Nach dem Heiligen Gral sind wir alle ständig auf der Suche
In Wagner’schen Musikdramen steckt auch mancher Auftrag an das Publikum: Wie gehen wir mit dem europäischen Kulturerbe um? „Erlösung dem Erlöser“– was mag das für uns bedeuten?
Dieser Tage ist es so weit, die Wiener Staatsoper bittet zur Premiere einer Neuproduktion von Wagners „Parsifal“. Und das ist jedenfalls etwas Einschneidendes, denn wenn es eine Oper, Pardon: ein Musikdrama, Pardon: ein Bühnenweihfestspiel gibt, das anders ist als alle andern, dann dieser „Parsifal“.
Die Tatsache, dass man ihn in der Staatsoper überhaupt spielt, ist schon rechtswidrig, denn Meister Wagner hat sein Opus magnum ausdrücklich für sein Bayreuther Festspielhaus bestimmt und wollte es nur dort aufge- führt wissen. Seine Gemeinde sollte zu einer Pilgerstätte kommen und dort Jahr für Jahr darüber nachdenken, was es mit den christlichen Wurzeln des Abendlandes auf sich hat – und wie wir uns dieses Erbes als würdig erweisen können.
Die zentrale – und oft missdeutete – Frage, die sich in diesem Werk stellt, ist die nach dem Sinn der Schlussworte, „Erlösung dem Erlöser“. Wer soll wovon erlöst werden? Die wesentliche Botschaft ist die: Das gesamte philosophisch-politische System bricht zusammen, wenn der Gottesdienst von „schuldbefleckten Händen“geübt wird.
Die Deutung dieser Grundwahrheit muss für jede Generation neu durchdacht werden; daher ist es bestimmt sinnvoll, dass man die Deu- tungshoheit nicht Bayreuth überlassen hat, denn es steckt für die ganze Welt, oder zumindest für jenen Teil der Welt, der sich Sorgen über den möglichen Fortbestand der abendländischen Kultur machen muss, ein gehöriges Potenzial an grundlegenden Fragenstellungen in der Aufgabe, die Wagner, der Dichter-Komponist, seinem Publikum stellt.
Wie mit seinem „Ring“hat Wagner auch mit dem „Parsifal“ein Stück geschaffen, das man sich von Äon zu Äon neu erobern muss. Während ja etwa Verdis „Traviata“, Puccinis „Tosca“in einer „Oper 1.0“am besten aufgehoben scheinen, weil sie durch Verpflanzung in andere Zeiten, durch Umdeutung und regieliche Willkür nur an erzählerischer Substanz verlieren können.
Für dieses rätselhaft vieldeutige „Bühnenweihfestspiel“braucht es keine dritte oder vierte Auflage dessen, was Oper sein kann, sondern vielleicht schon eine „Oper 16.0“.
Wir haben vieldeutige „Parsifal“Deutungen erlebt, zuletzt in Wien durch Christine Mielitz, in Bayreuth durch Stefan Herheim, der besonders klug den vordergründigen Inhalt mit hintergründiger Analyse historischer Interpretationen verknüpfte.
Wir werden sehen, wie die Sache diesmal bei Alvis Hermanis ausgeht, einem Mann, der sich zumindest in der Realpolitik dadurch auszeichnet, dass er sich nicht scheut, Meinungen zu vertreten, die unerschrocken wider den Stachel des Mainstream löcken.