Der einsame Baumkumpel
S onntag war einer der trügerischen Frühfrühlingstage, wenn die Sonne warm vom argentinischblauen Himmel strahlt und den Raum heizt, doch draußen taucht man in Eisluft. Über die kahlen braunen oder von kurzen Gräsern bedeckten Äcker im Südosten von NÖ blies rauer Nordwind, und mittendrin stand er: mein Baum.
Er steht einsam und fern von Wegen mitten auf einem riesigen Acker wie ein Leuchtturm. Seine nächsten Genossen, zwei auch recht solitäre Kastanien, sind, ich hab’s gemessen, 155 Meter entfernt an der Straße, zum nächsten Baumvolk, dem Wald am Grenzbach zum Burgenland, sind’s 730 Meter. Je nach Himmelsrichtung sieht man hinter ihm in der Tiefe Windräder, Schlote einer Müllverbrennungsanlage, die Hänge des Leithagebirges mit dem Dorf davor, am Sonntag strahlte ganz klar das weiße Massiv des Schneebergs. Ich radel oft an ihm vorbei, doch komm ihm nie näher als 100 Meter. Jetzt ist er kahl und struppig, bald zaghaft grün, dann dicht und flatternd grün, inmitten von Sonnenblumen oder Mais. Später wird die Gegend wieder nackig und er ein grauer, struppiger Geist.
Er ist, glaub ich, eine Kastanie oder Apfel, keine Ahnung. Ich war noch nie bei ihm, kenne die Rauheit seiner Rinde nicht. Aber er ist mein Kumpel in einer Distanzbekanntschaft. Er zeigt das Kommen und Gehen. Menschen ohne Pflanzenkumpel sind arm. (wg)