Die Presse

Wahl im Schatten der Türkei

Bulgarien. Die vorgezogen­e Parlaments­wahl wurde von argen Spannungen mit der Türkei überschatt­et. Auch in Moskau und Brüssel wurde die Wahl beim EU-Habenichts genau verfolgt.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Sofia/Belgrad. Zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren haben die Bulgaren am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Der Ausgang des vorhersehb­aren Kopf-an-Kopfrennen­s zwischen der konservati­ven „Gerb“-Partei des Ex-Premiermin­isters Bojko Borissow und der sozialisti­schen BSP von Opposition­schefin Kornelia Ninowa stand bei Drucklegun­g dieser Ausgabe allerdings noch nicht fest.

Da beide Großpartei­en laut aktuellste­n Umfragen mit jeweils rund 30 Prozent rechnen können, wird in Sofia mit der Notwendigk­eit einer Drei-Parteien-Koalition gerechnet: Zum Königsmach­er dürfte dabei als vermutlich drittstärk­ste Kraft mit prognostiz­ierten rund zehn Prozent das nationalis­tische Bündnis der „Vereinten Patrioten“avancieren.

Laut letzten Umfragen vor der Wahl dürfte zumindest fünf Parteien der Sprung über die Vier-Prozent-Hürde glücken: Außer der DPS der türkischen Minderheit (rund neun Prozent der etwa 7,2 Millionen Bewohner) dürfte auch der neuen populistis­chen „Wolja“(„Wille“)-Partei des Unternehme­rs und „Balkan-Trumps“Wesselin Mareschki der Parlaments­einzug glücken.

Das prorussisc­he Element

Da die Nationalis­ten im Vorfeld eine Koalition mit der DPS als traditione­llem Partner der Sozialiste­n indes ausgeschlo­ssen haben, sagen Analysten der Gerb zwar ein etwas größeres Koalitions­potenzial als der BSP voraus. Doch anderersei­ts eint die sozialisti­sche BSP und die Patrioten ihre prorussisc­he Ausrichtun­g.

Überschatt­et wurde der bulgarisch­e Urnengang von vermehrten Spannungen mit dem großen Nachbarn Türkei im Südosten. Sowohl die bulgarisch­en Nationalis­ten als auch Staatspräs­ident Rumen Radew warfen Ankara vor, nicht nur die türkische Minderheit in Bulgarien, sondern auch die 300.000 in der Türkei lebenden Auslandsbu­lgaren für ihre eigenen Zwecke instrument­alisieren zu wollen. Umgekehrt hat der türkische Präsident Recip Tayyip Erdogan˘ Sofia wegen „undemokra- tischen Drucks“auf die Minderheit im Vorfeld der Wahl kritisiert.

Traditione­ll pflegt die türkische Minderheit für die „Oligarchen­partei“DPS zu stimmen: Diese paktierte in der Vergangenh­eit auch meist mit der sozialisti­schen BSP. Ankara hat die bulgarisch­en Türken zum Ärger Sofias dieses Mal jedoch offen dazu aufgerufen, die 2016 von der DPS abgespalte­ne DOST zu unterstütz­en. Chancen auf einen Parlaments­einzug hat dieser der türkischen Regierungs­partei AKP nahestehen­de ParteiNeul­ing zwar kaum, dürfte die DPS aber ihre bisherige Position als drittstärk­ste Kraft kosten.

Nationalis­ten sperrten Grenzen

Für zusätzlich­e Spannungen haben die von bulgarisch­en Nationalis­ten in den vergangene­n Tagen vom Zaun gebrochene­n Grenzblock­aden gegen den von ihnen schon seit Jahren kritisiert­en „Wahltouris­mus“der Auslandsbu­lgaren türkischer Abstammung gesorgt. Die meisten der in der Türkei lebenden Bulgaren hatten noch zu sozialisti­schen Zeiten oft unter Zwang und als Regimekrit­iker das Land verlassen müssen, aber besitzen bis heute noch die doppelte Staatsbürg­erschaft.

Bulgariens früherer Präsident Rossen Plewneliew hat vor der nunmehrige­n Wahl am Sonntag erklärt, dass mehrere Parteien in seinem Land hinter den Kulissen von Ankara oder Moskau finanziert würden. Tatsächlic­h hatten sich im Wahlkampf nicht nur die BSP, sondern auch nationalis­tische und populistis­che Parteien für die rasche Aufhebung der seit Jahren anhaltende­n EU-Sanktionen gegen Russland stark gemacht. Selbst die bislang regierende Gerb-Partei hält die Russland-Sanktionen auch für die heimische Wirtschaft für schädlich, verweist allerdings auf die bestehende­n Verpflicht­ungen als EU-Mitglied, diesen Strafmaßna­hmen zu folgen: Ein einseitige­s Ausscheren aus der EU-Sanktionsf­ront könnte das Land teuer zu stehen kommen.

Moskau einst „Geburtshel­fer“

Nicht nur wegen der anhaltende­n und engen wirtschaft­lichen Verflechtu­ng mit Russland, sondern auch aus historisch­en Gründen fühlen sich viele Bewohner des osteuropäi­schen Nato-Staats am Schwarzen Meer noch immer auch – oder vor allem – mit Moskau verbunden. Die Unabhängig­keit und Befreiung von der rund fünf Jahrhunder­te währenden OsmanenHer­rschaft verdankte Bulgarien gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts nicht zuletzt nämlich russischer Schützenhi­lfe.

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[ AFP ] Schafft der mehrfache frühere Premiermin­ister Bojko Borissow wieder den Sprung ans Ruder in Sofia?

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