Die Presse

Aufruhr in der polnischen Armee

Köpferolle­n. Polens Verteidigu­ngsministe­r hat die Armee radikal gesäubert: Neun von zehn Generalsta­bsoffizier­en mussten gehen. Ex-Generäle und aktive Offiziere fürchten nun um die Wehrfähigk­eit. Im Heer brodelt es gewaltig.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

Warschau. Wieder einmal hat Polens Regierung für Verwirrung in Brüssel gesorgt: Zuerst kündigte das Verteidigu­ngsministe­rium Ende März Polens Rückzug aus dem in Straßburg stationier­ten Nato-Eurocorps an. Tags darauf ruderte ein Stellvertr­eter des Ministers Antoni Macierewic­z zurück. Mittlerwei­le ist klar: Polen bleibt der von Deutschlan­d und Frankreich 2002 gegründete­n 6000 Mann starken multinatio­nalen Truppe verpflicht­et, zurückgezo­gen werden „nur“120 polnische Offiziere. Diese würden anderswo gebraucht, heißt es inzwischen aus den Kreisen der euroskepti­schen Regierung.

Der Grund mag in der größten „Säuberungs­welle“der polnischen Armee seit 1989 liegen. „Ich habe fast alle Heerführer ersetzt“, prahlte Verteidigu­ngsministe­r Macierewic­z kürzlich in einem Interview. Neun von zehn der höheren Generalsta­bsoffizier­e sowie 80 Prozent des Heereskomm­andos hätten seit seinem Amtsantrit­t den Hut selbst genommen oder seien abgesetzt worden, erklärte er dem Nachrichte­nmagazin „Do Rzeczy“. Die entlassene­n Kader seien „nicht auf die neuen strategisc­hen Ziele vorbereite­t“gewesen, argumentie­rte der als rechtsnati­onaler Haudegen bekannte Minister, der sich auf eine jahrzehnte­lange Freundscha­ft mit Regierungs­parteichef Jarosław Kaczyn´ski berufen kann. Zu den neuen Herausford­erungen zählt Maciere- wicz Russlands Druck auf Osteuropa, namentlich die Ukraine, sowie russische Diversante­n, die sich auch in Polens liberaler Opposition eingeniste­t haben könnten. „Keine Angst, die neuen Kader sind so erfahren wie die alten“, beruhigt Macierewic­z.

Durch diesen radikalen Kaderumbau in der Armee würden wertvolle Erfahrunge­n aus Afghanista­n und dem Irak vernichtet, dazu auch Kontakte, die bis in die oberen Etagen des Pentagons reichen, sagt die liberale Opposition. Die Zeitung „Gazeta Wyborcza“spekuliert gar über einen Abzug der US-Soldaten als Reaktion auf den radikalen Führungsum­bau.

Putschgerü­chte kursieren

Tomasz R., ein langjährig­er höherer Offizier, meint im Gespräch mit der „Presse“, dass er dies nicht einschätze­n könne. Der Offizier will nicht mit Namen auftreten, obwohl er glaubt, er sei unersetzba­r. Noch nie seit der Wende habe es im Heer ein derartiges Köpferolle­n gegeben. Dies löse weniger Verunsiche­rung als schiere Wut aus. „Neue Kader sind nie so erfahren wie die Entlassene­n“, widerspric­ht der Offizier mit 40 Jahren Berufserfa­hrung Macierewic­z. Derzeit würden jüngere Kader oft zwei bis drei Diensträng­e überspring­en. Es soll sogar zweiwöchig­e Generalsku­rse geben. „Das Heer ist eine streng hierarchis­che Gesellscha­ft mit klaren Aufstiegsr­egeln, nun werden diese Befehlsket­ten durchbroch­en, die neuen Kader genießen kein Vertrauen der Untergeben­en mehr“, analysiert Tomasz R.

Stabilität würden der Armee in dieser Situation die Tausenden zivilen Mitarbeite­r geben, beruhigt indes der Berufsmili­tär. Viele unter ihnen hätten früher, so wie er, als einfache Soldaten im Heer gedient, viele seien auf mindestens einem Auslandein­satz gewesen. Laut Tomasz R. bilden diese Kader den Kitt, der alles trotz des rasanten Kaderumbau­s noch zusammenhä­lt. Dennoch kursieren in Warschau bereits Putschgerü­chte.

In einem Interview mit der „Gazeta Wyborcza“hatte der kürzlich aus Protest zurückgetr­etene polnische Oberbefehl­shaber, Mirosław Ro´z˙an´ski, offen einen Militärput­sch angedeutet, indem er auf Jozef´ Piłsudskis Staatsstre­ich von 1926 hinwies. Dieser werde nur im Ausland negativ gesehen, fügte Ro´z˙an´ski an. Der Ex-General spricht viel von „Soldateneh­re“und sagt auch, nicht ruhen zu wollen, bis Polen seine Wehrfähigk­eit wieder erreiche. Das Interview habe vor allem unter den rund 20.000 or- ganisierte­n ehemaligen Militärs großes Echo ausgelöst, berichtet Tomasz R., der mittlerwei­le selbst an den Ruhestand denkt.

Alarm geschlagen hat auch der Ende 2015 zurückgetr­etene Armeegehei­mdienstche­f Piotr Pytel. „Der Verteidigu­ngsministe­r will nicht nur einen neuen Staat, sondern auch eine ganz neue Armee“, sagte er. Der russische Geheimdien­st würde dies ausnützen und eigene Leute einschleus­en, warnt Pytel. In der Tat sind sowohl Kaczyn´ski, als auch Macierewic­z der Auffassung, dass Polen nach der Wende bis zum jüngsten Sieg ihrer Partei Recht und Gerichtigk­eit (PiS) ein hybrider Staat gewesen sei, den man nun vernichten und neu aufbauen müsse.

Neue Kader herangezüc­htet

Diese Auffassung gründet auf einem angebliche­n Komplott zwischen den vor 1989 regierende­n Kommuniste­n und linken Kräften in der Solidarnos´c-´Opposition. Sie hätten nicht nur die Wirtschaft unterwande­rt, sondern auch die Armee. Die jetzige Säuberungs­welle im Offiziersk­orps entspreche dieser Logik. Denn entlassen werden vor allem Offiziere, die ihren Dienst vor der Wende begonnen haben. „Die neuen Kader sind ihrem Beförderer natürlich loyal ergeben, besonders wenn sie noch Jahre auf den Generalsra­ng hätten warten müssen oder mangels Leistungen oder Ausbildung nie so weit nach oben gekommen wären“, analysiert Berufsmili­tär Tomasz R.

 ?? [ Reuters ] ?? Jarosław Kaczynski,´ Chef der Regierungs­partei PiS, bildet den Staat radikal um.
[ Reuters ] Jarosław Kaczynski,´ Chef der Regierungs­partei PiS, bildet den Staat radikal um.

Newspapers in German

Newspapers from Austria