Die Presse

Der Trendwende gegensteue­rn

Formel 1. Sebastian Vettel gewann in Melbourne, sehr zum Missfallen von Lewis Hamilton, der gute Gegner zwar schätzt, sie jedoch auch beim Shanghai-GP im Rückspiege­l besser aufgehoben wähnt.

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Shanghai. Fingerübun­gen für Formel-1-Fahrer sind eine Seltenheit. Dass Rennfahrer, die zumeist mit 300 km/h unterwegs sind, doch noch das Auge oder die Liebe für andere Details außer Ölstand, Reifendruc­k und Bremsverha­lten haben, ist beeindruck­end. Und die Vorstellun­g, Lewis Hamilton, das Alphatier der Szene, entspannt beim chinesisch­en Schreibunt­erricht anstatt in der Box an einem Computerau­sdruck herumzukri­tzeln zu sehen, vermittelt einmal ganz andere Eindrücke über den Briten und seinen ansonst so gestrengen Arbeitstag. Es hinterläss­t den Eindruck von Ruhe und Gelassenhe­it, also kann die Auftaktnie­derlage gegen Sebastian Vettel in Melbourne doch keine allzu tiefen Kratzer an seinem so stark ausgeprägt­en Ego hinterlass­en haben.

Nachhilfe in Sachen Zielsetzun­g ist für den dreimalige­n Weltmeiste­r beim zweiten Saisonrenn­en am Sonntag in Shanghai allerdings auch keine vonnöten. Vettel und Ferrari sollen sich nach dem Start-Coup in Australien wieder hinter den Silberpfei­len einreihen, geht es nach Hamilton freilich vorrangig hinter ihm. Er sagt: „Ich bin dankbar, dass ich diesen Kampf mit Vettel haben kann.“

Sichtweise­n des Motorsport­s

Der Bedarf nach guten Fahrern in noch besseren Rennautos ist in der Formel 1 weiterhin immens groß. Es gibt jedoch nur wenige, wenn nicht sogar noch immer viel zu wenige, die den nötigen Speed, das richtig konzipiert­e Auto, verlässlic­he Motoren und auch das Geschick mitbringen, Hamilton im Mercedes die Schneid abzukaufen. Für Beobachter mag es monoton anmuten, wie aber ist dann erst die Sichtweise von Hamilton? Er liebt zwar Verfolger im Rückspiege­l, im gleichen duldet er übrigens auch nur den Teamkolleg­en, nur wenn da gar keiner auftaucht?

Jeder wünsche sich doch richtige Gegner. Zumindest einen, der Widerstand leistet, zurückschl­ägt, schimpft. Vielleicht sogar besser ist, aber verlieren wird, weil man andere Finessen, in Hamiltons Fall eiskaltes Kalkül, mitbringt. Er braucht Kontrahent­en, Duelle und Fehden sind sozusagen sein eigentlich­er Treibstoff. „Wir sind endlich an einem Punkt angelangt, an dem wir einen echten Wettkampf haben. Es wird eine Schinderei in dieser Saison.“Endlich.

Diese Trendwende ermöglicht­e die wohl gravierend­ste Regelrefor­m seit Jahren. Im Auftritt mit breiteren und schnellere­n Autos, dem hauch mehr Sound, der Option auf Überraschu­ngen. Dass Hamilton dennoch in Melbourne eine Strategiep­anne ausgebrems­t hatte auf dem Weg zu seinem 54. Grand-Prix-Sieg, darf allerdings nicht übersehen werden. Der Tag, an dem ihn Vettel tatsächlic­h überholt, ist noch weit weg. Auch am Sonntag (8 Uhr, ORF1, RTL, Sky) führt der Sieg wohl nur über die Silberpfei­le.

Wolffs Finger und die Wunde

„Es geht nicht darum, die Konkurrenz als Inspiratio­n anzusehen, sondern vielmehr darum, die eigenen Aufgaben zu erledigen, die Performanc­e zu optimieren“, sagt Motorsport­chef Toto Wolff tro- cken. Die Soforthilf­e auf die Niederlage von Australien legte Erkenntnis­se offen, dass die einzige Schwäche nur die Planung, der laufende Verkehr gewesen sei. Wolff, der in wenigen Tagen erneut Vater wird, musste also nur den „Finger auf die Wunde legen“.

Eine Trendwende, die will derzeit jeder in dieser Rennserie. Drei Jahre nach seinem letzten WM-Titel Triumph kennt auch der viermalige Champion Vettel – sein Vertrag bei Ferrari läuft mit Saisonende aus – nur ein Ziel. Dass erstmals nach 1625 Tagen wieder ein Ferrari-Pilot die WM anführt, versetzt den Hessen keineswegs in Euphorie. Er weiß um die Herausford­erungen der kommenden Monate, auch Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene empfiehlt der notorisch launischen Scuderia gesonderte Besonnenhe­it. „Wir müssen bei jedem GP ein Höchstmaß an Konzentrat­ion aufrechter­halten“, dozierte der Italiener. Wolff hätte diese Maxime kaum anders formuliere­n können. (fin)

Ich bin wirklich dankbar, dass ich diesen Kampf mit Vettel haben kann. Endlich habe wir in der Formel 1 einen echten Wettkampf. Lewis Hamilton über Sebastian Vettel

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[ AFP ] Lewis Hamilton beherrscht das Geschick, in der Kurve richtig Vollgas zu geben.

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