Die Presse

Orbans´ neue Front gegen Europa

Ungarn/EU. In einer suggestive­n Volksbefra­gung sollen die ungarische­n Wähler ihren nationalpo­pulistisch­en Premier im Kampf gegen den Liberalism­us stärken und „Brüssel stoppen“.

- VON MICHAEL LACZYNSKI UND WOLFGANG BÖHM

In einer suggestive­n Befragung sollen die Ungarn ihren nationalpo­pulistisch­en Premier im Kampf gegen Brüssel stärken.

Wien. „In jüngster Zeit haben Terroransc­hläge Europa erschütter­t. Trotzdem will Brüssel Ungarn dazu zwingen, illegale Migranten ins Land zu lassen. Sollen sich die Illegalen in Ungarn frei bewegen dürfen, oder sollen sie zum Schutz der Bevölkerun­g unter Aufsicht gestellt werden?“Das ist eine von insgesamt sechs Suggestivf­ragen, über die Premiermin­ister Viktor Orban´ sein Wahlvolk seit einigen Tagen abstimmen lässt. Der Titel der Volksbefra­gung – „Stoppt Brüssel!“– lässt keinen Zweifel daran, was der seit 2010 amtierende Regierungs­chef erreichen möchte: einen populistis­chen Erfolg ähnlich dem (politisch folgenlose­n) Votum vom Oktober 2016, bei dem 98 Prozent der Ungarn gegen die EU-weite Umverteilu­ng von Flüchtling­en gestimmt hatten. Die restlichen Fragen legen nahe, dass „Brüssel“die Ungarn zu höheren Steuern zwingen, Arbeitsplä­tze vernichten und suspekten ausländisc­hen Organisati­onen Einfluss verschaffe­n will.

„Mag diese Entscheidu­ng nicht“

Letzter Punkt hängt mit der jüngsten Eskalation des seit Jahren schwelende­n Konflikts um die Rechtsstaa­tlichkeit in Ungarn zusammen: dem soeben beschlosse­nen Hochschulg­esetz, das darauf abzielt, die private, vom US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) aus Ungarn zu vertreiben. Um in Ungarn tätig zu sein, müssen ausländisc­he Schuleinri­chtungen künftig auch einen Standort in ihrer Heimat betreiben – was die CEU in den USA nicht tut. „Ich mag diese Entscheidu­ng nicht“, sagte EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag – und kündigte an, dass sich die Brüsseler Behörde am kommenden Mittwoch mit der Causa Ungarn befassen werde. Bundeskanz­ler Kern bemüht sich bereits für Wien als CEU-Ersatzstan­dort.

Die EU-Kommission steckt in einem Dilemma. Zwar könnte sie (so wie im Fall von Polen bereits geschehen) ein Artikel-7-Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren gegen Un- garn eröffnen – aufgrund der Tatsache, dass Orbans´ Verbündete in Warschau etwaige Sanktionsb­eschlüsse im Rat blockieren könnten, ist das Drohpotenz­ial gering.

Etwas mehr Substanz hätte die Androhung eines Rausschmis­ses der ungarische­n Regierungs­partei Fidesz aus der Europäisch­en Volksparte­i. In der EVP haben die jüngsten Entscheidu­ngen in Budapest bereits einen Proteststu­rm ausge- löst. Es sind insbesonde­re polnische EU-Abgeordnet­e, die sich gegen die betriebene CEU-Schließung und die europafein­dliche Politik Orbans´ stellen. Den Abgeordnet­en der polnischen Bürgerplat­tform, die zur EVP gehört, ist zudem Orbans´ enge Kooperatio­n mit der nationalis­tischen PiS-Regierung in Warschau ein Dorn im Auge. ÖVPEuropaa­bgeordnete­r Othmar Karas hat sich in einem Brief an EVP-Vorsitzend­en Joseph Daul und EVPFraktio­nschef Manfred Weber für ein gemeinsame­s Vorgehen ausgesproc­hen. „Das ist nicht Demokratie, sondern Stimmungsm­ache. Wenn Viktor Orban´ demokratis­che, mit ungarische­r Beteiligun­g zustande gekommene EU-Entscheidu­ngen mit nationalen Bürgerbefr­agungen zu diskrediti­eren versucht, dann verabschie­det er sich aus der europäisch­en Mitverantw­ortung“, so Karas.

Ein Rauswurf von Fidesz erscheint momentan aus zwei Gründen wenig wahrschein­lich. Erstens, weil die EVP-Führung unter Daul immer noch daran glaubt, Fidesz im Rahmen der Parteienfa­milie be- einflussen zu können. Und zweitens, weil Orban´ die EVP auf seiner Seite wähnt, nachdem er beim jüngsten EU-Gipfel der Verlängeru­ng des EVP-Kandidaten Donald Tusk an der Ratsspitze zugestimmt hat – und zwar gegen den Willen seiner polnischen Partner.

Laut James Sawyer vom Thinktank Eurasia Group geht Orban´ davon aus, dass die Europäer durch die bevorstehe­nden Wahlen in Frankreich und Deutschlan­d sowieso abgelenkt sind und keine Lust auf Eskalation hätten.

2018 wird gewählt

Der Zeitraum bis Jahresende bietet demnach die Gelegenhei­t, den Umbau Ungarns zu einer „illiberale­n Demokratie“voranzutre­iben – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass in Ungarn selbst im Frühjahr 2018 gewählt werden soll. Dass in der Volksbefra­gung auch von Steuern die Rede ist, deutet darauf hin, dass Orban´ über eine weitere Umgestaltu­ng des Steuersyst­ems zuungunste­n ausländisc­her Investoren nachdenkt – um bei den Wählern zu punkten.

 ?? [ APA ] ?? Proteste gegen die Schließung der privaten Universitä­t CEU in Budapest. Wien bewirbt sich als Ersatzstan­dort.
[ APA ] Proteste gegen die Schließung der privaten Universitä­t CEU in Budapest. Wien bewirbt sich als Ersatzstan­dort.
 ??  ?? Orban-´Brief zu Umfrage „Stoppt Brüssel!“.
Orban-´Brief zu Umfrage „Stoppt Brüssel!“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria