Der Profit der Kunst, der uns so flexibel macht
Wie jede „documenta“der letzten Zeit zieht auch die 14., die heute startet, gegen den Neoliberalismus zu Felde. Was uns nicht weiter stören sollte.
Kunst lehrt uns, mit Kopf und manchmal auch Körper flexibel zu bleiben.
Kunst hilft uns, die Welt zu erklären“, gab eine Soziologin am Vorabend der „documenta 14“-Pressekonferenz am heutigen Donnerstag der deutschen PresseAgentur zu Protokoll. Nichts gegen Soziologen. Aber. Echt? So einfach ist das nicht mit uns und der Kunst, die wir die nächsten Monate nicht so leicht verdrängen werden können. Denn es startet genau jetzt, das heurige „Art-Mageddon“, das nur alle zehn Jahre stattfindende Mega-KunstJahr, in dem die nur alle fünf Jahre stattfindende Weltkunstausstellung „documenta“in Kassel, die „Biennale Venedig“und das ambitionierteste Festival für Kunst im öffentlichen Raum, die „Skulpturen Projekte Münster“zusammenfallen.
Jetzt. In Athen. Gerade dorthin hat der aktuelle Chefideologe der „documenta“, der 1970 geborene Pole Adam Szymczyk, die Eröffnung verlegt. Erst in zwei Monaten, am 10. Juni, geht es am traditionellen Ort, in Kassel, weiter, mit denselben 150 Künstlern angeblich, die ab heute an 50 (!) Orten in Athen ihre Arbeiten zeigen. Beziehungsweise ihre Performances, das ist ein Schwerpunkt diesmal. Schließlich, so Szymczyk in einem Interview, sei für ihn der „Schlüsselmoment“dieser „documenta“der „individuelle, denkende Körper, der sich dem Machtapparat entgegenstellt“. Der Machtapparat ist zwar der üblich verdächtige in der Gegenwartskunst – „Neoliberalismus und Neokolonialismus“, so Szymczyk, der auch das Prinzip Athen hervorgerufen haben soll (Finanz-, Flüchtlingskrise) – deshalb auch der „documenta“–Titel „Lernen von Athen“. Der Ansatz aber, dass wir durch das Einlassen auf Kunst Dinge am eigenen Körper und im eigenen Denken versuchen und erfahren, denen wir sonst nicht mehr freiwillig begegnen, hat Sinn und Zauber.
Dieses Durchspielen der Gedanken anderer, die uns politisch, gesellschaftlich, kulturell, ja sogar körperlich und erotisch (selten bei Großevents wie „documenta“oder Biennale Venedig) so gar nicht interessieren (auf den ersten Blick) – das ist das, „was uns zu anderen Menschen machen kann“, wie Szymczyk es von der Kunst erwartet. Jedenfalls macht uns dieses Durchspielen zu offeneren, sensibleren, neoliberal gesehen total ausbeutungswürdigen (flexiblen, unregulierbaren) Wesen, und das ist doch gut so.
Stellen wir uns also vor, wir reiten mit bei den kentaurischen Botschaftern dieser „documenta“, bei den vier professionellen Langstrecken-Reitern, die am Wochenende von Athen nach Kassel losreiten werden, 3000 Kilometer, über alte Handels- und heutige Fluchtrouten, von den tatsächlichen Marmorstufen der Akropolis bis zu den nachgemachten des neuen Parthenon-Tempel, der in Kassel gerade aus verbotenen Büchern gebaut wird. Was werden sie erleben? Wem werden sie begegnen? Was essen, wo schlafen, wo die Tiere tränken? Welche Blicke werden sie ernten? Welche Geschichten werden sie erzählen?
Wir werden sie hören dürfen. Denn Kunst ist, Dinge öffentlich zu machen. Hat Adam Szymczyk gesagt. Wir werden davon profitieren.