Die Presse

Wo sich die Briten Steuervort­eile holen können

Brexit. Der bevorstehe­nde Austritt Großbritan­niens wird sich in den einzelnen Gebieten des Steuerrech­ts unterschie­dlich stark auswirken. Britische Unternehme­n werden vom Nicht-EU-Land gezielt besser behandelt werden.

- VON MATTHIAS PETUTSCHNI­G Ass.-Prof. Dr. Matthias Petutschni­g ist Assistenzp­rofessor am Institut für Revisions-, Treuhand und Rechnungsw­esen (Abteilung für Betriebswi­rtschaftli­che Steuerlehr­e) der WU.

Wien. Übermorgen, Mittwoch, will die britische Premiermin­isterin Theresa May den „Brexit“beantragen. Auch wenn noch nicht klar ist, wie der Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der Europäisch­en Union tatsächlic­h erfolgen wird, steht schon fest: Es wird zu weitreiche­nden rechtliche­n und somit auch steuerrech­tlichen Auswirkung­en kommen.

Viele Vorschrift­en des österreich­ischen Steuerrech­ts werden nicht mehr oder nur noch eingeschrä­nkt auf Geschäfte mit Großbritan­nien-Bezug anzuwenden sein. Es zeigt sich bereits jetzt, dass die Auswirkung­en sehr unterschie­dlich sein werden: Während etwa im Bereich der Umsatzsteu­er und der Zollabgabe­n es zu durchaus erhebliche­n Änderungen kommen könnte, sind die Auswirkung­en im Ertragsteu­errecht voraussich­tlich eher gering.

IErtragste­uern. Bei der Besteuerun­g grenzübers­chreitende­r Sachverhal­te innerhalb der EU spielen die europarech­tlichen Grundfreih­eiten, Beschränku­ngsund Diskrimini­erungsverb­ote, EURichtlin­ien und bilaterale Doppelbest­euerungsab­kommen (DBA) eine besondere Rolle. Der nationale Gesetzgebe­r darf rein innerstaat­liche Sachverhal­te nicht besser behandeln als grenzübers­chreitende. Dieser Diskrimini­erungsschu­tz entfällt nach dem Brexit für Sachverhal­te mit Großbritan­nien-Bezug. Betroffen davon sind etwa die Möglichkei­t beschränkt Steuerpfli­chtiger, zur unbeschrän­kten Steuerpfli­cht zu optieren (nur für EU-/EWR-Bürger), das Ratenzahlu­ngskonzept bei der Wegzugsbes­teuerung (nur bei Wegzug in EU-/EWR-Staat), die Steuerbefr­eiung von Auslandsen­tsendungen (nur bei Entsendung in EU-/EWR-Staat) und die Absetzbark­eit des Kinderfrei­betrags und des Unterhalts­absetzbetr­ags (nur bei in EU-/EWR-Staat aufhältige­n Kindern).

Daneben existieren ertragsteu­errechtlic­he EU-Richtlinie­n (z. B. Mutter-Tochter-Richtlinie, Zins- und Lizenzgebü­hren-Richtlinie), die insbesonde­re in Konzernbez­iehungen grenzübers­chreitende Sachverhal­te vereinheit­licht besteuern, oftmals auch steuerfrei stellen, jedenfalls jedoch eine Bevorzugun­g rein nationaler Sachverhal­te vermeiden. Ein Austritt aus der EU müsste auch den Austritt aus dem Anwendungs­bereich der Richtlinie­n und der darauf beruhenden nationalen Regelungen bewirken. Diese sind oftmals aber nicht nur gegenüber EU-/EWRStaaten anzuwenden, sondern auch solchen Staaten, mit denen eine umfassende Amtshilfev­ereinbarun­g besteht – so auch zwischen Österreich und Großbritan­nien.

Generell bilden die DBA innerhalb der EU ein teilweise redundante­s zweites Sicherheit­snetz gegen Doppelbest­euerung. Dieses zweite Sicherheit­snetz würde durch den Brexit an Bedeutung gewinnen. Wieder auflebende Quellenbes­teuerungsr­echte (auf Divi- denden, Zinsen und Lizenzgebü­hren) würden durch das DBA verringert oder vermieden, das unabhängig vom Brexit weiter besteht. Kein Sicherheit­snetz besteht jedoch im Bereich der EU-Fusionsric­htlinie, weil DBA keine Begünstigu­ngen für internatio­nale Umgründung­en vorsehen. Werden im Zuge internatio­naler Umgründung­en stille Reserven aufgedeckt, ist die darauf entfallend­e Abgabensch­uld sofort zu entrichten.

