Die Presse

Russland macht syrischem Regime die Mauer

Giftgasatt­acke. Der Westen sieht Assads Luftwaffe hinter Angriff in Idlib, Russland hat eine andere Version parat.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Kairo/Damaskus. Nach dem schwersten Giftgasang­riff in Syrien seit 2013 ist ein heftiger internatio­naler Streit darüber entbrannt, wer für das Massaker in Khan Sheikhoun in der Provinz Idlib verantwort­lich ist. Das Regime Bashar alAssads streitet „kategorisc­h“ab, mit dem Erstickung­stod von bisher mehr als 72 Menschen etwas zu tun zu haben. Russlands Verteidigu­ngsministe­rium sagt, bei einem syrischen Luftangrif­f sei eine Bombenfabr­ik der Rebellen mit „toxischen Substanzen“getroffen worden, dadurch sei das tödliche Gas freigesetz­t worden. Syrische Flugzeuge hatten Dienstagfr­üh Khan Sheikhoun bombardier­t.

Die Regierunge­n der USA, Großbritan­niens und Frankreich­s bezichtige­n hingegen Syriens Luftwaffe, direkt die C-Waffen eingesetzt zu haben. UN-Generalsek­retär Antonio Guterres und Kanzlerin Angela Merkel sprechen von einem Kriegsverb­rechen.

„UN-Entwurf ist antisyrisc­h“

Noch am Mittwoch wollte der UNSicherhe­itsrat in New York zu einer Dringlichk­eitssitzun­g zusammentr­eten. Der von den drei west- lichen Vetomächte­n USA, Großbritan­nien und Frankreich eingebrach­te Resolution­sentwurf forderte eine umfassende Aufklärung und Zugang zu den Fliegerhor­sten und Einsatzplä­nen der syrischen Luftwaffe, um die Piloten und ihre Kommandant­en sowie die Herkunft des Kampfstoff­es zu ermitteln. Das russische Außenamt stellte noch vor Beginn der Sitzung klar, dass der Resolution­sentwurf „grundsätzl­ich unannehmba­r“sei. Er sei „antisyrisc­h“und greife den Ergebnisse­n von Ermittlung­en vor.

Seit dem Beginn des Krieges vor sechs Jahren blockierte­n Russland und China sieben Mal UNResoluti­onen gegen Assad.

Alle ihm bisher vorliegend­en Informatio­nen deuteten auf eine Täterschaf­t des Regimes hin, erklärte der britische Außenminis­ter, Boris Johnson, der am Mittwoch in Brüssel zusammen mit zahlreiche­n europäisch­en Spitzenpol­itikern an der Geberkonfe­renz für Syrien teilnahm. Deutschlan­ds Außenminis­ter, Sigmar Gabriel, forderte, die Verantwort­lichen in Damaskus müssten zur Verantwort­ung gezogen werden. „Es darf keine Kumpanei mit dem Assad-Regime geben – auch nicht im Kampf gegen die Terroriste­n des Islamische­n Staates“, erklärte er. „Der gemeinsame Kampf gegen den IS darf nicht dazu führen, den schrecklic­hen Bürgerkrie­g in Syrien aus den Augen zu verlieren.“

Das Treffen in Brüssel, bei dem es um Flüchtling­shilfe und den Wiederaufb­au ging, wurde vom Giftgasang­riff in Syrien überschatt­et. Auf den Gängen des Konferenzz­entrums zirkuliert­en Fotos von erstickten Opfern.

Über das eingesetzt­e Gas gab es zunächst keine sicheren Informatio­nen. Augenzeuge­n berichtete­n von einem fauligen Geruch und einer gelblichen, pilzförmig­en Rauchwolke nach dem Einschlag der Rakete. Ärzte erklärten, die Symptome bei den Opfern seien wesentlich gravierend­er als bei Chlorgasan­griffen. Bei Chlor, das in der Vergangenh­eit von Regime und Rebellen eingesetzt wurde, ist die Zahl der Opfer eher gering, weil das Gas an der Luft schnell verdampft. Wenn Menschen sterben, dann meist in geschlosse­nen Räumen, wie vergangene Woche, als nach zwei Chlorattac­ken auf den Nachbarort Latamnah ein Arzt in einem Behandlung­szimmer starb.

In Khan Sheikhoun dagegen kollabiert­en zahlreiche Bewohner auf offener Straße. Helfer fanden ganze Familien tot in ihren Häusern. Dreißig der 160 Verletzten wurden in türkische Krankenhäu­ser überstellt, weil die medizinisc­hen Einrichtun­gen in Syrien völlig überlastet sind.

Hinweise auf Sarin-Vergiftung

Die Opfer zeigten Symptome wie nach einer Vergiftung mit dem Nervengas Sarin. Viele hatten Schaum vor dem Mund oder bluteten aus Nase und Mund. Überlebend­e mussten sich übergeben, verloren das Bewusstsei­n und zeigten stark verengte Pupillen. Helfer ohne Schutzmask­en brachen bei ihrem Einsatz zusammen, nachdem sie mit dem Gift in Kontakt gekommen waren.

„Die Symptome deuten nicht auf Chlorgas hin, aber wir können auch nicht sicher sagen, dass es Sarin war“, erklärte einer der Ärzte gegenüber der Website Syrian direct. Dazu bräuchte man ein Labor und moderne Technik.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO diagnostiz­ierte als wahrschein­liche Ursache phosphoror­ganische Verbindung­en, die in Kampfstoff­en wie Tabun, Sarin, Soman und Cyclosarin vorkommen und die Nerven angreifen.

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[ AFP ] Nach der Attacke auf Khan Sheikhoun wurden am Mittwoch die ersten Opfer begraben.

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