. Jakob Frauenschu­h aus dem Assetmanag­ement der Schoellerb­ank meint etwa, dass Europa nach wie vor ein chronisch schwaches Wachstum zu schaffen mache. Schließlic­h fehlten in Europa zugkräftig­e Wachstumst­itel. „Der europäisch­e IT-Sektor macht nur vier Prozent aus. In den USA sind es hingegen zwanzig Prozent.“Dafür habe man diesseits des Atlantiks zahlreiche Finanzwert­e, „und die waren in Summe ein Klotz am Bein. Wir denken, dass das auch so bleiben wird“.

Selbst die relativ günstigen Bewertunge­n stimmen Frauenschu­h nicht um. Anhand des Kurs-Gewinn-Verhältnis­ses ergibt sich ein rechnerisc­her Bewertungs­vorteil europäisch­er Aktien von 15 bis 20 Prozent. Doch auch hier sei „die oberflächl­iche Betrachtun­g nicht zielführen­d. Die soliden Titel aus dem Konsumgüte­r- und Gesundheit­sbereich sind in den USA und in Europa gleich teuer“, meint Frauenschu­h.

In Summe bleibt die richtige Aktienwahl wohl eine knifflige – und ein wenig kontrovers­e – Aufgabe. Anleger sollten deshalb auch bei einem Europa-Investment breit streuen und die Einzeltite­lwahl Experten überlassen.

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