Gemeindebau: Wie viel steht leer?
Analyse. Die ÖVP spricht von 20.000 leeren Gemeindewohnungen, die SPÖ schickt Anwaltsbriefe und spricht von falschen Behauptungen. Ein Faktencheck.
Wien. Rund 20.000 Wiener Gemeindewohnungen sollen leer stehen. Das behaupten zumindest die Wiener Wirtschaftskammer und die ÖVP. Die SPÖ dementiert und fordert eine Richtigstellung. Wie viel Leerstand gibt es nun wirklich?
1 Protokoll des Leerstand-Streits: Welche Partei behauptete wann was?
ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel lud Anfang der Woche zu einer Pressekonferenz. Thema: 20.000 angeblich leer stehende Gemeindebauwohnungen, die für die Wohnungsknappheit mitverantwortlich sein sollen. Er kritisierte die rot-grüne Wohnbaupolitik, und dass die Wiener Stadtregierung offenbar die Kontrolle über ihre eigenen Immobilien verloren habe. Blümel wiederholte, was er bereits Anfang März aufs Tapet gebracht – und ihm einen Anwaltsbrief des SPÖ-Rathausklubs beschert hatte. Er wurde darin aufgefordert, seine Aussagen zurückzunehmen und umgehend öffentlich zu korrigieren. Nach Ansicht des SPÖ-Klubs gibt es nämlich keinen derartigen Leerstand im Gemeindebau. Die gesetzte Frist habe man getrost verstreichen lassen, sagte Blümel am Montag. Er habe weder jetzt noch später vor, seine Aussagen zu revidieren, sagte er und: „Offenbar steigt die Nervosität bei der SPÖ.“
2 Woher kommt die Zahl der 20.000 unbewohnten Gemeindewohnungen?
Blümels Aussage fußt auf einer Berechnung von Wiens Wirtschaftskammer. Michael Pisecky, Obmann der Immobilientreuhänder, hatte die „20.000 leerstehenden Gemeindewohnungen“Anfang März am Rande einer Pressekonferenz genannt. Die „Presse“fragte nach, woher die Zahl kommt: „Die 20.000 leer stehenden Wohnungen sind eine Verknappung von dem, was ich eigentlich gemeint habe“, so Pisecky. Es handle sich um umgerechnete Erfahrungswerte aus der Privatwirtschaft. „Bei Miethäusern mit einer sehr langjährigen Mieterstruktur ist unsere Erfahrung, dass rund 10–20 Prozent nicht mehr von den eigenen Mietern zu Hauptwohnsitzzwecken genutzt werden, dementsprechend entweder leer stehen oder untervermietet werden.“Sprich: Nicht mehr vom Hauptmieter genutzt werden.
Diesen Erfahrungswert hat der Wirtschaftskammer-Obmann auf Wiener Wohnen umgelegt. Das städtische Unternehmen besitzt in Wien rund 220.000 Wohnungen – zehn Prozent davon sind 20.000 Einheiten. Piseckys Berechnung zufolge steht davon nur ein Teil leer. Der andere wird seiner Logik zufolge von Menschen bewohnt, die keinen Anspruch auf eine Gemeindewohnung haben.
3 Wie viele leer stehende Wohnungen gibt es nun im Wiener Gemeindebau?
In einer Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2016 nennt Wohnbaustadtrat Michael Ludwig zu einem Stichtag die Zahl 6300. Diese Zahl wird der „Presse“von Wiener Wohnen auf Nachfrage bestätigt. „Dabei handelt es sich um Wohnungen, die nach Todesfällen oder Kündigung an Wiener Wohnen zurückgestellt werden und vor einer Wiedervermietung entsprechend adaptiert werden müssen“, sagt Renate Billeth, Pressesprecherin von Wiener Wohnen. Die Leerstandsquote lag in den vergangenen Jahren konstant bei rund zwei Prozent.
Damit ist Wiener Wohnen ungefähr im Wien-weiten Schnitt, der bei einer Leerstandsquote von 2,5 Prozent liegt. Die letzte große Erhebung zum Thema Wohnungsleerstand wurde im Herbst 2015 durchgeführt. Auch damals gab es eine große Diskrepanz zwischen dem, was Immobilien-Experten schätzten und was die Stadt an Zahlen nannte. Während erstere von einem Leerstand von 100.000 Wohnungen ausgingen, rechnete die Stadt eher mit 30.000 unbewohnten Einheiten.
Die Wiener Wohnbauforschung (MA 50) entwickelte daraufhin ein Rechenmodell, mit dem auch die Dauer des Leerstands erhoben werden konnte – die entsprechenden Daten von der Statistik Austria und aus dem Melderegister wurden eingespeist. Das Ergebnis: Rund 10.000 Wohnungen von insgesamt 1.005.000 standen damals laut dieser Berechnung dauerhaft leer, weitere 25.000 Wohnungen für mindestens drei Wochen und maximal zweieinhalb Jahre.
4 Wie viele Wohnungen werden illegal bewohnt und was tut Wiener Wohnen dagegen?
Tatsächlich ist diese Frage schwer zu beantworten, da Wiener Wohnen ihre Häuser dahingehend nicht systematisch und regelmäßig überprüft. „Wenn wir etwa von Nachbarn Hinweise bekommen, gehen wir diesen aber natürlich nach. Wenn sich der Verdacht bestätigt, setzen wir die nächsten Schritte“, sagt Billeth. Und: „Wir brauchen dafür aber Fakten, und nicht nur Schätzungen oder ein Bauchgefühl.“
Vergangenes Jahr wurden 45 Delogierungen durchgeführt. Die Gründe: Grob nachteiliger Gebrauch, Untervermietung und unleidliches Verhalten.