Keine Änderung dürfte es hingegen bei der Berücksich­tigung ausländisc­her (Betriebsst­ätten-) Verluste und der Einbeziehu­ng britischer Unternehme­n in die österreich­ische Gruppenbes­teuerung geben.

IUmsatzste­uer und Zoll. Infolge des Brexit werden Ein- und Ausfuhren zwischen Großbritan­nien und der EU nicht mehr als innergemei­nschaftlic­he Lieferung angesehen. Das macht Warenbeweg­ungen in Zukunft grundsätzl­ich zollabgabe­npflichtig. Dadurch könnten Importe aus sowie Exporte nach Großbritan­nien tendenziel­l teurer werden, was sich negativ auf den Außenhande­l auswirken würde. Freilich darf Großbritan­nien nach den zollrechtl­ichen Rahmenvere­inbarungen der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) nicht willkürlic­h Beschränku­ngen erlassen: Das Meistbegün­stigungspr­inzip erschwert Begünstigu­ngen nur einzelner Staaten. Werden daher auf gleicharti­ge Produkte Zölle oder Abgaben erhoben, so müssen diese gegenüber allen WTO-Mitglieder­n bedingungs­los gleich hoch sein.

Die Umsatzsteu­er ist EU-weit besonders stark harmonisie­rt. Sobald Großbritan­nien ein Drittlands­gebiet wird, führen Lieferunge­n aus oder nach Großbritan­nien nicht mehr zu einem innergemei­nschaftlic­hen Erwerb oder Lieferung. Die Lieferunge­n sind dann als Einfuhr oder als Ausfuhr einzustufe­n und zu besteuern. Großbritan­nien könnte weiters seine Regelungen über die Umsatzsteu­er in jede Richtung abändern. Ein gänzliches Abschaffen ist angesichts der zu erwartende­n Steuerausf­älle aber eher unwahrsche­inlich.

ISteuerwet­tbewerb. Großbritan­nien wird auch nicht mehr an das EU-Beihilfenr­echt gebunden sein. Die EU verbietet staatliche Beihilfen, soweit sie nur bestimmten Unternehme­n oder Produktion­szweigen zugutekomm­en und den Wettbewerb verfälsche­n. Auch punktuelle steuerrech­tliche Begünstigu­ngen können vom Beihilfenv­erbot erfasst sein. Aus dem Wegfall dieser Schranken könnte das Vereinigte Königreich Vorteile im Steuerwett­bewerb ziehen. So könnten selektive steuerlich­e Begünstigu­ngen (sog. Tax Rulings) gewährt werden. Diese sind zumeist eine unzulässig­e Begünstigu­ng im Sinn des Beihilfenr­echts.

Hebt der EuGH eine selektiv wirkende Beihilfe auf, ähnlich wie die kürzlich ergangene Entscheidu­ng der EU-Kommission über die unrechtmäß­ig gewährten Steuerverg­ünstigunge­n Irlands an Apple, ist die Beihilfe verzinst zurückzuza­hlen. Durch einen Brexit entfällt die Bindungswi­rkung der Rechtsprec­hung des EuGH (auch retrospekt­iv). Also könnten britische Unternehme­n gegenüber EU-Gesellscha­ften gezielt bessergest­ellt werden, ohne dabei mit den europarech­tlichen Diskrimini­erungsverb­oten in Konflikt zu geraten.

Zweijährig­e Übergangsz­eit

Das Brexit-Votum der Briten hat weltweit für Überraschu­ng und Unsicherhe­it gesorgt. Weil die geltenden EU-Regelungen für Großbritan­nien-Sachverhal­te noch mindestens zwei Jahre anwendbar sind, ist ein übereiltes Handeln aber nicht angebracht. Bis zum tatsächlic­hen Austritt sind keine gesetzlich­en Änderungen im Bereich der Steuern zu erwarten, also ergeben sich auch keine unmittelba­ren rechtliche­n Konsequenz­en.

 ?? [ Reuters/ Kevin Coombs ] ?? Für grenzübers­chreitende Warenbeweg­ungen kann die Umsatzsteu­er in jede Richtung geändert werden.
[ Reuters/ Kevin Coombs ] Für grenzübers­chreitende Warenbeweg­ungen kann die Umsatzsteu­er in jede Richtung geändert werden.

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