Volksoper: Die Qual der Wally
Kritik. Alfredo Catalanis „La Wally“, die Oper nach dem Geyer-Wally-Roman, kommt in Wien ganz ohne Trachten und Berge, dafür in expressionistischen Graustufen daher.
Ein Unfall? Nein: ein Liebestod. Gerade haben Wally und Giuseppe Hagenbach noch in der Liebestonart E-Dur zueinander gefunden, da werden sie von einer Lawine begraben. In der Volksoper gibt man nämlich nicht den üblichen Schluss von Alfredo Catalanis „La Wally“, bei dem die Titelfigur mit großer Divengeste a` la Tosca dem fortgerissenen Geliebten in den Abgrund nachspringt, sondern die knappe Uraufführungsversion von 1892: Hier endet die Oper nach dem Lärm abgehender Schneemassen mit einer zarten Erlösung in reinem C-Dur-( Gletscher-)Licht, der im Charakter nicht weit entfernt ist von Wagners „Holländer“.
Kein Zufall, gehörte doch der früh verstorbene Catalani der romantischen Künstlerbewegung der „Scapigliatura“an, die die italienische Oper neu erfinden wollte und dabei auch Wagner-Einflüsse nicht scheute – damals ein Sakrileg für manche italienische Ohren. Dafür waren sowohl Toscanini als auch Mahler von dem Werk begeistert, doch dessen Erfolg ebbte ab: Lange Zeit war kaum mehr als Wallys famose Arie im kollektiven Operngedächtnis verankert.
Mittlerweile steigt das Interesse am italienischen Verismo wieder – oder besser: am Repertoire rund um diesen. Denn auch an „La Wally“, dieser Opernversion von Wilhelmine von Hillerns mehrfach verfilmtem Ro- man „Die Geier-Wally“, faszinieren gerade die musikalischen Bezüge abseits vom bloßen Realismus, also die romantischen, impressionistischen und modernen Anklänge. Marc Piollet holt mit dem nuanciert spielenden Orchester vieles davon an die Oberfläche oder macht es im Untergrund fühlbar.
Nur ja kein Heimatfilmklischee!
Regisseur Aron Stiehl meidet jedes Heimatfilmklischee und betont das Surreale, Expressionistische. Frank Philipp Schlößmann setzt auf der Drehbühne Außen und Innen aus ähnlichen weißen, in unterschiedlicher Dichte schwarz schraffierte Elementen zusammen. Dass dämonisch anmutende Passagen die Partitur durchziehen, hat Stiehl offenbar dazu inspiriert, die kleine Rolle des Infanteristen zu einem das Stück tragenden Mephisto auszubauen: Daniel Ohlenschläger lauert als geisterhafter Spielmacher am Bühnenrand, mischt sich ein und bestimmt die düsteren Wendungen der Handlung.
Solchermaßen am Gängelband geführt, bleiben die eigentlichen Figuren etwas blass, wobei leider ausgerechnet die Wally der Hausdebütantin Kari Postma auch sängerisch enttäuscht. Sie sei frei wie das Irrlicht und der Wind, erklärt sie in der hier gegebenen deutschen Übersetzung einmal – und beschreibt damit ungewollt auch ihre unstete, flackernde Tongebung, die sich im Laufe des Abends nur wenig festigt. Ihrem etwas spröden Sopran mangelt es an lyrischer Ruhe ebenso wie an dramatisch aufblühenden, leuchtenden Spitzentönen, der Text ist kaum verständlich: Mit dieser Partie hat ihr das Besetzungsbüro keinen Dienst erwiesen.
Vincent Schirrmacher lässt als Hagenbach nicht nur Stentortöne hören, sondern formt manch schöne Phrase und kommt insgesamt gut über die Runden. Fesch, aber nicht ganz so hallodrihaft wie das Libretto erfordern würde und von der Regie allein gelassen, steht er merkwürdig neben der Rolle. Im letzten Akt schreitet er wie ein Auferstandener einher – der Verdacht keimt, dass das Liebesduett bloß Wallys Wunschtraum darstellt: Immerhin wollte sie ihn zuvor aus Rache töten lassen, denn auch bei der stolzen Wally sitzt sozusagen der Taschenfeitel locker.
Bernd Valentin gibt den von ihr verschmähten Freier Gellner, der vom Gutsverwalter zum Mordschützen wird: hintersinnig, dass Catalani gerade ihm die glühendsten Liebesschwüre des Stücks anvertraut, die in unangenehme Höhen führen. Valentin bewältigt sie mit Anstand, so wie Elisabeth Schwarz die stilisierten Jodler des jungen Walter; Annely Peebo ist die resche Wirtin Afra. Kurt Rydl hingegen poltert und dröhnt als brutaler Stromminger so, als wolle er schon im ersten Akt persönlich die Lawine auslösen. Höfliche Zustimmung für alle.