Wirtschaftliches Risiko ist gesunken
Umwidmungen. Das Schaffen von Wohnraum in alten Gewerbeflächen ist mühsam und erfordert von Entwicklern oft einen langen Atem. Dank der enormen Nachfrage rechnet es sich aber immer öfter.
Wohnen in einer ehemaligen Fabrik, auf der Couch liegen in einem ehemaligen Büro, sich zu Hause fühlen in Räumen, die einst ein öffentliches Bad waren: Was vor etlichen Jahren noch vorwiegend Individualisten und Kreative angezogen hat, ist mittlerweile schon so etwas wie Mainstream. Während nämlich angesichts des steigenden Wohnraumbedarfs in Wien Neubauwohnungen boomen, werden zunehmend leer stehende Nutzflächen in Wohnungen umgewandelt. Freier Baugrund ist nämlich rar und teuer.
Aktuelle Beispiele sind Vorhaben in ehemaligen Office-Gebäuden am Floridsdorfer Spitz und an der Altmannsdorfer Straße, wo die Immofinanz derzeit die Baugenehmigungen einholt, der Althanpark beim FranzJosefs-Bahnhof, wo der Immobilienentwickler 6B47 gerade Bürosilos in 240 Wohnungen umgestaltet, oder das kürzlich fertiggestellte Projekt Argento mit 75 Wohnungen in einer ehemaligen Schule in der Argentinierstraße.
Nicht jedes Gebäude geeignet
In vielen dieser Fälle macht man aus der Not eine Tugend und sucht neue Verwertungsmöglichkeiten für Gewerbeimmobilien, nachdem deren Mieter in die zahlreichen neu entstehenden modernen Bürotürme umgezogen sind und die in die Jahre gekommenen Immobilien keine neuen Nutzer mehr finden. „Das Phänomen einer verstärkten Umnutzung lässt sich schon seit mehr als zehn Jahren beobachten, das wirtschaftliche Risiko ist in dieser Zeit gesunken“, bilanziert Georg Spiegelfeld, Präsident des Immobilienringes. Grund: Die Ertragsschere zwischen Büros und Wohnungen ist kleiner als früher, da die enorme Nachfrage
IIINicht jeder in die Jahre gekommene Gewerbebau eignet sich für die Umwandlung in Wohnraum. Zu berücksichtigen sind laut Experten etwa die Lage, die Gebäudestruktur und mögliche Nutzfläche. Oftmals kommen auch Auflagen der Denkmalschutzbehörden hinzu. für gelungene Umwidmungen gibt es zuhauf:
75 Wohnungen wurden im Argento, in einer ehemaligen Schule in der Argentinierstraße fertiggestellt.
Im ehemaligen Tröpferlbad in der Weisselgasse in Floridsdorf wurden kürzlich 48 Wohnungen übergeben. Beim Franz-Josefs-Bahnhof wandelt 6B47 aktuell ehemalige Bürosilos in den Althanpark mit 240 Wohnungen um. nach Wohnraum das Mietniveau anhoben hat. Und fast jede Wohnung findet auch tatsächlich Interessenten. Unter diesen Voraussetzungen rechnet es sich für die Investoren leichter. Dennoch müssen auch sie immer noch genau kalkulieren.
Die Kernfrage lautet: Umgestaltung oder Abriss und Neubau, wie es die Immofinanz beispielsweise bei einem alten Schulungszentrum in der Geiselbergstraße macht, wo bis 2019 rund 400 Wohnungen entstehen sollen. „Das hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab“, weiß Thomas Hayde von HD Architekten. An einer technischen Überprüfung des Altbestandes nehmen daher zahlreiche Fachleute teil. Der Statiker prüft die Tragfähigkeit der Bestandsstruktur, zumal Developer gerne – wie beim Projekt Althanpark – Geschoße aufsetzen, um die Nutzfläche und damit die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Aber auch Bauphysiker, Vermesser und andere mehr haben ein Wörtchen mitzureden. Hayde kennt die Probleme, die sich ergeben können: „Vor allem bei Büros aus den 1980er-Jahren ist der Bodenbelag direkt auf den Estrich aufgebracht, was nicht dem Standard für Wohnungen entspricht.“Das zu adaptieren geht auf Kosten der Raumhöhe. Und: „Die Haustechnik von älteren Büros ist nur selten für Wohnungen wei- terverwendbar.“Sprich: Kabel sind zentral verteilt, vorgeschriebene Aufzüge fehlen, die Elektrik entspricht nicht dem neuesten Stand. Und natürlich spielt auch die Lage des Objekts eine Rolle: Büros wurden früher gerne in Industriearealen oder an großen Durchzugsstraßen errichtet – eine Infrastruktur, die eine Nutzung zu Wohnzwecken praktisch ausschließt oder zumindest wirtschaftlich riskant erscheinen lässt. Was darüber hinaus viele Entwickler ins Grübeln bringt: Lässt die Bestandsstruktur die Errichtung kompakter Wohnungen zu, oder fallen die Grundrisse notgedrungen großzügiger aus? Große Wohnungen verursachen weniger Aufwand, bringen aber auch in Summe weniger Ertrag und sind angesichts des Trends zu Ein- und Zwei-PersonenHaushalten schwieriger zu veräußern.
Developer brauchen jedenfalls langen Atem: Beim Immobilenring schätzt man, dass die Behördenverfahren einschließlich Umwidmung und Planung – nicht selten unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes – zumindest zwei Jahre in Anspruch nehmen. Andreas Gressenbauer von Aigner & Gressenbauer Immobilien verweist zudem auf bürokratische Hürden wie die Stellplatzverpflichtung, die – je nach Stadt – vorschreibt, wie viele Kfz-Parkplätze pro Wohnung vorzusehen sind.
Rosinen sind schon weg
Die Rosinen an umwandelbaren Gewerbeimmobilien seien bereits zum Großteil herausgepickt, beurteilen Experten die momentane Situation in der Bundeshauptstadt, doch werden durch die vielen Büroneubauten auch in naher Zukunft immer wieder alte Flächen frei. Aber nicht nur private Investoren interessieren sich für ehemalige Nutzflächen: Die Stadt Wien hat vor Kurzem im ehemaligen Tröpferlbad in der Weisselgasse in Floridsdorf 48 geförderte Mietwohnungen übergeben. Teile der ursprünglichen Fassade wurden erhalten, was dem Ganzen ein historisches Flair verleiht. „Insgesamt sind in Wien derzeit rund 18.000 geförderte Wohnungen in Planung oder Bau, viele davon in ehemaligen Nutzobjekten“, verweist man im Büro von Stadtrat Michael Ludwig etwa auf die Brauerei Liesing, das Gaswerk Leopoldau oder die Ottakringer Gießerei.