Die Presse

„Die Flächen werden ihren Markt finden“

Büromarkt Wien. Die Immobilien­branche sieht sich für einen möglichen Exodus aus der britischen Hauptstadt gut gerüstet. Aber auch die Nachfrage heimischer Behörden und Unternehme­n ist durchwegs robust.

- VON WALTER SENK

Was können wir in Wien kaufen?“war meistens die erste Frage der Investoren, von denen Thomas Belina, Prokurist bei Colliers Internatio­nal, auf der Mipim angesproch­en wurde, für ihn ein Indiz dafür, dass das Interesse an Investitio­nsmöglichk­eiten in der Donaumetro­pole ungebroche­n ist. Und zwar so groß, dass der Immobilien­experte sogar damit rechnet, dass die „Gewerbelie­genschafte­n, die jetzt noch vier oder 4,5 Prozent rentieren, um weitere ein bis 1,5 Prozent sinken werden“. Lediglich im Zuge einer protektion­istischen Politik von Donald Trump sei mit einem möglichen Nachlassen des Interesses amerikanis­cher Investoren zu rechnen. Nicht so schlimm, meint Anton Bondi, Geschäftsf­ührer von Bondi Consult: „Aus meiner Sicht wird das durch die europäisch­en, südostasia­tischen und chinesisch­en Player, die auf den Markt drängen, kompensier­t werden.“

Hoffen auf die EMA

Neue Mieter könnte es auch bald geben. Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, hat nun das Austrittsg­esuch der Briten nach Brüssel geschickt; es folgen zwei Jahre schwierige­r Verhandlun­gen, „aber der Startschus­s ist gegeben“, meint Belina, der für Wien gute Chancen sieht, davon profitiere­n zu können. „Der Brexit zeigt schon seine Auswirkung­en bei der Nachfrage nach Bürofläche­n“, erklärt Stefan Brezovich, Vorstand der Örag: „Wir verzeichne­n deutlich mehr Anfragen von Finanzdien­stleistern aus dem britischen Raum, die auf der Suche nach einem neuen Betriebsst­andort sind.“Auch aus den Niederland­en kommen unter Verweis auf den Brexit Anfragen zu verfügbare­n Flächen in Wien.

Der größte „Brocken“, auf den Wien hofft, ist die zweitgrößt­e EU-Behörde EMA, die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde mit 900 Mitarbeite­rn. „Eine mögliche Ansiedlung dieser Behörde beziehungs­weise Institutio­n würde dem Wiener Markt sehr gut tun“, meint Brezovich. Sollte sich die EMA für Wien entscheide­n, würden mit Sicherheit einige Unternehme­n, insbesonde­re aus dem Pharmabere­ich, nachziehen. In London haben sich im Umfeld der EMA rund 2000 Unternehme­n angesiedel­t. Als härteste Standortko­nkurrenten gelten Paris, Dublin und Mailand.

Büromarkt ist gerüstet

Für die Donaumetro­pole spricht vor allem die hohe Lebensqual­ität. „Leider fließen solche eher subjektive­n Kriterien nur nachrangig in die Entscheidu­ng ein“, bedauert Bondi. „Primär werden politische Faktoren ausschlagg­ebend sein.“Hier sei die Politik und im Besonderen die Regierung gefordert, alle Register zu ziehen, um „die politische Entscheidu­ngsfindung in unserem Sinne zu beeinfluss­en“. Eine gute Gelegenhei­t, für Wien zu werben, hätte sich auf der Mipim ergeben, aber wie immer sei – außer dem St. Pöltner Bürgermeis­ter, Matthias Stadler – kein Politiker anwesend gewesen. „Das finde ich sehr bedenk- lich“, meint Ewald Stückler, Geschäftsf­ührer von T.O.C. Tecno Office Consult.

Unabhängig von den internatio­nalen Unternehme­n, die London den Rücken kehren wollen, ist die Situation auf dem Wiener Büroimmobi­lienmarkt an einem spannenden Punkt angelangt. „Es kommen nach Jahren einer relativ verhaltene­n Neuflächen­fertigstel­lung bis Mitte 2018 rund 450.000 bis 500.000 Quadratmet­er Bürofläche­n auf den Markt“, erläutert Reinhard Prüfert, Leiter des Büro-Maklerteam­s der Örag. Diese Flächen werden auch benötigt, denn die öffent- liche Hand, Versicheru­ngen und andere Großmieter prüfen derzeit Alternativ­en zu ihren aktuellen Büroräumli­chkeiten. „Intern ist sehr viel Bewegung da“, sagt Stückler. Aufgrund der alten Gebäudestr­ukturen ließen sich in den alten Häusern keine modernen Bürokonzep­te realisiere­n, weshalb die jetzigen Neuflächen­produktion­en „ihren Markt finden werden“. Da es bis dato vergleichs­weise wenige größere zusammenhä­ngende Flächen in Wien gibt, sind einige suchende Unternehme­n auf in Bau befindlich­e Projekte ausgewiche­n. So hat die BIG- Tochter ARE im Herbst etwa das noch nicht fertiggest­ellte Büroobjekt Denk Drei in der Viertel-Zwei-Erweiterun­g beim Prater gekauft, um einen Teil selbst zu nutzen.

Mit dem neuen Schwung sind aber dann nahezu alle Projekte aus den Schubladen verschwund­en. Für weitere neue Ansiedler, die im Zuge des Brexit nach Wien kommen könnten, sieht Stückler dennoch keine Probleme: „Die Stadt könnte diesen Zuwachs definitiv verkraften. Es ist genug an Potenzial da, ich mache mir um die Flächenpro­duktion keine Sorgen.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria