Dem Brexit zum Trotz
EU-Austritt. Viele warnen vor den Folgen des britischen EU-Austritts, die Anleger sind bislang jedoch optimistisch. Der Aktienmarkt brummt, und es gibt noch Potenzial nach oben.
Wien. Diese Woche läutet Großbritannien also den formellen Austritt aus der Europäischen Union ein, und Experten weltweit warnen vor den Folgen für die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas. Die Investoren hingegen zeigen sich unbeeindruckt, und die Zentralbank denkt erstmals seit langer Zeit laut über eine Zinserhöhung nach, um die Inflation einzudämmen. So unterschiedlich können die Reaktionen auf ein wirtschaftspolitisches Großereignis sein.
Tatsächlich hat der britische Leitindex FTSE 100 seit Anfang Dezember rund zehn Prozent zugelegt, mehr als etwa der USamerikanische Dow Jones. Auch das Britische Pfund hat seine Talfahrt beendet. Von 1,30 Euro war die Währung nach dem Brexit-Votum im Juni auf rund 1,15 Euro abgestürzt, seit Jahresbeginn notiert das Pfund konstant in dieser Gegend, großteils sogar knapp über der Marke von 1,15.
Der Leitzins und der Wechselkurs
Betrachtet man die Fundamentaldaten Großbritanniens stellt das Land durchaus eine potenzielle Investitionsmöglichkeit für Anleger dar. Die Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr schneller als jene der Eurozone, die Inflation ist zuletzt auf 2,3 Prozent angestiegen - das ist der höchste Wert seit September 2013. Auch wenn die Bank of England den Leitzinssatz diesen Monat unverändert bei 0,25 Prozent beließ: Die Reise dürfte eher nach oben gehen, erstmals seit dem Sommer stimmte ein Mitglied des geldpolitischen Komitees für eine Erhöhung.
Ein Zinsanstieg wird freilich erst für 2018 erwartet, und dennoch grenzt sich die Bank of England mit dieser Aussicht durchaus von der Europäischen Zentralbank und ihrer ultralockeren Geldpolitik ab. Das wiederum könnte für Kursgewinne des Pfundes im Vergleich zum Euro sorgen und so für Wechselkursgewinne kontinentaleuropäischer Anleger, die in England investieren. Auf eine Schwäche des Aktienmarktes im Vergleich zu den anderen großen Handelsplätzen deutet wenig hin, nicht zuletzt, weil die größten an der Londoner Börse notierten Firmen den Gutteil ihres Gewinns ohnehin im Ausland erzielen.
Die Risken bleiben bestehen
Natürlich muss sich jeder Investor des Risikos bewusst sein und sollte bestenfalls einen Teil seines Vermögens in den britischen Aktienmarkt stecken. Zu ungewiss sind die Details des EU-Austritts, zu realistisch die Gefahr einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums im Falle eines harten Austritts inklusive Verlust des Zugangs zum EU-Binnenmarkt. Weiters ist ein Teil des Wirtschaftswachstums sowie der Inflationsbeschleunigung dem schwächeren Pfund geschuldet, weil Exporte dadurch billiger werden und die Preise am Heimatmarkt steigen.
Die entscheidende Frage für Anleger muss letztendlich sein, ob ein Investment in den kontinentaleuropäischen Markt – Stichwort griechische Schuldenkrise – beziehungsweise den US-amerikanischen Markt zum jetzigen Zeitpunkt ein geringeres Risiko darstellt. So verlor der Dow Jones Index in der Vorwoche zwischenzeitlich deutlich an Wert, weil sich Investoren sorgen, ob Präsident Donald Trump die angekündigten Wirtschaftsreformen und Steuererleichterungen tatsächlich durchziehen wird.
Klar ist, dass auch in den nächsten Monaten, zumindest bis zu den deutschen Bundestagswahlen im September, wenig Details rund um den britischen EU-Austritt verhandelt werden. Und solange sich die Politik nicht auf die Rahmenbedingungen festlegt, verlassen sich viele Investoren auf die Fundamentaldaten.
Kleinanleger könnten also noch zumindest bis in den Herbst vom besseren Abschneiden des britischen Aktienmarktes profitieren – sofern sie sich der Risken bewusst sind und auch auf ein jederzeit mögliches, abruptes Ende vorbereitet sind.