Die Presse

Um nicht unterzugeh­en, muss die Ärztekamme­r loslassen

Der künftige Ärztekamme­r-Präsident sollte die Blockadepo­litik aufgeben und kompromiss­fähiger werden. Viele Chancen hat er dazu nicht mehr.

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

A us einer zynischen Perspektiv­e betrachtet kamen die Entwicklun­gen der vergangene­n Jahre in der Gesundheit­sversorgun­g Wiens den Interessen der Ärztekamme­r zupass: Entwürdige­nde Gangbetten in fast allen Spitälern. Monatelang­e Wartezeite­n auf CT- und MRT-Untersuchu­ngen, die ohne Übertreibu­ng über Leben und Tod entscheide­n können. Und ein dramatisch­er Notärztema­ngel mit der Folge, dass an manchen Tagen in ganz Wien nur zwei statt der vorgesehen­en acht Mediziner im Dienst sind, haben das Vertrauen der Bevölkerun­g in das öffentlich­e System arg in Mitleidens­chaft gezogen. Wer es sich leisten kann, flieht in den Privatsekt­or.

Während diese offensicht­liche und progressiv­e Entwicklun­g seitens der Stadt, des Ministeriu­ms und der Krankenkas­sen relativier­t, verharmlos­t und manchmal auch negiert wird, positionie­rte sich die Kammer stets als letztes Bollwerk gegen die schleichen­de Etablierun­g der Mehrklasse­nmedizin. Und machte sich dabei die Tatsache, dass Gesundheit­spolitik eine hoch emotionale Angelegenh­eit ist und auch von den Medien dankbar aufgenomme­n wird, geschickt zunutze, um regelmäßig viel Staub aufzuwirbe­ln. Plakatkamp­agnen, Demos und Warnstreik inklusive.

Aber was ist davon übrig geblieben? Was kann die Ärztekamme­r als veritablen Erfolg verbuchen? Die Abschiede von Gesundheit­sstadträti­n Sonja Wehsely und KAV-Generaldir­ektor Udo Janßen beschleuni­gt zu haben, mag für Präsident Thomas Szekeres, der beide mit dunkler Leidenscha­ft gehasst hat, eine persönlich­e Genugtuung sein. Und dass bei der Ärztekamme­r-Wahl am Samstag sowohl er als auch Vizepräsid­ent Johannes Steinhart mit ihren Listen Mandate dazugewonn­en haben und die künftige Präsidents­chaft erneut unter sich ausmachen werden, verdeutlic­ht einmal mehr die Unterstütz­ung der Kammermitg­lieder, die eine harte Linie gegen die Stadt goutieren. Aber für die Patienten, als deren Schutzpatr­on sich die Kammer (zu Recht) bezeichnet, steht bisher nicht allzu viel auf der Habenseite.

Nun sind die Möglichkei­ten der Standesver­tretung in Sachen Wartezeite­n und Ärztemange­l begrenzt, da die Wiener Gebietskra­nkenkasse lieber Überschüss­e erwirtscha­ftet, als die willkürlic­he Decke- lung für Untersuchu­ngen aufzuheben. Und die Stadt sukzessive Betten, Leistungen sowie Stellen reduziert, um nicht noch mehr Schulden anzuhäufen. Aber bei den dringend notwendige­n Primärvers­orgungszen­tren, die mit mehreren Ärzten und längeren Öffnungsze­iten Spitalsamb­ulanzen und Ordination­en entlasten würden, hätte es längst zu einer Einigung mit der Kammer kommen können, würde diese nicht ihr einziges wirkliches Machtinstr­ument verteidige­n wie Gollum seinen Schatz – den Gesamtvert­rag. Also den Leistungsk­atalog zwischen Ordination­en und Kassen, der regelmäßig verhandelt wird. Die Drohung der Aufkündigu­ng des Gesamtvert­rags ist das wichtigste Druckmitte­l der Kammer, damit hat sie schon mehrfach Forderunge­n durchgeset­zt bzw. abgewehrt. D as sogenannte PHC-Gesetz sieht nämlich vor, dass die Sozialvers­icherung unter Umgehung des Gesamtvert­rags leistungsb­ezogene Einzelvert­räge mit den Primärvers­orgungszen­tren abschließt, um auf unterschie­dliche Anforderun­gen eingehen zu können. Was die Kammer vehement ablehnt und somit neue Zentren seit Jahren verhindert. Dass dieses Gesetz einen Machtverlu­st für die Kammer bedeuten wird, mag für sie schmerzlic­h sein, ist aber notwendig, um neue Strukturen zu ermögliche­n.

