Russland macht syrischem Regime die Mauer
Giftgasattacke. Der Westen sieht Assads Luftwaffe hinter Angriff in Idlib, Russland hat eine andere Version parat.
Kairo/Damaskus. Nach dem schwersten Giftgasangriff in Syrien seit 2013 ist ein heftiger internationaler Streit darüber entbrannt, wer für das Massaker in Khan Sheikhoun in der Provinz Idlib verantwortlich ist. Das Regime Bashar alAssads streitet „kategorisch“ab, mit dem Erstickungstod von bisher mehr als 72 Menschen etwas zu tun zu haben. Russlands Verteidigungsministerium sagt, bei einem syrischen Luftangriff sei eine Bombenfabrik der Rebellen mit „toxischen Substanzen“getroffen worden, dadurch sei das tödliche Gas freigesetzt worden. Syrische Flugzeuge hatten Dienstagfrüh Khan Sheikhoun bombardiert.
Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs bezichtigen hingegen Syriens Luftwaffe, direkt die C-Waffen eingesetzt zu haben. UN-Generalsekretär Antonio Guterres und Kanzlerin Angela Merkel sprechen von einem Kriegsverbrechen.
„UN-Entwurf ist antisyrisch“
Noch am Mittwoch wollte der UNSicherheitsrat in New York zu einer Dringlichkeitssitzung zusammentreten. Der von den drei west- lichen Vetomächten USA, Großbritannien und Frankreich eingebrachte Resolutionsentwurf forderte eine umfassende Aufklärung und Zugang zu den Fliegerhorsten und Einsatzplänen der syrischen Luftwaffe, um die Piloten und ihre Kommandanten sowie die Herkunft des Kampfstoffes zu ermitteln. Das russische Außenamt stellte noch vor Beginn der Sitzung klar, dass der Resolutionsentwurf „grundsätzlich unannehmbar“sei. Er sei „antisyrisch“und greife den Ergebnissen von Ermittlungen vor.
Seit dem Beginn des Krieges vor sechs Jahren blockierten Russland und China sieben Mal UNResolutionen gegen Assad.
Alle ihm bisher vorliegenden Informationen deuteten auf eine Täterschaft des Regimes hin, erklärte der britische Außenminister, Boris Johnson, der am Mittwoch in Brüssel zusammen mit zahlreichen europäischen Spitzenpolitikern an der Geberkonferenz für Syrien teilnahm. Deutschlands Außenminister, Sigmar Gabriel, forderte, die Verantwortlichen in Damaskus müssten zur Verantwortung gezogen werden. „Es darf keine Kumpanei mit dem Assad-Regime geben – auch nicht im Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staates“, erklärte er. „Der gemeinsame Kampf gegen den IS darf nicht dazu führen, den schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien aus den Augen zu verlieren.“
Das Treffen in Brüssel, bei dem es um Flüchtlingshilfe und den Wiederaufbau ging, wurde vom Giftgasangriff in Syrien überschattet. Auf den Gängen des Konferenzzentrums zirkulierten Fotos von erstickten Opfern.
Über das eingesetzte Gas gab es zunächst keine sicheren Informationen. Augenzeugen berichteten von einem fauligen Geruch und einer gelblichen, pilzförmigen Rauchwolke nach dem Einschlag der Rakete. Ärzte erklärten, die Symptome bei den Opfern seien wesentlich gravierender als bei Chlorgasangriffen. Bei Chlor, das in der Vergangenheit von Regime und Rebellen eingesetzt wurde, ist die Zahl der Opfer eher gering, weil das Gas an der Luft schnell verdampft. Wenn Menschen sterben, dann meist in geschlossenen Räumen, wie vergangene Woche, als nach zwei Chlorattacken auf den Nachbarort Latamnah ein Arzt in einem Behandlungszimmer starb.
In Khan Sheikhoun dagegen kollabierten zahlreiche Bewohner auf offener Straße. Helfer fanden ganze Familien tot in ihren Häusern. Dreißig der 160 Verletzten wurden in türkische Krankenhäuser überstellt, weil die medizinischen Einrichtungen in Syrien völlig überlastet sind.
Hinweise auf Sarin-Vergiftung
Die Opfer zeigten Symptome wie nach einer Vergiftung mit dem Nervengas Sarin. Viele hatten Schaum vor dem Mund oder bluteten aus Nase und Mund. Überlebende mussten sich übergeben, verloren das Bewusstsein und zeigten stark verengte Pupillen. Helfer ohne Schutzmasken brachen bei ihrem Einsatz zusammen, nachdem sie mit dem Gift in Kontakt gekommen waren.
„Die Symptome deuten nicht auf Chlorgas hin, aber wir können auch nicht sicher sagen, dass es Sarin war“, erklärte einer der Ärzte gegenüber der Website Syrian direct. Dazu bräuchte man ein Labor und moderne Technik.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO diagnostizierte als wahrscheinliche Ursache phosphororganische Verbindungen, die in Kampfstoffen wie Tabun, Sarin, Soman und Cyclosarin vorkommen und die Nerven angreifen.