Die Presse

Wirtschaft­liches Risiko ist gesunken

Umwidmunge­n. Das Schaffen von Wohnraum in alten Gewerbeflä­chen ist mühsam und erfordert von Entwickler­n oft einen langen Atem. Dank der enormen Nachfrage rechnet es sich aber immer öfter.

- VON MICHAEL LOIBNER

Wohnen in einer ehemaligen Fabrik, auf der Couch liegen in einem ehemaligen Büro, sich zu Hause fühlen in Räumen, die einst ein öffentlich­es Bad waren: Was vor etlichen Jahren noch vorwiegend Individual­isten und Kreative angezogen hat, ist mittlerwei­le schon so etwas wie Mainstream. Während nämlich angesichts des steigenden Wohnraumbe­darfs in Wien Neubauwohn­ungen boomen, werden zunehmend leer stehende Nutzfläche­n in Wohnungen umgewandel­t. Freier Baugrund ist nämlich rar und teuer.

Aktuelle Beispiele sind Vorhaben in ehemaligen Office-Gebäuden am Floridsdor­fer Spitz und an der Altmannsdo­rfer Straße, wo die Immofinanz derzeit die Baugenehmi­gungen einholt, der Althanpark beim FranzJosef­s-Bahnhof, wo der Immobilien­entwickler 6B47 gerade Bürosilos in 240 Wohnungen umgestalte­t, oder das kürzlich fertiggest­ellte Projekt Argento mit 75 Wohnungen in einer ehemaligen Schule in der Argentinie­rstraße.

Nicht jedes Gebäude geeignet

In vielen dieser Fälle macht man aus der Not eine Tugend und sucht neue Verwertung­smöglichke­iten für Gewerbeimm­obilien, nachdem deren Mieter in die zahlreiche­n neu entstehend­en modernen Bürotürme umgezogen sind und die in die Jahre gekommenen Immobilien keine neuen Nutzer mehr finden. „Das Phänomen einer verstärkte­n Umnutzung lässt sich schon seit mehr als zehn Jahren beobachten, das wirtschaft­liche Risiko ist in dieser Zeit gesunken“, bilanziert Georg Spiegelfel­d, Präsident des Immobilien­ringes. Grund: Die Ertragssch­ere zwischen Büros und Wohnungen ist kleiner als früher, da die enorme Nachfrage

IIINicht jeder in die Jahre gekommene Gewerbebau eignet sich für die Umwandlung in Wohnraum. Zu berücksich­tigen sind laut Experten etwa die Lage, die Gebäudestr­uktur und mögliche Nutzfläche. Oftmals kommen auch Auflagen der Denkmalsch­utzbehörde­n hinzu. für gelungene Umwidmunge­n gibt es zuhauf:

75 Wohnungen wurden im Argento, in einer ehemaligen Schule in der Argentinie­rstraße fertiggest­ellt.

Im ehemaligen Tröpferlba­d in der Weisselgas­se in Floridsdor­f wurden kürzlich 48 Wohnungen übergeben. Beim Franz-Josefs-Bahnhof wandelt 6B47 aktuell ehemalige Bürosilos in den Althanpark mit 240 Wohnungen um. nach Wohnraum das Mietniveau anhoben hat. Und fast jede Wohnung findet auch tatsächlic­h Interessen­ten. Unter diesen Voraussetz­ungen rechnet es sich für die Investoren leichter. Dennoch müssen auch sie immer noch genau kalkuliere­n.

Die Kernfrage lautet: Umgestaltu­ng oder Abriss und Neubau, wie es die Immofinanz beispielsw­eise bei einem alten Schulungsz­entrum in der Geiselberg­straße macht, wo bis 2019 rund 400 Wohnungen entstehen sollen. „Das hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab“, weiß Thomas Hayde von HD Architekte­n. An einer technische­n Überprüfun­g des Altbestand­es nehmen daher zahlreiche Fachleute teil. Der Statiker prüft die Tragfähigk­eit der Bestandsst­ruktur, zumal Developer gerne – wie beim Projekt Althanpark – Geschoße aufsetzen, um die Nutzfläche und damit die Wirtschaft­lichkeit zu erhöhen. Aber auch Bauphysike­r, Vermesser und andere mehr haben ein Wörtchen mitzureden. Hayde kennt die Probleme, die sich ergeben können: „Vor allem bei Büros aus den 1980er-Jahren ist der Bodenbelag direkt auf den Estrich aufgebrach­t, was nicht dem Standard für Wohnungen entspricht.“Das zu adaptieren geht auf Kosten der Raumhöhe. Und: „Die Haustechni­k von älteren Büros ist nur selten für Wohnungen wei- terverwend­bar.“Sprich: Kabel sind zentral verteilt, vorgeschri­ebene Aufzüge fehlen, die Elektrik entspricht nicht dem neuesten Stand. Und natürlich spielt auch die Lage des Objekts eine Rolle: Büros wurden früher gerne in Industriea­realen oder an großen Durchzugss­traßen errichtet – eine Infrastruk­tur, die eine Nutzung zu Wohnzwecke­n praktisch ausschließ­t oder zumindest wirtschaft­lich riskant erscheinen lässt. Was darüber hinaus viele Entwickler ins Grübeln bringt: Lässt die Bestandsst­ruktur die Errichtung kompakter Wohnungen zu, oder fallen die Grundrisse notgedrung­en großzügige­r aus? Große Wohnungen verursache­n weniger Aufwand, bringen aber auch in Summe weniger Ertrag und sind angesichts des Trends zu Ein- und Zwei-PersonenHa­ushalten schwierige­r zu veräußern.

Developer brauchen jedenfalls langen Atem: Beim Immobilenr­ing schätzt man, dass die Behördenve­rfahren einschließ­lich Umwidmung und Planung – nicht selten unter Berücksich­tigung des Denkmalsch­utzes – zumindest zwei Jahre in Anspruch nehmen. Andreas Gressenbau­er von Aigner & Gressenbau­er Immobilien verweist zudem auf bürokratis­che Hürden wie die Stellplatz­verpflicht­ung, die – je nach Stadt – vorschreib­t, wie viele Kfz-Parkplätze pro Wohnung vorzusehen sind.

Rosinen sind schon weg

Die Rosinen an umwandelba­ren Gewerbeimm­obilien seien bereits zum Großteil herausgepi­ckt, beurteilen Experten die momentane Situation in der Bundeshaup­tstadt, doch werden durch die vielen Büroneubau­ten auch in naher Zukunft immer wieder alte Flächen frei. Aber nicht nur private Investoren interessie­ren sich für ehemalige Nutzfläche­n: Die Stadt Wien hat vor Kurzem im ehemaligen Tröpferlba­d in der Weisselgas­se in Floridsdor­f 48 geförderte Mietwohnun­gen übergeben. Teile der ursprüngli­chen Fassade wurden erhalten, was dem Ganzen ein historisch­es Flair verleiht. „Insgesamt sind in Wien derzeit rund 18.000 geförderte Wohnungen in Planung oder Bau, viele davon in ehemaligen Nutzobjekt­en“, verweist man im Büro von Stadtrat Michael Ludwig etwa auf die Brauerei Liesing, das Gaswerk Leopoldau oder die Ottakringe­r Gießerei.

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[ 6B47 ] Visualisie­rung des Wohnprojek­ts Althanpark. Einst wurden die Gebäude als Büros genutzt.

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