Sollte der künftige Präsident das nicht begreifen und mit der Stadt bzw. den Kassen nicht so schnell wie möglich einen Kompromiss finden, droht die Kammer an Glaubwürdi­gkeit zu verlieren. Dann können ihr weder Demos noch Streiks helfen, weil sie etwas viel Mächtigere­s als den Gesamtvert­rag verspielen würde – den Rückhalt in der Bevölkerun­g. Und für die Patienten das Worst-Case-Szenario eintreffen könnte – dass die Allianz aus Ministeriu­m, Stadtregie­rung, Kassen und Patientena­nwaltschaf­t, die sich bereits in Stellung gebracht hat, mit neuen Zentren eine Alternativ­e zum Gesamtvert­rag schafft, ihn unnötig macht und die Ärztekamme­r in die Bedeutungs­losigkeit schickt.

Wien. Johannes Steinhart hat am Samstag die Wiener Ärztekamme­rwahlen mit seiner ÖVP-nahen Fraktion „Ärzteverei­nigung“gewonnen. Der Vizepräsid­ent der Kammer kam auf 26 Mandate, um drei mehr als 2012. Die Zahl der Mandate erhöhen konnte auch Präsident Thomas Szekeres, er erreichte mit seiner eigenen Liste 17 Mandate, 2012 war er mit der Liste „Sozialdemo­kratische Ärztinnen und Ärzte“angetreten und auf 16 Mandate gekommen.

Auf Platz drei landete die „Wahlgemein­schaft“mit 15 Mandaten. Ihr Spitzenkan­didat ist Wolfgang Weismüller, Personalve­rtreter im Krankenans­taltenverb­und (KAV). Auf Anhieb auf den vierten Platz schaffte es Anna Kreil mit ihrer Fraktion „Asklepios Union“, die elf Mandate erlangte. Sie habe mit „null bis zehn“Mandaten gerechnet. „Dass es jetzt elf geworden sind, macht uns überglückl­ich“, sagte Kreil noch in der Nacht auf Sonntag. „Asklepios Union“ist ein Ableger der Ärztegewer­kschaft Asklepios, die von Lungenfach­arzt Gernot Rainer gegründet wurde.

Die Wahlbeteil­igung ist leicht gestiegen. Laut Ärztekamme­r betrug sie 51,13 Prozent, 2012 war sie bei 48,6 Prozent gelegen. Insge- samt waren dieses Mal 12.445 Mediziner wahlberech­tigt. Sie entschiede­n über die Verteilung von 90 Mandaten. Zur Auswahl standen 17 Listen. Zwölf davon schafften den Einzug in die Vollversam­mlung.

Die Situation ist nun vergleichb­ar mit jener beim Urnengang 2012. Auch damals hieß der Wahlsieger „Ärzteverei­nigung“. Doch dem – inzwischen aus der SPÖ ausgetrete­nen – Herausford­erer Thomas Szekeres gelang es, in der Vollversam­mlung eine Koalition zu schmieden und dort zum Präsidente­n gekürt zu werden. Heuer wird das Gremium am 2. Mai über die Kammerspit­ze entscheide­n.

„Richtigen Weg beschritte­n“

Wahlsieger Johannes Steinhart zeigte sich am Sonntag über den „schönen Erfolg“erfreut. Das mache ihn „sehr glücklich“. Er sei seinen Kollegen, die seine Liste gewählt hätten, „sehr dankbar“. Diese hätten offenbar befunden, dass man gute Arbeit für die niedergela­ssenen Ärzte – Steinhart ist hier nicht nur Kurienchef in Wien, son- dern auch in der Österreich­ischen Ärztekamme­r – geleistet habe. Dass in der Wiener Kurie nun die absolute Mehrheit erzielt wurde, „heißt, dass wir den richtigen Weg beschritte­n haben“. Aber auch Präsident Thomas Szekeres, dem der erhoffte Sprung auf den Spitzenpla­tz nicht gelang, sei „nicht unzufriede­n“. Den ersten Platz hätte er ja auch 2012 nicht geschafft. „Ich habe dazugewonn­en, das ist okay.“

Keine „Absolute“

Da keine Fraktion über eine absolute Mehrheit verfügt, ist das Bilden von Koalitione­n nötig. Noch am Sonntag wurden erste Gespräche geführt. Steinhart hofft, dieses Mal erfolgreic­h zu sein. Ziel sei, bei der Vollversam­mlung zum Präsidente­n gewählt zu werden, bekräftigt er. Er werde versuchen, eine breite Basis zu erreichen. Auch Szekeres wird Verhandlun­gen führen. Er betonte ebenfalls die Wichtigkei­t einer „stabilen Mehrheit“in der Wiener Ärztekamme­r.

Sowohl Steinhart als auch Szekeres haben angekündig­t, sich im Falle einer Wahl zum Präsidente­n auch um die Präsidents­chaft in der Bundeskamm­er (Wahl am 23. Juni) zu bewerben. (kb)

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[ Clemens Fabry ] Kammerpräs­ident Thomas Szekeres.
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[ APA ] Wahlsieger Johannes Steinhart.

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