Wo sich die Briten Steuervorteile holen können
Brexit. Der bevorstehende Austritt Großbritanniens wird sich in den einzelnen Gebieten des Steuerrechts unterschiedlich stark auswirken. Britische Unternehmen werden vom Nicht-EU-Land gezielt besser behandelt werden.
Wien. Übermorgen, Mittwoch, will die britische Premierministerin Theresa May den „Brexit“beantragen. Auch wenn noch nicht klar ist, wie der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union tatsächlich erfolgen wird, steht schon fest: Es wird zu weitreichenden rechtlichen und somit auch steuerrechtlichen Auswirkungen kommen.
Viele Vorschriften des österreichischen Steuerrechts werden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt auf Geschäfte mit Großbritannien-Bezug anzuwenden sein. Es zeigt sich bereits jetzt, dass die Auswirkungen sehr unterschiedlich sein werden: Während etwa im Bereich der Umsatzsteuer und der Zollabgaben es zu durchaus erheblichen Änderungen kommen könnte, sind die Auswirkungen im Ertragsteuerrecht voraussichtlich eher gering.
IErtragsteuern. Bei der Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte innerhalb der EU spielen die europarechtlichen Grundfreiheiten, Beschränkungsund Diskriminierungsverbote, EURichtlinien und bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) eine besondere Rolle. Der nationale Gesetzgeber darf rein innerstaatliche Sachverhalte nicht besser behandeln als grenzüberschreitende. Dieser Diskriminierungsschutz entfällt nach dem Brexit für Sachverhalte mit Großbritannien-Bezug. Betroffen davon sind etwa die Möglichkeit beschränkt Steuerpflichtiger, zur unbeschränkten Steuerpflicht zu optieren (nur für EU-/EWR-Bürger), das Ratenzahlungskonzept bei der Wegzugsbesteuerung (nur bei Wegzug in EU-/EWR-Staat), die Steuerbefreiung von Auslandsentsendungen (nur bei Entsendung in EU-/EWR-Staat) und die Absetzbarkeit des Kinderfreibetrags und des Unterhaltsabsetzbetrags (nur bei in EU-/EWR-Staat aufhältigen Kindern).
Daneben existieren ertragsteuerrechtliche EU-Richtlinien (z. B. Mutter-Tochter-Richtlinie, Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie), die insbesondere in Konzernbeziehungen grenzüberschreitende Sachverhalte vereinheitlicht besteuern, oftmals auch steuerfrei stellen, jedenfalls jedoch eine Bevorzugung rein nationaler Sachverhalte vermeiden. Ein Austritt aus der EU müsste auch den Austritt aus dem Anwendungsbereich der Richtlinien und der darauf beruhenden nationalen Regelungen bewirken. Diese sind oftmals aber nicht nur gegenüber EU-/EWRStaaten anzuwenden, sondern auch solchen Staaten, mit denen eine umfassende Amtshilfevereinbarung besteht – so auch zwischen Österreich und Großbritannien.
Generell bilden die DBA innerhalb der EU ein teilweise redundantes zweites Sicherheitsnetz gegen Doppelbesteuerung. Dieses zweite Sicherheitsnetz würde durch den Brexit an Bedeutung gewinnen. Wieder auflebende Quellenbesteuerungsrechte (auf Divi- denden, Zinsen und Lizenzgebühren) würden durch das DBA verringert oder vermieden, das unabhängig vom Brexit weiter besteht. Kein Sicherheitsnetz besteht jedoch im Bereich der EU-Fusionsrichtlinie, weil DBA keine Begünstigungen für internationale Umgründungen vorsehen. Werden im Zuge internationaler Umgründungen stille Reserven aufgedeckt, ist die darauf entfallende Abgabenschuld sofort zu entrichten.
Keine Änderung dürfte es hingegen bei der Berücksichtigung ausländischer (Betriebsstätten-) Verluste und der Einbeziehung britischer Unternehmen in die österreichische Gruppenbesteuerung geben.
IUmsatzsteuer und Zoll. Infolge des Brexit werden Ein- und Ausfuhren zwischen Großbritannien und der EU nicht mehr als innergemeinschaftliche Lieferung angesehen. Das macht Warenbewegungen in Zukunft grundsätzlich zollabgabenpflichtig. Dadurch könnten Importe aus sowie Exporte nach Großbritannien tendenziell teurer werden, was sich negativ auf den Außenhandel auswirken würde. Freilich darf Großbritannien nach den zollrechtlichen Rahmenvereinbarungen der Welthandelsorganisation (WTO) nicht willkürlich Beschränkungen erlassen: Das Meistbegünstigungsprinzip erschwert Begünstigungen nur einzelner Staaten. Werden daher auf gleichartige Produkte Zölle oder Abgaben erhoben, so müssen diese gegenüber allen WTO-Mitgliedern bedingungslos gleich hoch sein.
Die Umsatzsteuer ist EU-weit besonders stark harmonisiert. Sobald Großbritannien ein Drittlandsgebiet wird, führen Lieferungen aus oder nach Großbritannien nicht mehr zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb oder Lieferung. Die Lieferungen sind dann als Einfuhr oder als Ausfuhr einzustufen und zu besteuern. Großbritannien könnte weiters seine Regelungen über die Umsatzsteuer in jede Richtung abändern. Ein gänzliches Abschaffen ist angesichts der zu erwartenden Steuerausfälle aber eher unwahrscheinlich.
ISteuerwettbewerb. Großbritannien wird auch nicht mehr an das EU-Beihilfenrecht gebunden sein. Die EU verbietet staatliche Beihilfen, soweit sie nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugutekommen und den Wettbewerb verfälschen. Auch punktuelle steuerrechtliche Begünstigungen können vom Beihilfenverbot erfasst sein. Aus dem Wegfall dieser Schranken könnte das Vereinigte Königreich Vorteile im Steuerwettbewerb ziehen. So könnten selektive steuerliche Begünstigungen (sog. Tax Rulings) gewährt werden. Diese sind zumeist eine unzulässige Begünstigung im Sinn des Beihilfenrechts.
Hebt der EuGH eine selektiv wirkende Beihilfe auf, ähnlich wie die kürzlich ergangene Entscheidung der EU-Kommission über die unrechtmäßig gewährten Steuervergünstigungen Irlands an Apple, ist die Beihilfe verzinst zurückzuzahlen. Durch einen Brexit entfällt die Bindungswirkung der Rechtsprechung des EuGH (auch retrospektiv). Also könnten britische Unternehmen gegenüber EU-Gesellschaften gezielt bessergestellt werden, ohne dabei mit den europarechtlichen Diskriminierungsverboten in Konflikt zu geraten.
Zweijährige Übergangszeit
Das Brexit-Votum der Briten hat weltweit für Überraschung und Unsicherheit gesorgt. Weil die geltenden EU-Regelungen für Großbritannien-Sachverhalte noch mindestens zwei Jahre anwendbar sind, ist ein übereiltes Handeln aber nicht angebracht. Bis zum tatsächlichen Austritt sind keine gesetzlichen Änderungen im Bereich der Steuern zu erwarten, also ergeben sich auch keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen.