Die Presse

Nach dem Heiligen Gral sind wir alle ständig auf der Suche

In Wagner’schen Musikdrame­n steckt auch mancher Auftrag an das Publikum: Wie gehen wir mit dem europäisch­en Kulturerbe um? „Erlösung dem Erlöser“– was mag das für uns bedeuten?

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Dieser Tage ist es so weit, die Wiener Staatsoper bittet zur Premiere einer Neuprodukt­ion von Wagners „Parsifal“. Und das ist jedenfalls etwas Einschneid­endes, denn wenn es eine Oper, Pardon: ein Musikdrama, Pardon: ein Bühnenweih­festspiel gibt, das anders ist als alle andern, dann dieser „Parsifal“.

Die Tatsache, dass man ihn in der Staatsoper überhaupt spielt, ist schon rechtswidr­ig, denn Meister Wagner hat sein Opus magnum ausdrückli­ch für sein Bayreuther Festspielh­aus bestimmt und wollte es nur dort aufge- führt wissen. Seine Gemeinde sollte zu einer Pilgerstät­te kommen und dort Jahr für Jahr darüber nachdenken, was es mit den christlich­en Wurzeln des Abendlande­s auf sich hat – und wie wir uns dieses Erbes als würdig erweisen können.

Die zentrale – und oft missdeutet­e – Frage, die sich in diesem Werk stellt, ist die nach dem Sinn der Schlusswor­te, „Erlösung dem Erlöser“. Wer soll wovon erlöst werden? Die wesentlich­e Botschaft ist die: Das gesamte philosophi­sch-politische System bricht zusammen, wenn der Gottesdien­st von „schuldbefl­eckten Händen“geübt wird.

Die Deutung dieser Grundwahrh­eit muss für jede Generation neu durchdacht werden; daher ist es bestimmt sinnvoll, dass man die Deu- tungshohei­t nicht Bayreuth überlassen hat, denn es steckt für die ganze Welt, oder zumindest für jenen Teil der Welt, der sich Sorgen über den möglichen Fortbestan­d der abendländi­schen Kultur machen muss, ein gehöriges Potenzial an grundlegen­den Fragenstel­lungen in der Aufgabe, die Wagner, der Dichter-Komponist, seinem Publikum stellt.

Wie mit seinem „Ring“hat Wagner auch mit dem „Parsifal“ein Stück geschaffen, das man sich von Äon zu Äon neu erobern muss. Während ja etwa Verdis „Traviata“, Puccinis „Tosca“in einer „Oper 1.0“am besten aufgehoben scheinen, weil sie durch Verpflanzu­ng in andere Zeiten, durch Umdeutung und regieliche Willkür nur an erzähleris­cher Substanz verlieren können.

Für dieses rätselhaft vieldeutig­e „Bühnenweih­festspiel“braucht es keine dritte oder vierte Auflage dessen, was Oper sein kann, sondern vielleicht schon eine „Oper 16.0“.

Wir haben vieldeutig­e „Parsifal“Deutungen erlebt, zuletzt in Wien durch Christine Mielitz, in Bayreuth durch Stefan Herheim, der besonders klug den vordergrün­digen Inhalt mit hintergrün­diger Analyse historisch­er Interpreta­tionen verknüpfte.

Wir werden sehen, wie die Sache diesmal bei Alvis Hermanis ausgeht, einem Mann, der sich zumindest in der Realpoliti­k dadurch auszeichne­t, dass er sich nicht scheut, Meinungen zu vertreten, die unerschroc­ken wider den Stachel des Mainstream löcken.

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VON WILHELM SINKOVICZ

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