Wahl im Schatten der Türkei
Bulgarien. Die vorgezogene Parlamentswahl wurde von argen Spannungen mit der Türkei überschattet. Auch in Moskau und Brüssel wurde die Wahl beim EU-Habenichts genau verfolgt.
Sofia/Belgrad. Zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren haben die Bulgaren am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Der Ausgang des vorhersehbaren Kopf-an-Kopfrennens zwischen der konservativen „Gerb“-Partei des Ex-Premierministers Bojko Borissow und der sozialistischen BSP von Oppositionschefin Kornelia Ninowa stand bei Drucklegung dieser Ausgabe allerdings noch nicht fest.
Da beide Großparteien laut aktuellsten Umfragen mit jeweils rund 30 Prozent rechnen können, wird in Sofia mit der Notwendigkeit einer Drei-Parteien-Koalition gerechnet: Zum Königsmacher dürfte dabei als vermutlich drittstärkste Kraft mit prognostizierten rund zehn Prozent das nationalistische Bündnis der „Vereinten Patrioten“avancieren.
Laut letzten Umfragen vor der Wahl dürfte zumindest fünf Parteien der Sprung über die Vier-Prozent-Hürde glücken: Außer der DPS der türkischen Minderheit (rund neun Prozent der etwa 7,2 Millionen Bewohner) dürfte auch der neuen populistischen „Wolja“(„Wille“)-Partei des Unternehmers und „Balkan-Trumps“Wesselin Mareschki der Parlamentseinzug glücken.
Das prorussische Element
Da die Nationalisten im Vorfeld eine Koalition mit der DPS als traditionellem Partner der Sozialisten indes ausgeschlossen haben, sagen Analysten der Gerb zwar ein etwas größeres Koalitionspotenzial als der BSP voraus. Doch andererseits eint die sozialistische BSP und die Patrioten ihre prorussische Ausrichtung.
Überschattet wurde der bulgarische Urnengang von vermehrten Spannungen mit dem großen Nachbarn Türkei im Südosten. Sowohl die bulgarischen Nationalisten als auch Staatspräsident Rumen Radew warfen Ankara vor, nicht nur die türkische Minderheit in Bulgarien, sondern auch die 300.000 in der Türkei lebenden Auslandsbulgaren für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren zu wollen. Umgekehrt hat der türkische Präsident Recip Tayyip Erdogan˘ Sofia wegen „undemokra- tischen Drucks“auf die Minderheit im Vorfeld der Wahl kritisiert.
Traditionell pflegt die türkische Minderheit für die „Oligarchenpartei“DPS zu stimmen: Diese paktierte in der Vergangenheit auch meist mit der sozialistischen BSP. Ankara hat die bulgarischen Türken zum Ärger Sofias dieses Mal jedoch offen dazu aufgerufen, die 2016 von der DPS abgespaltene DOST zu unterstützen. Chancen auf einen Parlamentseinzug hat dieser der türkischen Regierungspartei AKP nahestehende ParteiNeuling zwar kaum, dürfte die DPS aber ihre bisherige Position als drittstärkste Kraft kosten.
Nationalisten sperrten Grenzen
Für zusätzliche Spannungen haben die von bulgarischen Nationalisten in den vergangenen Tagen vom Zaun gebrochenen Grenzblockaden gegen den von ihnen schon seit Jahren kritisierten „Wahltourismus“der Auslandsbulgaren türkischer Abstammung gesorgt. Die meisten der in der Türkei lebenden Bulgaren hatten noch zu sozialistischen Zeiten oft unter Zwang und als Regimekritiker das Land verlassen müssen, aber besitzen bis heute noch die doppelte Staatsbürgerschaft.
Bulgariens früherer Präsident Rossen Plewneliew hat vor der nunmehrigen Wahl am Sonntag erklärt, dass mehrere Parteien in seinem Land hinter den Kulissen von Ankara oder Moskau finanziert würden. Tatsächlich hatten sich im Wahlkampf nicht nur die BSP, sondern auch nationalistische und populistische Parteien für die rasche Aufhebung der seit Jahren anhaltenden EU-Sanktionen gegen Russland stark gemacht. Selbst die bislang regierende Gerb-Partei hält die Russland-Sanktionen auch für die heimische Wirtschaft für schädlich, verweist allerdings auf die bestehenden Verpflichtungen als EU-Mitglied, diesen Strafmaßnahmen zu folgen: Ein einseitiges Ausscheren aus der EU-Sanktionsfront könnte das Land teuer zu stehen kommen.
Moskau einst „Geburtshelfer“
Nicht nur wegen der anhaltenden und engen wirtschaftlichen Verflechtung mit Russland, sondern auch aus historischen Gründen fühlen sich viele Bewohner des osteuropäischen Nato-Staats am Schwarzen Meer noch immer auch – oder vor allem – mit Moskau verbunden. Die Unabhängigkeit und Befreiung von der rund fünf Jahrhunderte währenden OsmanenHerrschaft verdankte Bulgarien gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt nämlich russischer Schützenhilfe.