Die Presse

Anti-Action im Siebzigerj­ahre-Look

Film. In Ben Wheatleys „Free Fire” eskaliert ein Waffendeal zu einer schwarzhum­origen Chaos-Ballerei. Ein Stolper-Scharmütze­l mit Grips, Witz und Drall – aber ohne Gewicht.

- VON ANDREY ARNOLD

Zwei Menschen, für gewöhnlich Männer, stehen einander mit der Waffe im Anschlag gegenüber. Wer zuerst abdrückt, gewinnt. So stellt man sich die klassische Duellsitua­tion im Kino vor: Gut gegen Böse, Recht gegen Unrecht, Freund gegen Feind. Vor allem der US-Western prägte dieses Bild. Dabei kam es darin seltener zu Binär-Geballer, als man glauben könnte – und so schnörkell­os und manichäisc­h, wie das Klischee impliziert, ging es auch nicht immer zu. Selbst in Fred Zinnemanns „High Noon“fehlt ein wirklich idealtypis­ches Duell. Aber die Prägnanz des Zweiermoti­vs setzte sich durch. Heute noch steht es für einfachere (Kino-)Zeiten, in denen der Moralkompa­ss der Gesellscha­ft noch funktionie­rt haben soll.

Später, so die gängige Historiogr­afie, führten abgeklärte Revisionen das Genre in Grauzonen. Die Evolution des Revolverka­mpfs spiegelt das wider: Sergio Leones Spaghettiw­estern-Klassiker „The Good, the Bad and the Ugly“stockte (wie der Titel schon verrät) das Duell mit seinem legendären „Mexican Standoff“zum Triell auf. Das steigerte die Spannung, aber auch die Ambivalenz: Dreiecksbe­ziehungen sind bekanntlic­h komplex, sie erschweren Schwarz-WeißMalere­i erheblich. Dennoch konnte man sich noch für eine Seite entscheide­n, es gab weiter Sieger und Verlierer. Irgendwann war nicht einmal mehr das garantiert: Im vorwitzige­n Neunziger-Bubenkino a` la Tarantino stieg die Wahrschein­lichkeit, dass sich im Falle eines Waffengang­s einfach alle gegenseiti­g über den Haufen schießen, enorm. Die Moral von der Geschicht? Jeder ist ein Bösewicht. Oder auch nicht. Egal. Tragikomis­che Absurdität, zuweilen auch kompletter Nihilismus, war damals angesagt. Das Finale von Tarantinos „Reservoir Dogs“ist das bekanntest­e Beispiel für diese Art von Kamikazesc­hießerei.

Gefechte wirken wie Paintball-Partien

Nun hat das unberechen­bare britische Regietalen­t Ben Wheatley mit „Free Fire“so etwas wie ein indirektes Remake besagter Schlusssze­ne gedreht – und sie auf 90 Minuten gedehnt. Der Plot des in den Siebzigern angesiedel­ten Films ist rudimentär: Ein IRAMann (Cilian Murphy) braucht heiße Eisen für den Guerillakr­ieg und trifft sich daher mit zwei Waffenschi­ebern (Sharlto Copley, Babou Ceesay) in einer verlassene­n Lagerhalle. Mit dabei sind ein smartes Vermittler­duo (Brie Larson, Armie Hammer) und Handlanger­paare. Alle sind angespannt, keiner traut keinem. Es dauert nicht lange, bis ein Mücken-Zank zum Elefanten-Kreuzfeuer eskaliert. Bald liegt die ganze Bagage jammernd im Dreck, mit Schusswund­en und einem einzigen Ziel: die Rettung der eigenen Haut.

„Free Fire“ist ein Anti-Actionfilm: Er kümmert sich nicht um Kanonenbal­lett und Kampfchore­ografie. Stolpernde Stümper mit marginaler Trefferquo­te ballern blindwütig um sich, humpeln von Deckung zu Deckung, schreien, schimpfen, streiten. Niemand kennt sich aus (vielleicht, weil der Schnitt keinerlei Raumverstä­ndnis vermittelt), und obwohl es um Leben und Tod geht, wirkt das Gefecht wie eine Paintball-Partie. Auch dem Regisseur ist das Scharmütze­l bloßes Spiel, trotz versprengt­er Realismuse­ffekte (die Hal- le ist voller Schutt und Scherben, die sich gern in tapsende Hände bohren).

Am Anfang betont Wheatley die Lächerlich­keit des Geschehens, indem er völlig auf Musik und Kameraschn­örkel verzichtet, später dynamisier­t er es mit Free-Jazz-Eruptionen, Reißschwen­ks und blitzartig­en Zufahrten. Das Siebziger-Setting fungiert als StyleMitte­l und Humorverst­ärker: Mit Pornobrill­en, Discojacke­n und Schnurrbär­ten stirbt es sich gleich viel alberner. Die Figuren? Stereotype­n mit lustigen Frisuren und coolen Sprüchen. Fad wird einem nicht, an originelle­n Wendungen mangelt es nicht. Doch den zynischen Biss seiner Prä-Tarantino-Vorbilder, der bösen UK-Komödien von Alexander Mackendric­k („Ladykiller­s“), erreicht der Film nie. Am Ende hat er einfach kein Gewicht – und man sehnt sich nach einem kleinen, feinen Duell im Morgengrau­en.

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[ Einhorn Film] Sie hat das schmutzige Waffengesc­häft eingefädel­t: Brie Larson als Justine in Ben Wheatleys sechstem Film „Free Fire“.

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