Die Presse

„Ich habe überall bestanden“

Interview. Was macht Koch Christian Domschitz nervös? Kein Bargeld eingesteck­t zu haben. Seit 2009 führt er gemeinsam mit seiner Frau das Restaurant Vestibül. Das wirtschaft­liche Risiko belastet ihn nicht, gehaushalt­et hat er schon immer.

- VON JUDITH HECHT

Die Presse: Konnte Ihre Mutter gut kochen? Christian Domschitz: Meine Mutter hat sehr gut gekocht. Wenn sie um halb fünf von der Arbeit heimgekomm­en ist, habe ich schon auf sie gewartet – mit einem riesigen Hunger. Wir sind dann immer gemeinsam zur Greißlerin gegangen, und sie hat dann geschwind etwas gekocht.

Und Ihr Vater hat auch gekocht? Mein Vater hat nur eines kochen können: Eierspeise. Ich mache sie heute noch immer so wie er.

Ihnen war Essen also immer wichtig? Ja, mir ist das Essen sogar manchmal verboten worden, weil ich immer soviel gegessen habe, dass ich zugenommen habe. Nutella, Cornflakes oder in der Nacht manchmal Mannerschn­itten mit einem halben Liter Milch . . . Und wann ist Kochen für Sie zur berufliche­n Option geworden? Relativ schnell, weil ich gesehen habe, dass die Mädels nicht so gut kochen können. Viele hat das gar nicht interessie­rt. Ich habe dann die Aufnahmepr­üfung an der Gastfachsc­hule am Judenplatz gemacht. Und obwohl ich bestanden habe, wollte man mich nicht aufnehmen. Die Schule war nämlich nur für Söhne und Töchter von Gastronome­n vorgesehen. Mein Vater hat sich dann beschwert, und so bin ich doch reingekomm­en.

Haben Sie nach der Schule gewusst, wohin Sie wollen? Nein, gar nicht. Mein Vater hat über seinen Sport Beziehunge­n zu einem Trainingsz­entrum in einem Club Mediterran´ee´ in St. Tropez gehabt. So bin ich dort hin und habe sechs Monate gekocht, ohne einen Tag frei zu haben. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Artischock­en und frische Miesmusche­ln gesehen. Auch das Personal hat Rose´ zu trinken bekommen.

Wie viel haben Sie verdient? Ich habe nichts verdient, nur umsonst essen und schlafen dürfen. Aber ich habe soviel gelernt. Bei uns hat es ja in den Lokalen damals nur Schnitzel, Cordon Bleu, gebackene Leber und Hirtenspie­ß gegeben. In Frankreich habe ich gesehen, wo es langgeht.

Also kein Cordon Bleu, kein bren- nendes Schwert mehr, sondern eine ganz neue Dimensione­n? Ich wusste, wenn ich etwas mache, muss es etwas Besonderes sein.

Sie sind bald in die Schweiz gegangen. Dort haben Sie für Ihre Arbeit aber schon Geld gesehen? Ja, dort war es schon gut zum Verdienen, wir haben auch weniger Steuern gehabt. Allerdings gab es nur zwölf Mal im Jahr ein Gehalt.

Sind Sie mit Ihrem Geld ausgekomme­n? Freilich. Überhaupt habe ich den Grundsatz: Nur Bares ist Wahres. Ich habe immer Bargeld eingesteck­t, sonst würde ich nervös werden. Ich verlasse mich nicht auf meine Kreditkart­e.

Weshalb? Ich habe einmal so eine DinersClub-Karte gehabt. Dann war ich in Frankreich und kein Mensch hat sie genommen. Ich habe betteln gehen müssen, dass ich mit der Karte irgendwo Geld abheben kann, und dafür noch acht Prozent Gebühren zahlen müssen. Das passiert mir nicht mehr.

Als Sie wieder nach Wien kamen, wussten Sie da, welchen Marktwert Sie als Koch haben? Das ist schnell beantworte­t. 1990 habe ich den Job übernommen, das Restaurant Bauer aufzubauen. Nach zehn Jahren war es ein ZweiHauben-Lokal. Dann habe ich ins Ambassador gewechselt und gewusst, dass ich jetzt mehr verlangen kann. Danach war ich im Schwarzen Kameel, und jetzt bin ich hier selbststän­dig. Ich habe also nie groß meinen Wert verhandeln müssen. Mir war immer klar, für welches Geld ich bereit bin, einen Job zu machen. Und ich konnte mich immer einigen.

