Wenn Fischer gegen Delfine streiken
Italien. Weil das Meer bei Sizilien überfischt ist, überfallen hungrige Meeressäuger die Netze der Fischer. Diese fordern finanzielle Entschädigung. Nun will man die klugen Tiere überlisten.
Messina/Wien. Sobald sich die Dunkelheit über das Tyrrhenische Meer senkt, stechen die Fischer von Lipari mit ihren kleinen Kuttern in See. Die einen werfen Netze aus, die anderen holen mit langen Haken Kalmare aus der Tiefe. Bis sie das dumpfe Schnauben hören und wissen: Es war wieder einmal alles umsonst. Wie schon so oft sind ihnen im Schutze der Nacht ganze Rudel von Delfinen gefolgt. Sie überfallen die Boote, reißen die Tintenfische von den Haken und beißen sich durch die Netze.
Ihr Geschmack scheint jenem der Menschen zu ähneln: Wie zum Hohn sind sie nur auf die feine Ware aus, Muränen und Makrelen lassen sie zurück. Seit einigen Monaten schon wiederholt sich der Spuk fast jede Nacht. Der Umsatz der Fischer auf den Äolischen Inseln im Norden Siziliens ist um 70 Prozent eingebrochen. Früher verdienten sie mit ihrer harten nächtlichen Arbeit immerhin 2000 Euro im Monat. Jetzt können sie sich vom kargen Fang kaum noch den Treibstoff leisten. Von neuen Netzen ganz zu schweigen.
Seit Ende voriger Woche bleiben die 120 Boote in den Häfen. Die Fischer legen auf unbestimmte Zeit ihre Arbeit nieder – ein Hilferuf, um die Öffentlichkeit auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Was auch funktioniert: Der Streik lockt die Medien an, die Abendnachrichten sind voll von wütenden Männern vor malerischer Urlaubskulisse. Der Anführer ihrer Vereinigung erklärt voller Pathos: „Jede Nacht findet mitten auf dem Meer ein Kampf ums Überleben statt.“Der Schlachtruf lautet: „Entweder wir oder die Delfine.“Wobei niemand sie töten will: „Wir haben nichts gegen sie.“
Stattdessen fordert man die Politiker auf, den Katastrophenfall auszurufen und Entschädigungen zu zahlen. Ist es nicht auch die Politik, murren nun viele sizilianische Kollegen, die ihnen mit immer neuen Verboten das Leben schwer macht? Wenn sie Schwertund Thunfisch nur noch zu streng reglementieren Zeiten jagen dürfen, bleibe meist nur noch das „Kleinzeug“, auf das es auch die Meeressäuger abgesehen haben.
Der Tourismus hat Vorrang
Warum aber kommt es gerade jetzt zur „Invasion“? Die Delfine hätten sich eben zu kräftig vermehrt, sind viele Inselbewohner überzeugt. Stimmt nicht, der Bestand sei konstant, entgegnet die Meeresbiologin Monica Blasi. Ihr Institut, die Filicudi Wildlife Conservation, beobachtet seit 13 Jahren die Delfine des Archipels. Die gut 40 Exemplare, um die es geht, gehören zu einer küstennah lebenden Art, die vom Aussterben bedroht ist. Schuld an dem Konflikt zwischen Mensch und Tier sei die Überfischung. Der Hunger zwinge die Delfine zu den ungewöhnlichen Attacken auf die Netze. Dass sich das Angebot am umkämpften Nahrungsmarkt derart verknappt hat, hält die Advokatin der Tiere für eine Folge zu lascher Regulierung und fehlender Fangquoten in den Gewässern rund um die sieben Inseln. Aber sie bietet Abhilfe an: Akustische Signale von Geräten auf den Booten sollen ab Mai die Tiere abschrecken. Die Finanzierung dafür sei gesichert.
Aber die Fischer bleiben skeptisch. Sind Delfine nicht hoch intelligente Tiere, die den Trick durchschauen oder sich bald daran gewöhnen werden? Viele halten den geplanten Test für eine Beruhigungspille. Zumal die Tier- schützerin, die ihnen helfen soll, keinen Hehl daraus macht, dass sie einen „Wandel“in der lokalen Wirtschaft für die beste Lösung hält. Biogemüse statt Meeresgetier, lautet ihr Credo.
Auch vom Bürgermeister, der über Lipari und fünf weitere Inseln herrscht, erhalten die Betroffenen nur schwache Schützenhilfe. Sein Kalkül ist einfach: Wie stark zählen schon 200 Fischer auf 12.000 Einwohner, die zum größten Teil vom Tourismus leben? Zu den Attraktionen für die Gäste gehört auch der anmutige Tanz der Delfine, der sich auf teuren Ausflügen von Schiffen aus beobachten lässt. Womit sie „eine Ressource“seien, „genauso wie der Fischfang“. Die bunten Boote am Hafen sollen sicher bleiben. Aber vielleicht schon bald nur mehr als kräftig subventioniertes Fotomotiv.