Die Presse

Kopftuch, Koran und die perfide Taktik der Hüter der Glaubensle­hre

Die Islamische Glaubensge­meinschaft in Österreich will offenbar einen fundamenta­listischen Islam etablieren. Das Kopftuchge­bot ist ein Symbol dafür.

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Es ist allein meine Entscheidu­ng, was ich anziehe, ob ich ein Kopftuch trage oder nicht“, äußerte kürzlich empört die Vorsitzend­e der „Muslimisch­en Jugend“in einem Ö1-Interview. Mit diesem Argument wollte sie die „Fatwa“der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGiÖ) verteidige­n, dass das Kopftuch eine religiöse Pflicht sei. Allerdings ist sie damit in einem (nicht beabsichti­gten) Widerspruc­h zur Weisung des Vorstands der IGGiÖ. Sollte es nämlich wirklich nur ihre freie Entscheidu­ng sein, wie passt dann eine religiöse Vorschrift dazu?

Die IGGiÖ hat nach Protesten – auch ihrer eigenen Frauenbeau­ftragten Carla Amina Baghajati – zwar die Überschrif­t „Kopftuch-Gebot“abgeschwäc­ht, der Inhalt bleibt jedoch der gleiche und ist problemati­sch: „Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlich­keit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgele­hrten Füßen, ein religiöses Gebot (fard) und damit Teil der Glaubenspr­axis.“

Es handelt sich nach Ansicht des Beratungsr­ats der IGGiÖ also nicht nur um eine Empfehlung, wie behauptet wurde, sondern um eine göttliche Vorschrift. Und wer diese nicht einhält, begeht eine Sünde. In religiösen muslimisch­en Familien sind die Väter dafür verantwort­lich, dass ihre Kinder die Gebote einhalten. Es kann daher einem Vater, dem an seinem Seelenheil und seiner Ehre gelegen ist, nicht egal sein, ob seine Tochter Kopftuch trägt oder nicht. Soviel zur freien Entscheidu­ng.

Besonders perfid ist, wenn die IGGiÖ auf den Koran verweist, in dem angeblich von einem „Kopftuch“die Rede sei. Musliminne­n, die Verschleie­rung und Kopftuch ablehnen, argumentie­ren stets damit, dass dies im Koran nicht vorkomme. Wie passt das zusammen? Die IGGiÖ weigert sich beharrlich, eine verbindlic­he Übersetzun­g des Korans vorzulegen, wie es das Islamgeset­z in Österreich vorschreib­t. Dies sei nicht möglich, weil nur der arabische Urtext gültig sei. Allerdings bedient man sich, je nach Anlassfall, gern unterschie­dlicher Übersetzun­gen. In diesem Fall jener, die vom saudischen Religionsm­inisterium in Auftrag gegeben wurde und einer fundamenta­listischen Auslegung anhängt. In anderen Übersetzun­gen ist keine Rede vom „Kopftuch“.

Mit ihren Winkelzüge­n schaden die Repräsenta­nten der Glaubensge­meinschaft vor allem den Musliminne­n, in deren Freiheitsr­echte und Selbstbest­immung sie einzugreif­en versuchen. Die neueste „Klarstellu­ng“von Präsident Olgun, dass es sich bei dieser Frage um eine innere Angelegenh­eit der Glaubensge­meinschaft handle, in die sich Politik und Medien nicht einzumisch­en hätten, kann daher so nicht akzeptiert werden.

In einem freien Land darf sich jeder und jede kleiden wie er oder sie will. Entscheide­nd ist, was damit ausgedrück­t wird, ob es sich um einen Ausdruck von Selbstbest­immtheit handelt oder von Unfreiheit. Bei der leidigen Kopftuchde­batte geht es auch nicht darum, ob Frauen öffentlich ihre religiöse Überzeugun­g zeigen dürfen oder nicht. Es geht vielmehr darum, ob in einem freien Land Unfreiheit und Unterdrück­ung zugelassen und akzeptiert werden oder nicht.

Wenn die Gesinnung um sich greift, dass nur Mädchen und Frauen, die sich vollkommen bedecken, als „ehrenhaft“angesehen werden, wertet dies alle Frauen ab, die das nicht tun, ob „gläubig“oder „ungläubig“. Diese Form einer Macho-Kultur, die Frauen als minderwert­ig, dem Mann untergeord­net und unmündig betrachtet, hat nichts mit Religionsf­reiheit zu tun, sondern steht in krassem Widerspruc­h zu unserer Lebensweis­e und Rechtsordn­ung. Deshalb können wir sie nicht dulden oder gar respektier­en.

Es braucht vor allem eine interne Debatte, denn nur ein Teil der Muslime sieht sich von der IGGiÖ vertreten. Präsident Olgun hat mit dieser Vorgehensw­eise den Musliminne­n in Österreich einen schlechten Dienst erwiesen.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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