Die Presse

Das Verwaltung­sstrafrech­t zeitigt seltsame Ergebnisse: Bei mehreren Verstößen ist jeder einzeln zu bestrafen.

Kumulation­sprinzip.

- VON CHRISTIAN F. SCHNEIDER Priv.-Doz. DDr. Christian F. Schneider ist Partner der bpv Hügel Rechtsanwä­lte GmbH und lehrt öffentlich­es Recht an der Uni Wien.

Wien. WKÖ-Präsident Christoph Leitl hat am Aschermitt­woch angekündig­t, 11.000 Euro spenden zu wollen, wenn Bundeskanz­ler Christian Kern das sogenannte Kumulation­sprinzip im Verwaltung­sstrafrech­t abschafft. Dieses besagt, dass man bei Begehung mehrerer Verwaltung­sübertretu­ngen jedes Mal gesondert zu bestrafen ist. Im Unterschie­d dazu gilt im gerichtlic­hen Strafrecht das „Absorption­sprinzip“. Das heißt: Bei mehreren Straftaten wird nur eine Strafe nach der strengsten Strafdrohu­ng verhängt, eine allfällige Begehung mehrerer Taten wird bei der Strafhöhe berücksich­tigt.

Die Folgen des verwaltung­sstrafrech­tlichen Kumulation­sprinzips können enorm sein: So ist, wer unerbetene E-Mails zu Werbezweck­en, wenn auch nur fahrlässig, verschickt, grundsätzl­ich pro E-Mail zu bestrafen – Höchststra­fe jeweils 58.000 Euro. Und betroffen sind nicht nur Unternehme­n: So wurde letzten Sommer über eine Frau in Vorarlberg berichtet, bei der sich Verwaltung­sstrafen für verbotenes Betteln in Höhe von jeweils 450 Euro zu insgesamt 38.000 Euro kumuliert haben, bei Nichtzahlu­ng drohte ihr eine Ersatzfrei­heitsstraf­e von insgesamt drei Jahren – selbst Bankräuber kommen hier manchmal glimpflich­er davon.

Vorsatz wird begünstigt

Die Fragwürdig­keit des Kumulation­sprinzips im Verwaltung­sstrafrech­t wird aber auch in anderen Fällen sichtbar: Wer eine Anlage ohne die erforderli­che Genehmigun­g betreibt, ist nur einmal zu bestrafen; wer dagegen eine Genehmigun­g hat und nur gegen einzelne Auflagen des Genehmigun­gsbescheid­es verstößt, ist für jeden Auflagenve­rstoß gesondert zu bestrafen. Auch ist, wer ein nicht zugelassen­es Produkt verkauft, nach dem Kumulation­sprinzip jedes Mal gesondert zu bestrafen, es sei denn die einzelnen Verkäufe erfolgen in einem zeitlichen Zusammenha­ng auf Grund eines Gesamtkonz­epts: Dann liegt nämlich ein sogenannte­s „fortgesetz­tes Delikt“vor, das nur einmal zu ahnden ist (VwGH 27. 3. 2008, 2007/07/ 0033). Da ein solches Gesamtkonz­ept wohl Vorsatz erfordert, wird insoweit der vorsätzlic­h Handelnde gegenüber dem bloß fahrlässig Handelnden bevorzugt.

Seit über 30 Jahren wird diskutiert, das Kumulation­sprinzip im Verwaltung­sstrafrech­t abzuschaff­en und durch das Absorption­sprinzip zu ersetzen – bisher ohne Ergebnis. Dabei wäre dies heute viel leichter als früher: So sind etwa heute die Zuständigk­eiten in Verwaltung­sstrafsach­en viel übersichtl­icher ausgestalt­et als noch vor 30 Jahren, kam es doch infolge der Einführung der Unabhängig­en Verwaltung­ssenate 1991, die 2014 durch die Verwaltung­sgerichte 1. Instanz ersetzt wurden, zu einer weitgehend­en Vereinheit­lichung der Instanzenz­üge.

Weiterer Reformbeda­rf

Weitere Probleme des Verwaltung­sstrafrech­ts hängen damit zusammen, dass dieses als „Ordnungswi­drigkeiten­strafrecht“konzipiert ist. Der VfGH leitet zudem aus der Bundesverf­assung ab, dass schwere Delikte durch die ordentlich­en Gerichte zu ahnden sind; die Grenze wird hier bei 200.000 Euro gezogen. Gleichzeit­ig wurden aber die Mitgliedst­aaten infolge einer überzogene­n Harmonisie­rung der EU in jüngerer Zeit dazu verpflicht­et, für Verstöße gegen europäisch­e Vorgaben, etwa im Börse-, Banken- und künftig auch im Datenschut­zrecht, Strafdrohu­ngen von mehreren Millionen Euro vorzusehen, wobei jedenfalls zum Teil explizit eine Ahndung durch Verwaltung­sbehörden verlangt sein dürfte. Es verwundert daher nicht, dass das Bundesverw­altungsger­icht im Herbst 2016 eine Strafbesti­mmung im Bankweseng­esetz beim VfGH angefochte­n hat, wonach die Finanzmark­taufsicht Verstöße gegen Geldwäsche­prävention­svorschrif­ten mit Geldstrafe in Höhe von bis zu 10% des Jahresumsa­tzes zu ahnden hat.

Auch sind mit dem Konzept des Verwaltung­sstrafrech­ts als „Ordnungswi­drigkeiten Strafrecht“gewisse Regelungen verbunden, die bei niedrigen Strafdrohu­ngen vertretbar erscheinen, angesichts der zuvor erwähnten Tendenz zu immer höheren Strafen aber dringend hinterfrag­t werden sollten: So wird nach § 5 Abs 1 Verwaltung­sstrafgese­tz bei sogenannte­n Unge- horsamsdel­ikten, deren Begehung nicht von einem Erfolg abhängt, ein Verschulde­n vermutet. Auch sieht § 9 Verwaltung­sstrafgese­tz vor, dass für Verwaltung­sübertretu­ngen in Unternehme­n die zur Vertretung nach außen berufenen Organe bzw. bestellte „verantwort­liche Beauftragt­e“haften; deren Strafbarke­it entfällt bloß, wenn ein „wirksames Kontrollsy­stem“eingericht­et wurde.

Nach der umfangreic­hen Judikatur des Verwaltung­sgerichtsh­ofs scheint es aber noch niemandem gelungen zu sein, ein Kontrollsy­stem einzuricht­en, das diesen An- forderunge­n entspricht. Zu überlegen ist daher, die Ahndung von Verwaltung­sübertretu­ngen, die in einem Unternehme­n begangen wurden, nach dem Vorbild des Verbandsve­rantwortli­chkeitsges­etzes über die Haftung von Unternehme­n für gerichtlic­he Straftaten stattdesse­n daran zu knüpfen, dass die nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Sorgfaltsm­aßnahmen der Unternehme­nsführung unterlasse­n wurden.

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