Die Presse

„Das ist billiger Populismus“

Interview. DIW-Chef Fratzscher hält nichts vom Beschäftig­ungsbonus für Jobs an Inländer und fordert Härte in den Brexit-Verhandlun­gen.

- VON KARL GAULHOFER

Die Presse: Ist die Krise in Europa überwunden? Marcel Fratzscher: Ich bin guten Mutes, dass Europa in diesem Jahr endlich aus der Krise kommt. Das Wachstum beschleuni­gt sich, auch im Süden. Spanien und Irland haben sich hervorrage­nd entwickelt. Das Sorgenkind Italien wächst wieder stärker. Ich erwarte, dass die Prognosen übertroffe­n werden. Reformen fangen an zu greifen.

Aber sind sie ausreichen­d? Das Zeitfenste­r der Niedrigzin­sen auf Staatsschu­lden schließt sich . . . Spanien ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich harte und mutige Reformen auszahlen. Aber die meisten Regierunge­n haben die Zeit nicht klug genutzt, auch in Deutschlan­d. Zwei Jahre lang kann die EZB den Druck noch dämpfen, dann kommt der Zinshammer. Ich hoffe, dass neue Regierunge­n in Frankreich und Italien wichtige Reformen umsetzen. Wir sollten aufhören, uns in Europa schlechter zu reden, als wir sind. Auch in den USA wären Reformen fällig, passieren aber nicht, oder werden von Trump zurückgeno­mmen.

Wie soll die EU die Brexit-Verhandlun­gen führen? Niemand will Großbritan­nien schädigen, es ist ja ein wichtiger Handelspar­tner. Aber es geht darum, die EU zu schützen. Der Binnenmark­t erfordert, dass sich alle an die gleichen Regeln halten. Es kann nicht sein, dass ein Land privilegie­rt behandelt wird, besser als die Mitgliedss­taaten, die Schweiz oder Norwegen. Die Briten werden nicht bestraft, sie können aus Optionen wählen. Wenn sie den Binnenmark­t wollen, müssen sie die vier Grundfreih­eiten erfüllen.

Großbritan­nien will Firmen mit niedrigen Steuern ins Land locken. Was ist daran schlecht? Es schädigt den Wettbewerb. Darunter leiden Mittelstän­dler, die ihre Abgabenlas­t nicht ins Ausland verlagern können. Sie zahlen einen hohen Preis, wenn große Unternehme­n sich einen unfairen Vorteil verschaffe­n. Ein Wettlauf nach unten ist schlecht für die Marktwirts­chaft. Und für die Ge- sellschaft: Der Staat braucht Einnahmen für wichtige Aufgaben. Das heißt nicht, dass es in der EU keinen Steuerwett­bewerb geben kann. Aber er muss in klaren Grenzen verlaufen, mit einem Mindestste­uersatz. Sonst kommt es zu Missbrauch: Einer profitiert auf Kosten der anderen, so wie Irland das vorgemacht hat.

In Österreich ist die Arbeitslos­igkeit jahrelang gestiegen. Manche halten die EU-Zuwanderun­g für die Wurzel des Problems. Was ist der Befund für Deutschlan­d? Bei uns sind seit 2010 vier Millionen Beschäftig­te dazugekomm­en - Frauen und Ältere, vor allem aber Zuwanderer. Schon vor der Flüchtling­skrise, meist junge EU-Bürger. Ohne sie hätte man Jobs nicht besetzen können. Sie waren kein Hemmschuh, im Gegenteil: Firmen können ja nur expandiere­n, wenn sie genug Arbeitskrä­fte haben. Es gibt immer noch über eine Million offener Jobs. Unternehme­n suchen händeringe­nd, auch nach weniger Qualifizie­rten. Kein Deutscher muss sich Sorgen machen, dass er wegen der Zuwanderer seinen Job verliert oder keinen findet.

Die Lehre daraus für Österreich? Dass stärkeres Wachstum neue Optionen schafft.

Was halten sie vom österreich­ischen Beschäftig­ungsbonus, den es nur für Jobs an Inländer gibt? Das ist billiger Populismus. Eine ehrliche Perspektiv­e ist, dass die EU-Zuwanderer einen ganz wichtigen Beitrag zur wirtschaft­lichen Stärke leisten. Und ein Binnenmark­t kann nur funktionie­ren mit der Freizügigk­eit für die Menschen, genauso wie fürs Kapital.

Unsere Pro-Kopf-Vermögen sind niedriger als in Südeuropa, trotz höherer Einkommen. Das lässt sich aber erklären. Was ist schlimm daran, wenn wir lieber mieten als Wohnungen kaufen, aufs Sozialsyst­em vertrauen und deshalb weniger zur Seite legen? Ersparniss­e sind wichtig, um den Menschen Freiheit zu geben. Die Sozialvers­icherung ist eben eine Versicheru­ng, kein Vermögen. Ich habe mit 35 nichts von Rentenansp­rüchen, wenn ich Geld für die Ausbildung meiner Kinder brauche. Wir brauchen künftig mehr private Vorsorge, aber auch klügere. Viele sparen schlecht, weil sie weder eine Immobilie noch Aktien haben, sondern nur ein Sparbuch.

Sie sagen: Die Vermögen der Reichsten sind nicht das Problem. Anderersei­ts beklagen sie zu niedrige Vermögenss­teuern. Wie passt das zusammen? Wir haben ein Problem bei den unteren 40 Prozent, die sich nichts auf die hohe Kante legen können. Es sollte aber nicht zu einer Neiddebatt­e kommen. Wenn sie den obersten zehn Prozent etwas wegnehmen, heißt das ja nicht, dass es unten ankommt. Deutschlan­d hat riesige Überschüss­e, es liegt also nicht an zu niedrigen Steuereinn­ahmen. Aber: Unsere beiden

(46) ist einer der bekanntest­en und einflussre­ichsten deutschen Ökonomen. Er leitet seit 2013 das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaft­sforschung) in Berlin, das größte derartige Institut des Landes.

der Finanzvors­tände in Stegersbac­h wird Fratzscher am 27. April einen Vortrag halten. Länder besteuern Arbeit sehr stark und Vermögen sehr wenig. Ökonomisch sinnvoll wäre, Arbeit attraktive­r zu machen und dafür passives Kapital wie Grund und Boden stärker zu belasten. Ich sage nicht: Wir brauchen per se höhere Steuern auf Vermögen. Ich sage nur: Die Balance stimmt nicht.

Sie sehen Bildungspo­litik als das beste Mittel gegen Ungleichhe­it. Aber der Zugang zu Bildung ist (fast) gratis, es wurde auch viel investiert. Woran liegt es also, dass bei den Bildungser­gebnissen immer mehr zurückblei­ben? Es ist einiges passiert, vor allem bei Kinderbetr­euungsplät­zen, aber viel zu wenig. Pro Kopf investiere­n die nordischen Länder deutlich mehr. Zu viele schaffen keinen Schulabsch­luss, da ist Langzeitar­beitslosig­keit vorprogram­miert. Österreich und Deutschlan­d brauchen eine massive Bildungsin­itiative. Betreuungs­schlüssel in den Kitas, mehr Ganztagssc­hulen, mehr Durchlässi­gkeit im dreigliedr­igen Schulsyste­m – es gibt so viele Beispiele, wo wir ein Umdenken brauchen, auch in den Köpfen. Die soziale Mobilität ist zu gering: Arm bleibt immer häufiger arm. Freiheit bedeutet auch: Wir dürfen den Menschen nicht ihre Chancen nehmen.

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