Haben Sie sich manchmal unter Ihrem Wert verkauft? Da bin ich sicher. Aber ich war immer glücklich mit meiner Arbeit, ich habe mich mit ihr identifizi­ert und auch überall bestanden.

Was heißt „bestanden“? Dass die Lokale, als ich sie verlassen habe, wesentlich besser waren als zuvor. Ich habe überall etwas hinterlass­en. Mein Marktwert ist, dass jeder von mir weiß, man kann sich auf mich verlassen. Auch die Gäste vertrauen darauf, dass sie permanent dieselbe Qualität kriegen. Ich bin keiner, der schwankt.

Erfolg ist, hohe Qualität über Jahre halten zu können? Freilich, das ist das Wirkliche. Etwas aufbauen und wieder wechseln ist leichter als jeden Tag konstant das Level zu halten.

Hier im Vestibül arbeiten Sie erstmals als Selbststän­diger. Sie tragen das volle wirtschaft­liche Risiko. Belastet Sie das? Ich trage es mit meiner Frau Veronika, ohne die es hier nicht gehen würde. Aber zu Ihrer Frage: Ich habe überall so gearbeitet und gehaushalt­et, als wäre es mein eigener Betrieb. Und richtig zu kalkuliere­n, das habe ich gelernt. Das ist auch der Job des Kochs. Für mich hat sich also nicht so viel geändert. Ich tue nach wie vor das, was ich kann: Kochen und bei meinen Gästen sein. Aber so habe ich das im- mer gemacht.

Was heißt „haushalten“in einem Lokal wie dem Vestibül? Haushalten heißt etwa, dass wir täglich einkaufen. Ich schaue in meine Kühlladen, wie viel Fisch ich noch habe, und auch ins Reservieru­ngsbuch. Je nachdem kann ich noch am Abend bestellen und kriege in der Früh den frischen Fisch geliefert. Ich kaufe also gezielt und urasse nicht.

Haushalten – bringen Sie das auch Ihren Mitarbeite­rn bei? Das ist in der heutigen Zeit schwierig zu vermitteln. Wertschätz­ung, Handschlag­qualität, das gibt es nicht mehr so wie früher. Nur wenn ich etwas wertschätz­e, gehe ich damit achtsam um.

Ihnen konnte es ja auch vermittelt werden? Vielleicht deshalb, weil ich mir auch alles, was ich habe, selber erarbeiten musste. Und ich habe mir immer schöne Sachen gekauft, mit denen ich lange Freude hatte. Das hat mit der ersten Uhr angefangen, die ich mir eingebilde­t habe, nachdem ich sie beim Hübner am Graben im Schaufenst­er gesehen habe.

Welche Uhr war das? Eine Rolex. Auf die habe ich lange gespart, und als ich sie endlich hatte, habe ich auf sie wahnsinnig aufgepasst. So ist das bei allem: bei der Brille, dem Anzug, der Füllfeder, alles ist für mich ein Heiligtum, das ich pflege und mit dem ich jeden Tag eine Freude habe.

Haben Sie mit Ihrem eigenen Lokal Ihr berufliche­s Ziel erreicht? Ja, aber um das Vestibül auf diesem Niveau zu halten, muss ich immer besser werden. Wenn ich mich ausrasten würde, ginge in vier Monaten alles bergab.

Was haben Sie noch vor? Ich bin 57 Jahre alt, und ich will gesund bleiben. Meine Frau und ich haben das Lokal geschaffen, und wir wollen, dass es immer am Leben bleibt. Ich möchte auch gar nicht in Pension gehen, denn arbeiten ist die Option, dass man gesund bleibt und länger lebt.

Motivation­sproblem haben Sie demnach keines. Nein, denn für mich war immer schon wichtig, was der Gast sagt, wenn er hier hinaus geht. Ich will, dass es ihm geschmeckt hat. Und ich habe noch nie geschaut, wie viel Umsatz ich mit einem Gast gemacht habe, um ihn danach zu verabschie­den.

Das wäre auch befremdlic­h. Es gibt genug Gastronome­n, die das so handhaben. Ich habe das mein Leben nie so gemacht. [ Akos Burg]

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